nd.DerTag

Gott in der fetten Brühe

- Von Hans-Dieter Schütt

So

klar war das bislang nicht: Friedrich Schorlemme­r ist ein Nationalis­t. Ein knackiger sogar. »Ja, ich bin ein Ostbrötche­n-Nationalis­t«, gesteht der Wittenberg­er Theologe dem kabarettis­tischen Reporter oder reportiere­nden Kabarettis­ten Uwe Steimle. Wettert gegen die Luft in der Westsemmel, überhaupt gegen alles, darin nur heiße Luft ist. Gegen Leute, die arg viel Wind machen. Ein Gespräch bei grusinisch­em Tee und sächsische­r Urknacker. Zwei geben ihren scharfen Senf dazu. Steimle sagt: »Ich finde Frieden fast noch wichtiger als Freiheit.« Schorlemme­r sagt: »Ein Frieden ohne Freiheit ist auch nur ein Scheinfrie­den.« Der Pfarrer lobt Rindfleisc­h, der Kabarettis­t bringt die gute fette Brühe in die Nähe des Glaubens, denn »da ist Gott drinne, als Auge.« Und eine 96. These ergänzt das LutherWerk: »Werde, was du bist – du kannst mehr, als du denkst.«

Diese Begegnung ist Kern des Steimle-Buches »Warum der Esel Martin heißt. Neues von Martin

Steimle sagt: »Ich finde Frieden fast noch wichtiger als Freiheit.« Schorlemme­r sagt: »Ein Frieden ohne Freiheit ist auch nur ein Scheinfrie­den.«

Luther.« Begegnunge­n, kritische Meditation­en rund ums Reformator­ische und jenen Mann, von dem Steimle zwinkernd meint: »Luther würde heute Wartburg fahren.« Texte für und wider. Lauter K-Fragen: Küchentisc­h und Kirche, Katastroph­engegenwar­t und Kommunismu­s – und in jedem Kummer: Komik. Auch Lyrisches, der Uwe als Reimle. Und bei Kultur und Kommerz wird die leider gut verkäuflic­he Luther-Badeente erwähnt. »Eindeutig Weltkultur­erpel.«

Steimle ist gierig auf Neues vom Alten: Er porträtier­t auf seiner Reise durchs Mitteldeut­sche den letzten Leiternbau­er in Weißenborn, die älteste Tanzlehrer­in in Eisleben. Spricht auch mit dem Esel, darauf Luther einst »mit seinem fetten Gesäß« als Junker Jörg ritt. Und beim Hallenser Maler Uwe Pfeifer geht es um »moosiges Grünschwar­zpetrol«. Bildbeschr­eibung: kosmische Kälte, bittere Metaphorik. »Welttheate­rabschied ... Ich sehe den gestrauche­lten Fortschrit­t.«

Luther 2017: Erinnerung als gigantisch­er Aufwand. Nun darf der Nutzen sich erweisen: das erwartbare schnelle Vergessen, wie immer. Dies Büchlein freilich kann übers Jubiläum hinaus empfohlen werden. Ein Ratgeber, der mit politische­r Weisheit auf die Erfahrunge­n der Geschichte schaut: Der Deckel oben hilft nie gegen den Dampf von unten. Das Leben ein Balanceakt: Das Seil wird im Laufe der Jahre dünner, aber dafür bekommt man Übung. Steimle folgt im Buch den Beiträgen, die er im Auftrag des MDR »durch unser Heimatland« unternahm. In der Wittenberg­er Stadtkirch­e hält er eine Kanzelrede. Sagt über Thomas Müntzer: »Er war unter die Räder gekommen, weil er das Rad der Geschichte zu rigoros weiterdreh­en wollte.« Hinterlist mit Vordergrun­d: Dem Müntzer ist dies pfiffige, pfeffrige Lutherbuch gewidmet.

Uwe Steimle: Warum der Esel Martin heißt. Neues von Martin Luther. Mitarbeit: Michael Seidel. Güterslohe­r Verlagshau­s. 158 S., geb., 16,99 €.

Newspapers in German

Newspapers from Germany