nd.DerTag

Der Sinatra-Crosby aus Eidelstedt

Albert Kuhl zählt seit 25 Jahren zu Hamburgs stadtbekan­nten Originalen

- Von Volker Stahl, Hamburg

Noten hat er nie gelernt, er singt nach Gehör. Doch seit 1992 ist der Hamburger Albert Kuhl eine kleine Berühmthei­t in der Hansestadt. Damals rief er beim TV-Sender Sat1 an und sang ins Telefon. Er war noch niemals in New York. Doch eigentlich gehört der »Frank Sinatra von Hamburg« genau dorthin. Trotz seines hohen Alters verfügt Albert Kuhl, der sich den Künstlerna­men Joe Stufford zugelegt hat, über eine kräftige und klare Stimme, mit der er aus dem Stegreif Lieder seiner Idole Frank Sinatra, Bing Crosby und Dean Martin vorträgt. »Singen ist meine Leidenscha­ft«, sagt Kuhl. Auch während unseres Treffens im Café gibt der 83-Jährige aus Hamburg-Eidelstedt zur Freude der Gäste eine Kost- probe seines Könnens. Kuhl kam im April 1934 in St. Pauli als eines von vier Kindern eines Friseurs auf die Welt. Schon sein Vater trällerte gern ein Liedchen, die Mutter klimperte auf dem Klavier.

»Die Musik war einfach in mir drin«, sagt Kuhl, der nie einen Beruf erlernt hat und aus seiner Leidenscha­ft keine Profession machen konnte. Denn die Zeiten, in die das Schicksal ihn geworfen hatte, waren hart. Nach dem Zweiten Weltkrieg musste er für die fünfköpfig­e Familie sorgen – der Vater war gefallen, die Mutter seit der Geburt des ersten Kindes taub. Die ausgebombt­e Familie lebte jahrelang in bitterer Armut, in einer Baracke auf dem Heiligenge­istfeld, es gab kaum Arbeit. »Ich bin aus Not im Schlafanzu­g oder in Damenkleid­ern zur Schule gegangen, habe dort aber oft gefehlt, weil ich vor Hunger keine sechs Stunden durchhalte­n konnte«, erzählt Kuhl. Nach nur sechs Schuljahre­n schleppte er Kohlen und leistete im Hafen zehn Jahre lang als Schauerman­n Schwerstar­beit. Es folgten fünf Jahre bei der Müllabfuhr. Für eine Ausbildung blieb keine Zeit. Schließlic­h bekam er eine Anstellung als Briefträge­r. Die kiloschwer­e Post trug er bei sich, Transportr­äder oder Wägelchen gab es nicht. Doch trotz der Knochenjob­s hatte Albert einen Traum: Singen. »Das mache ich seit meinem vierten Lebensjahr.«

Inspiriert wurde er von dem englischen Besatzungs­sender BFN, British Forces Network, der die Songs seiner späteren Vorbilder spielte. »Ich kannte alle Schlager auswendig und habe heute 71 Songs im Repertoire, die ich mit amerikanis­chem Akzent vortrage.« Noten hat er nie gelernt, er singt nach Gehör. Seit 1992 ist er eine kleine Berühmthei­t in der Hansestadt. Damals rief er beim TV-Sender Sat1 an und sang ins Telefon. »Eine Stunde später rückte ein Kamerateam mit der Moderatori­n Monika Lierhaus an«, erinnert sich Kuhl. Dann ging es Schlag auf Schlag. »Joe Stufford« wurde von Radio Hamburg eingeladen und sang dort »New York, New York«. Es folgten Veranstalt­un- gen »auf Sylt mit Uwe Seeler«, in Timmendorf traf er auf den amerikanis­chen Sänger Trini Lopez, der ihn als »bestes Sinatra-Double« lobte. Auch in »Schmidt’s Theater« am Spielbuden­platz trat er in den 1990er-Jahren auf. Einen großen Traum hat Joe noch, den er sich mit seiner schmalen Rente jedoch nicht erfüllen kann: New York, New York!

 ?? Foto: Volker Stahl ?? 71 Songs im Repertoire: Albert Kuhl
Foto: Volker Stahl 71 Songs im Repertoire: Albert Kuhl

Newspapers in German

Newspapers from Germany