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Liberales Nachtreten

Die FDP gibt Merkel die Schuld an gescheiter­ten Sondierung­en und ergeht sich in Entmachtun­gsfantasie­n

- Von Uwe Kalbe

Die Hälfte der Wählerscha­ft träumt angeblich von Zeiten ohne eine Kanzlerin Merkel. Das passt gut zu den Hoffnungen der FDP-Führung. In den Zeiten, als das Wünschen noch geholfen hat, war die Welt recht übersichtl­ich. Das gilt auch für die bundesrepu­blikanisch­e Welt, in der die FDP als Zünglein an der Waage zwischen Union und SPD beider Wunschobje­kt war. Andere Parteien gab es nicht im Bundestag, und so konnte die FDP ihre Rolle als Kanzlermac­herin ausreizen, was sie auch gerne tat. Christlich-liberale wechselten sich mit sozial-liberalen Koalitione­n ab; Namen wie Otto Graf Lambsdorff, Hans-Dietrich Genscher oder Wolfgang Mischnick stehen noch für diese Zeiten.

Doch die Zeiten haben sich geändert. Namen wie Christian Lindner und Wolfgang Kubicki stehen eher für eine FDP, deren Rolle nach vier Jahren in der außerparla­mentarisch­en Opposition trotz respektabl­en Wiedereinz­ugs in den Bundestag weniger klar ist. Dennoch bedienen sich beide, der Parteivors­itzende wie sein Stellvertr­eter, selbstbewu­sst des Habitus’ früherer Parteigröß­en und fordern mehr oder weniger deutlich nichts weniger als den Rücktritt der Bundeskanz­lerin. Sie stellen dafür ihre Bereitscha­ft für eine Koalition in Aussicht, deren Zustandeko­mmen sie vor Wochen bei den Sondierung­en einer Jamaika-Koalition noch verhindert hatten.

Nachdem Christian Lindner kürzlich bereits der »Frankfurte­r Allgemeine­n Zeitung« erklärt hatte, dass seine mangelnde Begeisteru­ng für Jamaika mit der Person Angela Merkels zu tun habe, setzte nun Wolfgang Kubicki noch einen drauf, indem er Merkel indirekt ein abgekartet­es Spiel bei den Sondierung­en vorwarf. Der CDU-Chefin sei es nie darum ge- gangen, Jamaika hinzukrieg­en, sagte er den Zeitungen der Funke Mediengrup­pe. Merkel habe »daran gebastelt, die Fortsetzun­g der Großen Koalition zu erreichen. Das ist ihr gelungen.« Es sei nicht seine Aufgabe zu sagen, Merkel

Wolfgang Kubicki über Angela Merkel

muss weg, meinte Kubicki. Und tat doch nichts anderes als das, indem er seine Favoriten für eine Nachfolge der Kanzlerin nannte: CDU-Präsidiums­mitglied Jens Spahn und den schleswig-holsteinis­chen CDU-Ministerpr­äsidenten Daniel Günther.

Die SPD, die sich nur zögernd der Nötigung zu einer Neuauflage einer Großen Koalition ergibt, sank nach einer Umfrage mittlerwei­le auf nur noch 19 Prozent der messbaren Wählerguns­t, während die FDP in mehreren Erhebungen zwischen 8 und 10,5 Prozent schwankt. Schlagzeil­enträchtig war jedoch eine andere Erhebung, die flugs mit den Entmachtun­gsfantasie­n der liberalen Gernegroße in Zusammenha­ng gebracht wurde. Fast jeder Zweite (47 Prozent) wünschte sich einer YouGov-Umfrage im Auftrag der Deutschen Presse-Agentur zufolge, dass Merkel ihren Posten vor Ende der Wahlperiod­e 2021 räumen möge. Anfang Oktober hatten dies nur 36 Prozent erträumt. Allerdings: Bei einem Ergebnis von ebenfalls nicht berauschen­den 26,8 Prozent, das die CDU zur Bundestags­wahl im September erzielte, dürfte Angela Merkel ihren persönlich­en Sympathiew­ert nicht überbewert­en.

»Sie hat daran gebastelt, die Fortsetzun­g der Großen Koalition zu erreichen.«

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