nd.DerTag

Die Grenzen von Schock-Propaganda

Steffen Twardowski über die Entwicklun­g der wirtschaft­lichen Lage der Bürger und die politische­n Profiteure

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Das turbulente Wahljahr geht zu Ende. Auf eine neue Regierung müssen wir noch warten, die politische­n Verhältnis­se wirken alles andere als stabil. Wie aber sieht die Bevölkerun­g ihre eigene wirtschaft­liche Situation? Sie zeigt sich erstaunlic­h gelassen. Wie in den Jahren zuvor fragte Emnid Mitte Dezember, wie die vergangene­n zwölf Monate bewertet und die kommenden zwölf erwartet werden. Insgesamt meint die Hälfte, ihre wirtschaft­liche Lage habe sich verbessert, 55 Prozent rechnen mit einer Verbesseru­ng im kommenden Jahr. Klar, nur die Hälfte der Bevölkerun­g denkt so, also geht es vielen nicht besser und sie hoffen es nicht. Allerdings veränderte sich die Stimmung in der Bevölkerun­g bezogen auf ihre eigene wirtschaft­liche Lage über einen längeren Zeitraum gesehen deutlich: Im Dezember 2012 kreisten die Positivwer­te für die Antworten auf beide Fragen um die 40 und im Dezember 2008 noch um die 33 Prozent.

Die diesjährig­en Aussagen sind allerdings deshalb besonders interessan­t, weil die persönlich­en wirtschaft­lichen Ergebnisse und Prognosen etwa so wie Ende 2015 eingeschät­zt werden, sich gleichzeit­ig aber die politische Situation grundlegen­d geändert hat. Das lässt sich gut daran demonstrie­ren, welche Themen die Bevölkerun­g damals beschäftig­ten und wie sie heute diese Themen einordnet. Was prägte Ende 2015 fast jedes Gespräch? Der Zuzug von Geflüchtet­en – knapp 60 Prozent hoben damals dieses Ereignis hervor. Gleich darauf folgten für ein Viertel der Komplex Zuwanderun­gs- und Integratio­nspolitik, also die politische­n Antworten auf diese Situation und die Bewältigun­g dieser Herausford­erung durch zahlreiche Helferinne­n und Helfer, den Staat und die Gesellscha­ft insgesamt. Jetzt nennen nicht einmal mehr zehn Prozent beide Themen. Für Gesprächss­toff sorgen vor allem auch der Klima- und Umweltschu­tz, die Bildungspo­litik, die Sorge vor Terror und Extremismu­s, die Rentenpoli­tik und US-Präsident Donald Trump. Übrigens bereitet auch die andauernde Regierungs­bildung der Bevölkerun­g nicht wirklich schlaflose Nächte. Bei dieser Frage lesen die Befrager keine Liste mit Themen vor. Die Leute am anderen Ende der Leitung sagen spontan, was ihnen gerade einfällt.

Festzuhalt­en bleibt also: Ende 2015 zählte über die Hälfte die Zuwanderun­g von Geflüchtet­en zu den aktuellen Themen und Ereignisse­n, jetzt sagen das noch knapp zehn Prozent. Damals wie heute erwarten 55 Prozent, dass sich ihre eigene persönlich­e wirtschaft­liche Lage in den kommenden zwölf Monaten verbessern wird. Offenbar beeinfluss­te der Zuzug von Geflüchtet­en also schon Ende 2015 die persönlich­en wirtschaft­lichen Aussichten der Bevölkerun­g nicht entscheide­nd. Allerdings zeigt sich, dass im Vergleich von 2015 zu 2017 deutlich mehr von denjenigen, die eine Verschlech­terung ihrer wirtschaft­lichen Lage erwarten, AfD wählen würden. Doch ob die AfD gerade denen, die eher pessimisti­sch in die Zukunft blicken, bei der Lösung ihrer Probleme helfen kann, ist mehr als fraglich. Denn wie die vergangene­n beiden Jahre zeigten, zeichnet die AfD für ihre Anhängerin­nen und Anhänger die Zukunft noch dunkler, als diese sie selbst wahrnehmen. Schon die ersten Sitzungsta­ge im neuen Bundestag haben gezeigt, dass es der AfD schwerer als früher fällt, mit ihrer Schock-Propaganda zu punkten.

Werfen wir zum Schluss auch einen Blick auf die SPD. Kurz vor Beginn der Sondierung­sgespräche mit der CDU/CSU meinen 49 Prozent, die soziale Gerechtigk­eit spiele für sie wieder eine größere Rolle als vor einem Jahr. Im Osten fällt die Zustimmung etwas geringer aus als im Westen. Ende 2016 waren es noch 34 Prozent. Bei den SPD-Wählenden kletterte die Zustimmung von 59 und 70 Prozent. Diese Werte entspreche­n fast haargenau jenen, mit denen die SPD Ende 2013 in eine Große Koalition ging. Der Rest ist bekannt: Dann folgte ein heftiger Imageverlu­st auf genau diesem Feld und ein so langer Abstieg in der Sonntagsfr­age, bis andere politische Konstellat­ionen jenseits von Großer Koalition und Jamaika kaum noch möglich waren.

Damit wird noch einmal klar, vor welchem Dilemma die SPD mit den Sondierung­sgespräche­n steht: Sie müsste in einem neuen Koalitions­vertrag ihre Verspreche­n aus dem Wahlkampf weitgehend durchsetze­n, sonst drohen ihr weitere Verluste. Doch dass sie das tut, ist ungewiss. Deshalb ist eine Neuwahl des Bundestags weiterhin nicht ausgeschlo­ssen. Auch wenn das niemand gern sagt.

 ?? Foto: Frank Schwarz ?? Steffen Twardowski analysiert in der Linksfrakt­ion im Bundestag die Politikwah­rnehmung der Bevölkerun­g.
Foto: Frank Schwarz Steffen Twardowski analysiert in der Linksfrakt­ion im Bundestag die Politikwah­rnehmung der Bevölkerun­g.

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