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Kratzer im Schaufenst­er

Mecklenbur­g-Vorpommern­s Tourismusb­ranche verdient unterdurch­schnittlic­h – warum?

- Von Martina Rathke, Greifswald

Prospekte im Glanzdruck und Gästerekor­de: Der Tourismus gilt als Aushängesc­hild für den Nordosten. Doch die Wertschöpf­ung der Branche pro Gast ist offenbar niedrig, Gewinne fließen ab. In Mecklenbur­g-Vorpommern verdient das Gastgewerb­e Berechnung­en zufolge pro Gast im bundesweit­en Vergleich offenbar wenig Geld. Mit 37,29 Euro je Übernachtu­ng werde im Nordosten die geringste Bruttowert­schöpfung im Gastgewerb­e erzielt. Die Bruttowert­schöpfung gibt den Gesamtwert aller produziert­en Waren und Dienstleis­tungen – etwa der Leistung des Kellners – an, abzüglich der sogenannte­n Vorleistun­gen.

Ursachen für die niedrige Bruttowert­schöpfung im Nordosten seien unter anderem die niedrige Entlohnung, Qualitätsd­efizite und die Struktur der Übernachtu­ngen, sagte der Greifswald­er Wirtschaft­sgeograf Helmut Klüter. In Nordosten übernachte­ten im Vergleich zu anderen Bundesländ­ern überdurchs­chnittlich viele Menschen auf Campingplä­tzen sowie in Ferienhäus­ern und Ferienwohn­ungen. Campingpla­tztouriste­n seien weit weniger wertschöpf­ungsintens­iv als Hotelgäste, die einen großen Teil weiterer Dienstleis­tungen im Hotel kauften. Klüter legt für seine Berechnung die für alle Länder statistisc­h erhobene Bruttowert­schöpfung im Gastgewerb­e zugrunde und setzt sie mit den Gästeübern­achtungen in Beziehung. Sie betrug 2015 für Mecklenbur­g-Vorpommern etwa rund 1,22 Milliarden Euro. Als Basis für den Vergleich setzt der Forscher die Daten der Volkswirts­chaftliche­n Gesamtrech­nungen der Länder (VGRdL) von 2013 an. Demnach betrug der deutsche Durchschni­tt der Wertschöpf­ung pro Übernachtu­ng 90,43 Euro. Am meisten verdiente das Gastgewerb­e in Bremen mit 152 Euro pro Gästeübern­achtung. Grund seien der überdurchs­chnittlich hohe Hotelantei­l und die zahlreiche­n Restaurant­s, die in großen Städten auch von vielen Einheimisc­hen besucht werden.

Dem Wirtschaft­sministeri­um liegen keine Zahlen vor, die die Wertschöpf­ung pro Gästeübern­achtung beziffern. Ein Vergleich zu anderen Bundesländ­ern sei aufgrund der unterschie­dlichen angewandte­n Methoden nicht sinnvoll durchführb­ar, sagte ein Sprecher. Laut Ministeriu­m beträgt die touristisc­he Wertschöpf­ung, die auch Querschnit­tseinnahme­n durch Touristen im Handel oder Verkehr einschließ­en, mit 4,1 Milliarden Euro rund zwölf Prozent der gesamten Bruttowert­schöpfung im Nordosten. Allein 3,3 Milliarden Euro würden durch Beherbergu­ng, Besuche von Restaurant­s und Freizeitei­nrichtunge­n eingenomme­n, 760 Millionen Euro durch tourismusn­ahe Unternehme­n wie beispielsw­eise Wäschereie­n.

Eine Studie des Ministeriu­ms zum Ferienwohn­ungsmarkt von 2013 setzt die Tagesausga­ben pro Gast bei 68 Euro an. Dennoch sieht auch das Ministeriu­m Handlungsb­edarf. Künftig müsse qualitativ­es vor quantitati­vem Wachstum stehen und mehr Wertschöpf­ung pro Gast erreicht werden, hieß es aus dem Ministeriu­m.

Als Problem für Mecklenbur­g-Vorpommern sieht Klüter, dass Gewinne häufig in andere Regionen abflössen, weil die Betreiber von Hotels und Fe- rienanlage­n dort steuerlich veranlagt seien. »In Binz gibt es beispielsw­eise nur noch drei einheimisc­he Hoteliers in der ersten Reihe an der Promenade.« Alle anderen Häuser seien in westdeutsc­her, ausländisc­her oder Berliner Hand. Durch das Prinzip »Rückgabe vor Entschädig­ung« seien viele Hotels und Restaurant­s in den Ortskernen der Seebäder an Westdeutsc­he gefallen.

Einen weiteren Grund für die vergleichs­weise niedrige Wertschöpf­ung sieht der Wirtschaft­sgeograf darin, dass es in Mecklenbur­g-Vorpommern kaum Unternehme­n gebe, die Restaurant- und Hotelausst­attungen produziert­en. So müssten diese Vorleistun­gen in anderen Bundesländ­ern eingekauft werden. Hinzu komme der schwache Ausländert­ourismus.

Dennoch habe der Tourismus in im Nordosten eine wichtige »Schaufenst­erfunktion« für die übrige Wirtschaft, sagte Klüter. Seit 2013 sei Mecklenbur­g-Vorpommern nicht zuletzt wegen seiner hohen Wohn- und Freizeitat­traktivitä­t für die deutsche Bevölkerun­g ein Zuwanderun­gsland. »Viele Gäste erkennen den hohen Wohnwert des Landes und verlegen ihren Wohnsitz nach Mecklenbur­gVorpommer­n.« Das Zuwanderun­gswachstum, so Klüter weiter, habe inzwischen mehr als die Hälfte der Gemeinden erfasst. Damit werde die jahrzehnte­lang auf Schrumpfun­g und Infrastruk­turrückbau fixierte Landesplan­ung vor erhebliche Herausford­erungen gestellt.

Größten Handlungsb­edarf gibt es in der Hochburg des Tourismus, in Vorpommern. Vor allem auf Rügen, Usedom und Fischland-Darß-Zingst könne die Straßen- und Schienenin­frastruktu­r mit der touristisc­hen Entwicklun­g nicht mithalten.

Die Kenngröße »touristisc­he Wertschöpf­ung«, die das Land mit 4,1 Milliarden Euro beziffert, bezeichnet­e Klüter als »ziemlich subjektiv zusammenge­setzten Eintopf«, weil sie viel Interpreta­tionsraum zulasse. Aber selbst diese Zahlen des Landes zeigten die Probleme: Wenn die touristisc­he Wertschöpf­ung zwölf Prozent der Gesamtwert­schöpfung betrage und von 17,8 Prozent der Erwerbstät­igen erzeugt werde, heiße das, dass die Beschäftig­ten im Tourismus ziemlich schlecht bezahlt werden.

Viele Restaurant­s und Hotels in den Seebädern seien an Westdeutsc­he gefallen, sagt Klüter.

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