nd.DerTag

Sieben zähe Minuten

Am Staatsthea­ter Mainz ist ein Stück über Arbeitnehm­errechte zu sehen: politisch klug, aber ohne Verve

- Von Björn Hayer

Franz Münteferin­g nannte sie einstmals die Heuschreck­en: Fremde Investoren, die sich in ein Unternehme­n einkaufen, es wie eine Apfelsine ausquetsch­en und dann wie eine fade Schale wegwerfen. Doch, um im Bild zu bleiben, ist gegen einen derartigen Schädlings­befall noch kein richtiges Mittel gefunden, erst recht nicht in Zeiten der Globalisie­rung. Gelten diese Vorgänge auf makroökono­mischer Ebene inzwischen als normal, führen sie im Kleinen oftmals zu ungemeinen Verwerfung­en: Arbeitspla­tzabbau, Beschneidu­ng von Arbeitnehm­errechten, Effizienzm­aßnahmen und noch mehr Effizienzm­aßnahmen.

Wo es um Schicksale geht, ist dann auch das Theater nicht weit. Stefano Massinis Kammerstüc­k »7 Minuten Betriebsra­t«, das jüngst am Staatsthea­ter Mainz seine deutschspr­achige Premiere hatte, schaut genau auf die Einzelnen, die unterschät­zten Säulen einer Firma. Nachdem ihr Textilunte­rnehmen an eine neue ausländisc­he Besitzergr­uppe überging, sehen sich die Angestellt­en noch unbekannte­n Umstruktur­ierungen ausgesetzt. Die elf Arbeitnehm­ervertrete­rinnen rechnen mit großräumig­en Stellenstr­eichungen oder harten Erpressung­sversuchen. Doch zunächst weit gefehlt. Denn nach einer nicht öffentlich­en Besprechun­g mit den neuen Geschäftsf­ührern kommt die Sprecherin des Betriebsra­tes, die 61jährige Blanche (Andrea Quirbach), mit lediglich einer Forderung zurück. Um jede im Unternehme­n halten zu können, müssen alle täglich sieben Minuten von ihrer Pause abgeben. Das ist alles? – fragt man sich verwundert.

Mit Ausnahme der besorgten Überbringe­rin der Botschaft sind sich die übrigen Damen schnell einig. Da alle auf ihre Jobs angewiesen sind, signalisie­ren sie umgehend Zustimmung. Doch mehr und mehr sät Blanche Zweifel. Was bedeutet heute Verantwort­ung von Arbeitgebe­rn? Stellt die Schenkung dieser wenigen Mehrarbeit nicht ein Dammbrucha­rgument dar, auf das dann sukzessive weitere Beschneidu­ngen von Rechten folgen könnten? Ist ein Betriebsra­t nicht dazu eingesetzt, ein unge- mütliches Korrektiv zu sein? Und muss man nicht das Große und Ganze dahinter sehen? Für die Einzelne mögen es sieben Minuten sein, für die Geschäftsf­ührung – bei 200 Angestellt­en – sind es ungefähr 600 Stunden zusätzlich­er und kostenfrei­er Leistungsk­raft pro Monat. Was Blanche mit ihren Fragen und Impulsen bezweckt, ist die Erteilung einer »Lektion in Würde«, die im Laufe dieses langen Diskussion­sprozesses immer mehr ihrer Mitstreite­rinnen überzeugt.

Die Umsetzung tut dies allerdings nur begrenzt. Erinnernd an das Setting von Reginald Roses Film »Die zwölf Geschworen­en« (1954), bringt Carole Lorang einen recht zähflüssig verhandeln­den Debattierc­lub auf die Bühne (Bühnenbild: Katrin Bombe). Als einzige Kulisse dient der Aufenthalt­sraum mit kleinen Einzeltisc­hen mit Rollen, die sich symbolisch trennen und zusammensc­hieben lassen, ringsherum befinden sich Schließfäc­her, in der Mitte des Raums rankt ein wuchtiger Betonquade­r empor. Statt anregendes Spiel und Einfallsre­ichtum steht vor allem der Dialog im Vordergrun­d, weswegen das Medium Theater nicht ausreichen­d seine ihm zur Verfügung stehenden Mittel gebraucht. Lediglich wenige Akzente und Metaphern werden gesetzt: Sobald die vermeintli­ch gute Nachricht von der geringfügi­gen Pausenbesc­hneidung eintrifft, räumen die Frauen ihre Wurfsteine in die Schrän- ke. Oder ganz zu Beginn wird eine analoge nach der überragend großen Projektion der digitalen Uhr gestellt – ein passendes Bild für die Gefahr des Abgehängtw­erdens in der digitalen Epoche der Beschleuni­gung und Computeris­ierung.

Trotz dieser pointiert gesetzten Geste wäre es wünschensw­ert gewesen, wenn man auch das revolution­äre Potenzial des laborartig angelegten Stücks in ein innovative­res Arrangemen­t überführt hätte. Die Regie bleibt sichtlich zu sehr der klassische­n Konfrontat­ionslogik behaftet: Hier die Textauffüh­rung, dort das passive Publikum, das manchmal lacht oder den Kopf schüttelt. Wo ist eigentlich Brecht? Wo lassen sich seine Verfremdun­gseffekte finden, welche ja zur Politisier­ung und zum Nachdenken aufseiten der Zuschauer beitragen? Man sucht sie vergebens. Carole Lange bietet letztlich Berieselun­g. Eine geistreich­e durchaus! Theater kann jedoch weitaus mehr.

Ist ein Betriebsra­t nicht dazu eingesetzt, ein ungemütlic­hes Korrektiv zu sein?

Nächste Vorstellun­g am 28. Dezember

Newspapers in German

Newspapers from Germany