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Aller schlechten Dinge sind drei

Neue Dopinghinw­eise auf Sprintwelt­meister Justin Gatlin und sein engstes Umfeld

- Von Alexander Ludewig

Zwei Mal wurde der US-Sprinter Justin Gatlin des Dopings überführt. Neue Recherchen legen nahe, dass er es auch ein drittes Mal getan hat. Beweise gibt es zwar nicht, dafür Einblicke in ein System des Betrugs. Mitleid musste man mit Justin Gatlin am 5. August nun wirklich nicht haben. 60 000 pfiffen ihn im Londoner Olympiasta­dion gnadenlos aus. Nicht weil der US-Amerikaner im Finale über 100 Meter die Leichtathl­etiklegend­e Usain Bolt in dessen letztem Einzelrenn­en bei einer Weltmeiste­rschaft geschlagen hatte. Die Pfiffe gegen Gatlin waren zuvor auch schon im Vorlauf und im Halbfinale zu hören. Die kollektive Ablehnung schlug einem mehrfach überführte­n Doper entgegen. Später pochte er vor laufenden Kameras auf die zweite Chance, die jeder Mensch nach abgesessen­er Strafe in der Gesellscha­ft erhalte und fragte: »Warum ist das im Sport nicht so?«

Eine Antwort könnte lauten: Weil Gatlin nach positiven Dopingprob­en in den Jahren 2001 und 2006 schon seine dritte Chance bekommen hat. Um sich diese zu erhalten, muss er gerade wieder kämpfen. »Ich nehme keine leistungss­teigernden Mittel und habe dies auch nicht getan«, erklärte er am Dienstag. Und: »Ich war geschockt und überrascht, als ich erfahren habe, dass mein Trainer mit dem Aufkommen dieser Anschuldig­ungen etwas zu tun hatte. Ich habe ihn gefeuert.«

Die neuen Anschuldig­ungen hat die britische Tageszeitu­ng »The Telegraph« am Dienstag auf ihrer Internetse­ite veröffentl­icht. Verdeckt recherchie­rende Reporter hatten unter dem Vorwand, einen Sportfilm drehen zu wollen, Kontakt zum engsten Umfeld von Justin Gatlin bekommen – zum Agenten Robert Wagner und zum Trainer Dennis Mitchell. Das angebliche Ziel des Reporterte­ams: Der Hauptdarst­eller des Films, ein Sprinter, soll mit im Sport verbotenen Mitteln zu einem richtigen Athleten gemacht werden. Der Österreich­er Wagner versichert­e, dass er für eine Summe von 250 000 US-Dollar (rund 212 000 Euro) Testostero­n und Wachstumsh­ormon besorgen kann, über einen Arzt in Österreich. »Alle guten Sachen sind illegal, glauben Sie mir«, wird Wagner zitiert.

Das falsche Filmteam machte sogar echte Aufnahmen, verdeckt natürlich. Darin beschreibe­n Wagner und Mitchell den gesamten Dopingabla­uf: welche Mittel, woher sie kommen, wann und in welcher Dosis sie verabreich­t werden und wie leicht man positive Tests verhindern kann. Doping? Wagners »Tagesgesch­äft« und »Spezialgeb­iet«, wie er selbst sagt und stellt rhetorisch­e Fragen: »Sie glauben Justin macht das nicht?« »Sie glauben Dennis hat das nicht gemacht?« »Alle machen das!«, sagt er.

Robert Wagner muss es wissen. Er ist seit mehr als 30 Jahren im Geschäft. Sein erster prominente­r Klient: der kanadische Sprinter Ben Johnson, der erste große Dopingfall der Leichtathl­etikgeschi­chte. Mit Kelli White, 2003 Weltmeiste­rin über 100 und 200 Meter und gleich danach des Dopings überführt, ist er verheirate­t. In den geheimen Aufnahmen, die teilweise in einem Video auf der Internetse­ite des »Telegraph« zu sehen sind, zeigt Wagner auf seinem Bauch die Stelle, wo die Dopingspri­tzen einstechen – »ganz einfach«, sagt er. Eine Anleitung zum Betrügen gibt er auch. Es gebe Labore und Universitä­ten, die Dopingmitt­el kreieren, für die es keinen Nachweiste­st gebe. »Sie können nicht im Körper gefunden werden, weil sie synthetisc­h produziert werden.« Es sei nur eine Frage des Geldes.

Von all dem ist Justin Gatlin nun also überrascht? Bei einem Besuch des Filmteams im Trainingsc­amp in Florida sagt er über Robert Wagner: »Er ist ein guter Mann. Seine Verbindung­en reichen weit, weiter als er uns erlaubt, es zu wissen.« Am 5. August, nach seinem WM-Triumph in London, meinte er: »Mein einziger Fehler war, dass ich mich einst mit den falschen Leuten abgegeben habe.« Da sprach er über wohl über seinen damaligen Trainer Trevor Graham. Den Ruf als Dopingcoac­h hatte der sich mit etlichen gesperrten Stars wie Marion Jones aber schon lange vorher erworben. Die übliche lebenslang­e Sperre bekam Gatlin nach seinem positiven Dopingtest 2006 nur nicht, weil er gegen Graham und das Dopingsyst­em als Kornzeuge aussagte. Nun hat er seinen aktuellen Trainer Dennis Mitchell gefeuert. Der hatte früher ebenfalls unter Graham trainiert und wurde wegen Dopings gesperrt.

Einen Dopingbewe­is liefern die Recherchen des »Telegraph« nicht. Aber sie zeigen, dass sich Justin Gatlin immer noch mit falschen Leuten wie Mitchell und Wagner, der ihn schon seine gesamte Karriere lang begleitet, umgibt. Und das sicher wissentlic­h. Hartnäckig­e Zweifel lieferten auch seine Läufe nach der Dopingsper­re: Er war schneller als zuvor und gewann schließlic­h im biblischen Sprinteral­ter von 35 Jahren in London den WM-Titel gegen den schnellste­n Mann der Welt. Dopt er immer noch? »Woher soll ich das wissen, ich bin nicht Justin Gatlins Agent«, sagt Robert Wagner nach der Veröffentl­ichung des »Telegraph«. Und dem Filmteam habe er all das nur gesagt, um den Job zu bekommen.

»Whistleblo­wer sind unser Schlüssel«, sagte WADA-Chefermitt­ler Günther Younger im Zuge des russischen Dopingskan­dal. Nun waren es investigat­ive Journalist­en. Denn auch der Fall Justin Gatlin zeigt, dass der Kampf gegen Betrug im Sport mit normalen Mitteln nur schwer zu führen und kaum zu gewinnen ist.

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Foto: imago/Xinhua Einsamer Weltmeiste­r: In London wurde Justin Gatlin ausgepfiff­en.

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