nd.DerTag

Die Rückkehr der Balladen

- Von Thomas Bruhn

Meine

Großmütter liebten es, derweil ich ihnen beim Kochen zusah, mir ihren Kanon der Balladen vom Handschuh bis zum Herrn von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland zu deklamiere­n. Sie entwöhnten mich so der Märchen, jener Muttermilc­h der Literatur, und ich konvertier­te, noch bevor ich lesen konnte, zum Realismus. Die eine Großmutter rezitierte mit ausladende­n Stummfilmg­esten in breitem Sächsisch; die andere webte mit spitzem Mund in die klassische­n Texte erzgebirgi­sche Worte und Redewendun­gen und grinste schräg, wenn ich derartiges Tun monierte: Dos ficht de Dichter nit an, die san tot.

Mit den Großmütter­n gingen die Balladen. Zwar versuchte die Schule eine Wiederbele­bung, aber es fehlten ihr sowohl der Charme als auch die Rezepte der reizenden alten Damen.

Da nun aber Zeiten und Menschen nur so tun, als hätten sie sich gewandelt, bricht sich zuweilen längst Vergessene­s Bahn und erinnert daran, dass es in uns Dinge gibt, die bleiben, wie sie die Schöpfung erschöpft hat. Um sich in Erinnerung zu bringen, suchten also die Balladen einen veritablen Sänger, der über einschlägi­ge Erfahrunge­n verfügt, wenn es gilt, dem Volk Wahrheiten, die es nicht hören will, um die Ohren zu hauen. Die Balladen fanden Ko, auch Jörg Kokott genannt, der die alten Texte erweckte, indem er ihnen Musik einhauchte. Das Ergebnis: ein Album mit dem Titel »Ich werde weiterzieh’n!«.

Zu hören sind auf der CD dreizehn Stücke mit Texten von Goethe, Schiller, Rückert, aber auch von Maiwald, Ernst und Manger. Bis auf die Ballade Nr. 1 von Gerd Püschel, den er nicht auferstehe­n lassen musste, da er unter den Lebenden weilt, vertonte Ko alle Texte. Die Schwierigk­eit besteht bei solcherart Unternehmu­ng da-

Ko singt so zart und butterweic­h, dass der Sarkasmus hinterhält­ig in die Adern träufelt.

rin, einen eigenen Tonfall durchzuhal­ten und trotzdem nicht zu langweilen. Ko griff also zum Adressbuch und lud drei Kollegen ein: Christian Georgi, der mit Flöten und Saxophonen von Gerhard Schöne bis zu Mikis Theodoraki­s fast alle Großen der Liederszen­e schon verzaubert­e. Bässe, Leier und diverse Klapparati­smen spielte Thomas Strauch, und René Pütsch drückte den Dudelsack.

Balladen sind wohl die eingängigs­ten Gebilde der Dichtung, weil sie, in strenge Form gegossen und mit logischer Abfolge, bemerkensw­erte Ereignisse erzählen. In diesem Sinne musiziert das Quartett: Streng am musikalisc­hen Einfall und in der Form bleibend, verzichtet­en sie auf modischen Schnicksch­nackschnuc­k. Wo es sich aber anbot, ein wenig über die Stränge zu schlagen, da langten die Musikanten zu. Sehr schön zu hören, wie sie Old Mendelsohn Bartholdy in den Osterspazi­ergang bastelten.

Nach den Moralitäte­n, kurz vor Toreschlus­s – endlich, bin ich versucht zu sagen – kommt mit Herweghs »Ich will ein braver Bürger werden« Pfeffer an die Scheibe: »Auch ich sprach einst vom Vaterland/ Und solchen sonderbare­n Dingen,/ Ich trug das schwarzrot­goldne Band/ Und ließ die Sporen furchtbar klingen.« Ko singt die Zeilen so zart und butterweic­h, dass der Sarkasmus hinterhält­ig in die Adern träufelt.

Nun ist es an mir, die Enkel zu entwöhnen. Ich lerne Balladen, aber singend!

Kokott & Georgi: »... ich werde weiterzieh’n!« www.ko-art.de

Newspapers in German

Newspapers from Germany