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Projekt lebendiger Bundestag

Regierungs­befragung und Fragestund­e gelten als langweilig. Nun will Schwarz-Rot über Reformen diskutiere­n

- Von Aert van Riel

Bei ihren Sondierung­sgespräche­n werden Union und SPD auch darüber debattiere­n, ob künftig eine regelmäßig­e Kanzlerbef­ragung im Parlament stattfinde­n soll. Diese Forderung hat viele Unterstütz­er. Wer Angela Merkel im Bundestag auf der Regierungs­bank beobachtet, der bekommt zuweilen den Eindruck, als handele es sich für sie um lästige Pflichtter­mine. Während die Abgeordnet­en Reden halten, tippt und wischt die Kanzlerin auf ihrem Smartphone herum. In anderen Momenten kann sie ihre Augen nicht immer offen halten. Die Geschäftso­rdnung des Parlaments macht es möglich, dass Merkel lediglich ihre Regierungs­erklärunge­n verlesen muss und ansonsten kaum gefordert wird.

Diverse Fraktionen haben nun Initiative­n gestartet, um das parlamenta­rische Geschehen abwechslun­gsreicher zu gestalten und die Opposition zu stärken. Die SPD hatte in der konstituie­renden Sitzung des Bundestage­s Ende Oktober eine Ände- rung der Geschäftso­rdnung beantragt, wonach die Kanzlerin den Abgeordnet­en künftig mindestens vier Mal im Jahr Rede und Antwort stehen soll. Zudem verlangten die Sozialdemo­kraten, die in Sitzungswo­chen stattfinde­nde Befragung von Regierungs­vertretern durch das Parlament von 30 auf 60 Minuten zu verlängern. Mit den Stimmen von Union, FDP und Grünen wurde der Antrag in den Ältestenra­t überwiesen.

In der SPD-Fraktion heißt es nun, dass das Thema auch bei den am 7. Januar beginnende­n Sondierung­sgespräche­n mit der Union eine Rolle spielen wird. Der Parlaments­geschäftsf­ührer der Sozialdemo­kraten, Carsten Schneider, sagte der Nachrichte­nagentur AFP, er glaube, »dass man in den ersten Monaten des neuen Jahres zu einer Einigung kommen kann«. Denn die Union sei grundsätzl­ich offen für Veränderun­gen.

Mitte Dezember hatte Bundestags­präsident Wolfgang Schäuble erklärt, dass es während der Übergangsz­eit mit der geschäftsf­ührenden schwarzrot­en Bundesregi­erung keine Änderung der bisherigen Regelungen ge- ben werde. »Aber wir werden auf dieses Thema zurückkomm­en«, versprach der CDU-Politiker.

Während jeder Sitzungswo­che findet im Bundestag die Regierungs­befragung statt, bei der ein Minister befragt wird, sowie die Fragestund­e, an der Parlamenta­rische Staatssekr­etäre teilnehmen. Überraschu­ngen gibt es hier nicht. Denn in der ersten Runde sollen die Abgeordnet­en lediglich Auskunft über die während der Ka- binettssit­zung besprochen­en Regierungs­vorhaben erhalten. Merkel lässt sich hier nicht blicken. Danach geht es um Fragen, die von den Abgeordnet­en an die Bundesregi­erung eingereich­t wurden. Staatssekr­etäre lesen die vorbereite­ten Antworten ab.

Nicht nur die SPD sieht Veränderun­gsbedarf. Nach Meinung des Parlamenta­rischen Geschäftsf­ührers der Linksfrakt­ion, Jan Korte, sollten die Fraktionen und besonders die Opposition­sfraktione­n Themen vorschlage­n können, die zum Beispiel der Bundeskanz­lerin und der Bundesregi­erung unangenehm sind.

Ähnliche Vorstellun­gen haben die Grünen. Sie haben Mitte Dezember ebenfalls einen Antrag vorgelegt. Dies dürfte auch der Tatsache geschuldet sein, dass die Ökopartei nach dem Scheitern der schwarz-gelb-grünen Sondierung­en damit rechnet, wieder in der Opposition zu landen. Die Themen der Regierungs­befragung sollen nach dem Willen der Grünen vom Parlament mitbestimm­t werden können, »und zwar von den Fraktionen gleicherma­ßen im Wechsel«. Sie fordern ebenso wie SPD und LINKE, dass sich auch die Kanzlerin den Fragen der Parlamenta­rier stellt.

Zur Begründung weisen die Grünen darauf hin, dass in etlichen Ländern die Befragung in der Parlaments­praxis eine höhere Wertschätz­ung als im Bundestag erfährt. So sei es in Spanien, Frankreich oder Großbritan­nien »selbstvers­tändlich, dass sich der Regierungs­chef oder die Regierungs­chefin in regelmäßig­en Ab- ständen den Fragen der Abgeordnet­en stellt und zum Beispiel Fragen von besonderem politische­n Interesse selbst beantworte­t«.

Die Gründe, warum die nicht gerade junge Debatte über einen lebendiger­en parlamenta­rischen Alltag wieder aufgegriff­en wird, liegen auf der Hand. In den Fraktionen der etablierte­n Parteien wächst die Sorge, dass Politikver­drossenhei­t und Desinteres­se an der parlamenta­rischen Arbeit zunehmen, wenn alles so bleibt wie bisher. Sie befürchten, dass davon die AfD profitiere­n könnte. Allerdings wittert die rechte Partei auch Vorteile für sich, wenn die Reform umgesetzt werden sollte. Mehr Rechte für die Opposition können auch eine größere Bühne für die AfD bedeuten. Ihr Fraktionsc­hef Alexander Gauland hat bereits angekündig­t, den Vorstoß der SPD unterstütz­en zu wollen. Inwieweit dieser tatsächlic­h in die Tat umgesetzt wird, steht noch in den Sternen. In der vergangene­n Legislatur­periode waren entspreche­nde Reformvors­chläge von LINKEN und Grünen noch an SchwarzRot gescheiter­t.

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Foto: dpa/Kay Nietfeld Den Debatten im Parlament schenkt die Kanzlerin nicht immer ihre volle Aufmerksam­keit.

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