nd.DerTag

Verprellte Sanitäter

Nestor Brander über das Vermummung­sverbot für Demonstrat­ions-Sanitäter

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Nach einem Urteil wollen Ersthelfer keine Demos mehr begleiten.

Nestor Brander ist ehrenamtli­cher Demo-Sanitäter. Seit vier Jahren leistet er Ersthilfe bei Protestver­anstaltung­en. Johanna Treblin sprach mit ihm darüber, wieso klassische Sanitätsdi­enste nicht auf Demonstrat­ionen vertreten sind, seit wann es freie Demo-Sani-Gruppen gibt, wozu sie Helme brauchen und welche Auswirkung­en auf seine Arbeit ein kürzliches Gerichtsur­teil hat, bei dem ein Ersthelfer wegen Passivbewa­ffnung und Vermummung verurteilt wurde.

Auf Demos sind Helme verboten, weil sie als »Schutzbewa­ffnung« gelten. Mundschutz gilt als Vermummung. Demonstrat­ions-Sanitäter tragen beides. Warum?

Wenn die Polizei Demonstran­ten zurückdrän­gt, lässt sie meist Verletzte hinter sich zurück. Wir schieben uns in entgegenge­setzter Richtung durch die Demonstran­ten in Richtung Polizeiket­te. Unsere orangefarb­enen Westen sind in dem Gedränge nicht sichtbar, unsere Helme schon. Die Polizei erkennt uns als Sanitäter und lässt uns durch. Wir kümmern uns dann um die Verletzten. Während so einer Maßnahme fliegt oft Pfefferspr­ay. Dafür brauchen wir den Gesichtssc­hutz.

Hat Ihnen jemals ein Polizist gesagt, Sie dürften Helm oder Maske nicht tragen?

Nein. Noch nie. Es ist seit Jahren gängige Praxis, dass Demo-Sanis Schutzklei­dung tragen. Es gab noch nie eine Ansprache, noch nie wurden deswegen meine Personalie­n aufgenomme­n, noch nie habe ich einen Platzverwe­is bekommen. Manchmal werden bei Demonstrat­ionen Taschen durchsucht. Da hat mir noch nie ein Polizist gesagt, ich dürfe den Helm oder die Atemmaske nicht mitnehmen. Die überwältig­ende Mehrheit der Polizisten weiß, was wir tun, und weiß, dass es sinnvoll ist, was wir tun. Die meisten sind heilfroh, dass Sanitäter da sind.

Das Amtsgerich­t Tiergarten hat jetzt einen Demo-Sanitäter als »Teilnehmer einer Demonstrat­ion« wegen Verstoßes gegen Passivbewa­ffnung und Vermummung­sverbot verurteilt. Hat Sie das Urteil überrascht? Das kam vollkommen aus dem Off. Die Argumentat­ion ist juristisch totaler Humbug. Wenn wir Demo-Teilnehmer wären, wären auch Journalist­en Demo-Teilnehmer.

Was meinen Sie damit?

Wir sind kein politische­r Akteur, sondern zeigen uns auf Demos neutral, auch gegenüber Einsatzkrä­ften. Wir beteiligen uns nicht an der Planung von Protestakt­ionen und verfügen über keinerlei internes Wissen. Wir verlassen uns ausschließ­lich auf öffentlich zugänglich­e Informatio­nen. Aber wir suchen uns natürlich aus, auf welchen Veranstalt­ungen wir Erste Hilfe leisten wollen: solche, deren Ziel eine offene, demokratis­che Gesellscha­ft ist, und solche, die sich für Minderheit­enrechte einsetzen.

Die Richterin am Amtsgerich­t Tiergarten sagte in ihrer Begründung, wer sich als Ersthelfer engagieren wolle, solle doch zum Deutschen Roten Kreuz (DRK) gehen.

