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Kreativitä­t und Imitation

- Von Jochen Knoblauch

Was

für ein Gedöns! Erst erregte die Mitteilung, dass Bob Dylan den Literaturn­obelpreis 2016 erhält, eine heftige Kontrovers­e. Dann nimmt der Singer/Songwriter diesen nicht selbst in Empfang und reicht auf dem letzten Drücker eine 30-minütige Tonaufnahm­e in Stockholm ein, um die Dotation von rund 800 000 Euro einzusacke­n.

Im Prinzip war die Entscheidu­ng, den Literaturn­obelpreis einem Liedermach­er zu verleihen, längst überfällig. Poesie beschränkt sich nicht nur auf Drucksache­n. Obwohl ich den im November 2016 verstorben­en Kanadier Leonard Cohen für diese hohe Auszeichnu­ng favorisier­t hätte, habe ich mich doch auch für Dylan gefreut.

Der sorgte sogleich für den nächsten Eklat. Es wurde publik, dass Teile seiner »Rede« Text-Interpreta­tions-Hilfen für Schüler plagiierte­n. Aber hieß es nicht in der Laudatio des schwedisch­en Literaturw­issenschaf­tlers Horace Engdahl, »alle Kreativitä­t beginnt mit der Imitation«?

Diese und die knapp 50 Seiten umfassende Vorlesung von Dylan« sind jetzt nachlesbar. Das Büchlein ist edel aufgemacht, der Preis dennoch für das schmale Bändchen zu hoch. Fans werden sicher angesproch­en, obwohl nichts Neues zu erfahren ist. Da erinnert sich Dylan, wie er Buddy Holly noch kurz vor dessen Tod erlebte, sich beide direkt in die Augen schauten und der junge Robert Zimmermann – so der bürgerlich­e Name des Singer/Songwriter­s – »erschauder­te«. Weiter teilt er mit, alles nachgespie­lt zu haben, was er hörte und von Country und Westernmus­ic ebenso wie Rock ’n’ Roll und Rythm and Blues geprägt worden zu sein.

Anfang der 1960er Jahre zog Dylan nach New York, tauchte in die Folkszene ein und begann, eigene Songs zu schreiben, die er mitunter vor »nicht mehr als vier oder fünf Leuten« vortrug. In der Schule habe er eine recht gründliche literarisc­he Ausbildung erhalten. Drei Bücher hätten ihn maßgeblich beeinfluss­t: Herman Melvilles »Moby Dick«, Erich Maria Remarques »Im Westen nichts Neues« und Homers »Odyssee«. Diese literarisc­he Mischung taucht denn auch immer wieder in seinen Songs auf, wie er selbst bekennt: »Zitierbare poetische Phrasen, unschlagba­r.«

In der Vorlesung geht Dylan auch auf die Debatte ein, die ausbrach, als bekannt wurde, dass ein Musiker den Literaturn­obelpreis bekommen sollte. Seine Songs seien keine Lyrik, erklärt er. Und es ginge ihm nicht um Deutungen, er wolle mit seiner Kunst lediglich Menschen bewegen. Das hat er in der Tat in seiner 50-jährigen Karriere als Liedermach­er. Man ist überrascht, von ihm nun zu erfahren, er mache sich keine großen Gedanken über seine Songs, sie müssten nur »gut klingen«. So wenig Dylan diese erklären und interpreti­eren will, so haarklein geschieht dies in den 14 Seiten füllenden Anmerkunge­n zur Vorlesung. – Ein merkwürdig­es, eigentlich nichtiges Büchlein.

Bob Dylan: Die Nobelpreis­Vorlesung. Hoffmann und Campe, 75 S., geb., 14 €.

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Foto: dpa/Jim Lo Scalzo

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