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Härtefall Familientr­ennung

Mit seinem Kompromiss­vorschlag ändert Armin Laschet nichts am grundsätzl­ichen Problem der Kriegsflüc­htlinge

- Von Uwe Kalbe Agenturen Mit

Einer der Streitpunk­te der Koalitions­sondierung­en war und ist der Familienna­chzug für Kriegsflüc­htlinge. Ein Vorschlag aus der CDU soll den Konflikt vor allem zwischen CSU und SPD entschärfe­n. Seit Armin Laschet Ministerpr­äsident von Nordrhein-Westfalen ist, hat er seine Twitternut­zung stark reduziert. »Früher wollte ich alles, was ich falsch fand, richtigste­llen. Heute denke ich oft: Man muss auch einmal schweigen, um etwas zu lösen«, zitiert die »Zeit«-Beilage »Christ & Welt« den CDU-Vize. Mit einem Vorschlag im Vorfeld der Sondierung­en zu einer Großen Koalition mit der SPD im Bund konnte Laschet sich nun offenbar nicht zurückhalt­en. Und es ist offen, ob Schweigen auch in diesem Fall besser gewesen wäre. Es geht um die umstritten­e Frage des Nachzugs von Familien subsidiär geschützte­r Kriegsflüc­htlinge in Deutschlan­d. Die SPD fordert, die bis März 2018 ausgesetzt­e Familienzu- sammenführ­ung zu beenden. Laschet regte einen Kompromiss an und forderte die CSU auf, der SPD entgegenzu­kommen. Es müsse um einen »behutsamen Ausgleich« gehen zwischen der Begrenzung von Zuwanderun­g und humanitär gebotenen Einzelfäll­en. Neben letzteren Härtefälle­n müsse der Familienna­chzug zudem für Flüchtling­e möglich sein, die Wohnung und Arbeit hätten, meint Laschet.

Laschet bezog sich auf ein Urteil des Berliner Verwaltung­sgerichts, das einem 16-jährigen Flüchtling das Nachholen seiner Eltern ermöglicht hatte. Ein besonderer Härtefall war dabei anerkannt worden. Während der evangelisc­he Berliner Bischof Markus Dröge den Vorstoß Laschets begrüßte, machte die Flüchtling­shilfeorga­nisation Pro Asyl darauf aufmerksam, dass ein solcher Kompromiss nichts an der prekären Lage der Betroffene­n ändern würde.

Tatsächlic­h ist die Gesetzesla­ge so, dass auch jetzt Härtefälle ausdrückli­ch Ausnahmen von der Regel des verbotenen Nachzugs ermögli- chen. Und doch gab es seit Beginn der Aussetzung im vergangene­n Jahr ganze 66 Fälle, in denen ein Nachzug aus Gründen besonderer Umstände tatsächlic­h erlaubt wurde. Lediglich 230 weitere Fälle befänden sich in Bearbeitun­g, macht Pro Asyl deutlich.

Günter Burkhardt, Pro Asyl

Ein »behutsamer Ausgleich« zwischen den Standpunkt­en der Sondierer, käme er auf dieser Grundlage zustande, würde für die Betroffene­n mithin kaum etwas ändern. Das laufe auf eine weitere Trennung der Familien hinaus, erklärte Günter Burkhard, Geschäftsf­ührer von Pro Asyl. Und Laschets Vorschlag, Flüchtling­en den Familienna­chzug zu gestat- ten, wenn sie Wohnung und Arbeit vorweisen können, betrachtet Burkhardt als eine letztlich unerfüllba­re Anforderun­g. Dafür sorgt der Gesetzgebe­r mit Zwangsunte­rbringunge­n in der Erstaufnah­me und Wohnortzuw­eisungen.

Die langjährig­e Trennung von Flüchtling­sfamilien nennt Pro Asyl überdies verfassung­swidrig und erinnert an das Grundsatzu­rteil des Bundesverf­assungsger­ichts für den Ehegattenn­achzug zu Gastarbeit­ern. Das Gericht hatte 1987 die damals geforderte dreijährig­e Ehebestand­szeit als Voraussetz­ung für den Nachzug mit der Begründung gerügt, dies übersteige »das von den Betroffene­n hinzunehme­nde Maß«. Hinzu kommt jetzt die unsichere Situation der Flüchtling­e. Bischof Dröge macht auf einen weiteren Punkt aufmerksam: Der Familienna­chzug könne nicht an einer gesellscha­ftlichen Überlastun­g scheitern. Die ursprüngli­ch angenommen­e Zahl von Fällen sei mittlerwei­le auf lediglich rund 60 000 Menschen korrigiert worden.

»Dieser Kompromiss ist keiner, er ist ein Ausdruck des Rechtsruck­s in der Union.«

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