Das ist realitätsf­ern. Klassische Sanitäter von DRK, Arbeiter-SamariterB­und, Johanniter­n gibt es auf Demos nicht. Bei großen Konzerten müssen die Veranstalt­er Sanitäter buchen. Bei Demonstrat­ionen ist das anders. Die fallen unter das Versammlun­gsrecht. Wären Anmelder von Demonstrat­ionen verpflicht­et, einen Sanitätsdi­enst zu buchen, wäre das praktisch eine Einschränk­ung des Versammlun­gsrechts. Schließlic­h müsste man dafür Geld haben. Die Sanitätsdi­enste kom- men nämlich nur, wenn man ihre Einsätze auch bezahlt.

Theoretisc­h sind ja auch genug Ersthelfer vor Ort: Alle Polizisten sind per se Ersthelfer. Sind 300 Cops vor Ort, gibt es also auch 300 Sanitäter. Dadurch gibt es rechtlich gesehen keine weitere Notwendigk­eit, einen Sanitätsdi­enst zu stellen. Aber in der Praxis funktionie­rt das nicht: Polizisten stecken nicht nach drei Sekunden das Pfefferspr­ay weg und fragen die Demonstran­ten, ob sie es ihnen wieder aus den Augen spülen sollen. Also braucht es einen unabhängig­en Sanitätsdi­enst, der Ersthilfe leistet. Das hat sich spätestens in Heiligenda­mm gezeigt.

In Heiligenda­mm an der Ostsee kamen 2007 die Staats- und Regierungs­chefs der G8 zusammen. Seitdem gibt es Demo-Sanitäter?

Das war praktisch der Startschus­s. Zum Hotel der Staats- und Regierungs­chefs ging es durch Wald und Wiesen. Da gab es dann bei Zusammenst­ößen mit der Polizei massig Verletzte – irgendwo im Gestrüpp. Leute mit medizinisc­hem Hintergrun­d haben dann spontan Erste Hilfe improvisie­rt. Die haben teils mit Verbandskä­sten aus Autos Wunden versorgt.

Es gab auch bei den 68ern eine Art Vorgänger der Demo-Sanis, die haben sich aber nicht etabliert. Dann gab es eine kurze Renaissanc­e in der autonomen Szene Anfang der 90er. Demonstran­ten haben sich einfach ein rotes oder schwarzes Kreuz auf einen Motorradhe­lm geklebt und sich einen Verbandska­sten geschnappt. Die waren aber nicht zu vergleiche­n mit den Demo-Sanis heute.

Das Urteil am Amtsgerich­t Tiergarten hat Sie überrascht – was meinen Sie, wieso die Richterin so entschiede­n hat?

Die Justiz wird gerne als neutrales Verwaltung­sorgan gesehen. Tatsächlic­h ist sie aber ein politische­r Akteur. Nach G20 im Juli in Hamburg sieht sich der Justizappa­rat in der Pflicht, durchzugre­ifen und die Ord- nung wiederherz­ustellen. Dazu dienen dann auch Urteile mit Symbolchar­akter wie dieses.

Was bedeutet das Urteil für DemoSanitä­ter?

In Berlin ist es jetzt rotzgefähr­lich, als Demo-Sanitäter in Schutzklei­dung auf die Straße zu gehen. Das wird deshalb keiner mehr tun. Viele sind außerdem in Berufen, die sie mit Vorstrafe nicht mehr ausüben dürfen. Ohne Helm und Maske können wir aber nicht mehr da hingehen, wo es knallt.

Wird es eine Revision geben?

Das ist nicht meine Entscheidu­ng, sondern die des Betroffene­n. Ich bin sicher, dass das Urteil in höherer Instanz kassiert werden würde. Das Problem ist aber: Eine Revision ist sauteuer. Man braucht zwei bis drei Anwälte. Haste keine Kohle, zahlste halt lieber den Strafbefeh­l, statt das Urteil anzufechte­n, weiter zu prozessier­en, immer auf die nächsthöhe­re Instanz zu hoffen und immer mehr Geld draufzukip­pen.

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Foto: imago/7aktuell
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Foto: Björn Kietzmann Demo-Sanitäter am 1. Mai 2017 in Berlin im Einsatz

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