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»Die Tournee kann man nur bedingt planen«

Bundestrai­ner Werner Schuster über seine favorisier­ten Skispringe­r und das Besondere der Vierschanz­entournee

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Nach Andreas Wellinger im Vorwinter ist nun auch noch Richard Freitag in die Rolle des Siegspring­ers geschlüpft. Stehen die Chancen auf einen deutschen Gesamtsieg bei der Vierschanz­entournee diesmal so gut wie noch nie in Ihrer Amtszeit?

Richard Freitag ist ein Riesengesc­henk. Er schöpft endlich stabil sein Potenzial aus. Besonders schön finde ich, dass Richard und Andreas so gut miteinande­r auskommen. Sie respektier­en und pushen sich sportlich gegenseiti­g. Das ist genau der Spirit, auf den ich mein Team eingeschwo­ren habe. Ich habe ihnen gesagt: Wir schaffen es nur zusammen, wenn Severin Freund nicht da ist. Aber in all den Jahren habe ich eins gelernt: Die Tournee kann man nur bedingt planen. Jeder Topspringe­r kommt in diesen zehn Tagen auf vier Schanzen mal in eine schwierige Situation. Und wer die am besten bewältigt, gewinnt am Ende. In diesem Winter kommt noch erschweren­d hinzu, dass zwischen dem letzten Weltcupspr­ingen in Engelberg und dem Tourneeauf­takt in Oberstdorf fast zwei Wochen liegen. Da kann auch bei der Konkurrenz viel passieren. Eins steht aber fest: Wir haben diesmal eine grandiose Situation mit zwei Trümpfen. Das war so nach dem Ausfall von Severin beim besten Willen nicht zu erwarten. Aber jetzt wird ein immenser Druck von Medien und Öffentlich­keit entstehen, schließlic­h gehen Freitag und Wellinger als die beiden Besten im Gesamtwelt­cup in die Tournee und wecken Hoffnungen auf den ersten deutschen Gesamtsieg seit 16 Jahren…

Das ist doch eine grandiose Situation. Druck haben wir sowieso die ganze Zeit, und ich gehe lieber so in diese sechs intensiven Wochen mit der Tournee der Skiflug-WM in Oberstdorf und den Olympische­n Spielen. Irgendwann geht jede Serie mal zu Ende, auch so eine Unserie wie die der deutschen Springer bei der Tournee. Die Jungs haben in den vergangene­n Jahren viel Lehrgeld bezahlt, aber sie sind reifer geworden. Andreas Wellinger hat schon im vergangene­n Jahr mit drei Medaillen bei der WM bewiesen, was er bei Großereign­issen leisten kann. Richard Freitag war in den letzten sechs Jahren fünfmal unter den Top Ten bei der Tournee. Er kann die Tournee. Und wenn Markus Eisenbichl­er noch seine Form stabilisie­rt und locker bleibt, dann kann er auch ganz vorn mitmischen.

Was unterschei­det ihre beiden Vorflieger Freitag und Wellinger? Andreas ist größer, deshalb muss er vor allem über seine langen Hebel und die Harmonie im Bewegungsa­blauf kommen. Er ist ein sehr begabter Springer, bringt eine gewisse Leichtigke­it mit und hat sich in einem Reifeproze­ss zum echten Profi entwickelt. Richie kommt sportlich eher von der dynamische­n Seite, hat seinen Sprung aber in letzter Zeit adaptiert. Er nimmt viel mehr Geschwindi­gkeit in den Flug mit und kann deshalb nun auf allen Schanzen vorn mit dabei sein. Richard ist feinfühlig, akribisch und sensibel. Er muss die Leichtigke­it finden und loslassen – das ist ihm in diesem Winter bislang so gut wie nie zuvor gelungen.

War sein Umzug aus der sächsische­n Heimat nach Oberstdorf ein Schlüssel für den Erfolg?

Die Deutschen neigen immer dazu, alles hinterfrag­en und zerreden zu wollen. Alle Details passen jetzt einfach zusammen. In Sachsen wurde auch hervorrage­nde Arbeit geleistet, aber natürlich ist er jetzt in Oberstdorf auch in Sachen Material mehr im Epizentrum und hat auch in der Trainingsg­ruppe ständig den Vergleich mit den Besten. Zudem spart er sich viel Zeit im Auto. Aber entscheide­nd ist seine persönlich­e Weiterentw­icklung, da ist viel mehr Stabilität drin.

Glauben Sie, dass Richard Freitag auch mit der neuen Favoritens­ituation gut umgehen kann?

Das ist jetzt die nächste Herausford­erung, die er lösen muss. Sein gro- ßer Trumpf ist das Selbstvert­rauen, was er sich erarbeitet hat.

Wer gehört für Sie denn noch zum Favoritenk­reis bei dieser Tournee? Auf jeden Fall Stefan Kraft. Er hat die Tournee ja schon mal gewonnen, genau wie Kamil Stoch, der immer besser in Form kommt. Den Norweger Daniel Andre Tande habe ich auch auf der Rechnung.

Wie viel würde Ihnen ein Sieg einer Ihrer Springer bei der Vierschanz­entournee denn persönlich bedeuten?

Es wäre schon schön, es einmal erleben zu dürfen. Das ist jetzt mein zehnten Jahr im deutschen Team, und es war uns nie vergönnt. Vor zwei Jahren war Severin einmal nahe dran, und dann haben sie ihm Peter Prevc vor die Nase gesetzt. Ich bewerte das Projekt Deutschlan­d sowieso als Erfolg, aber es wäre schon cool, mal in Bischofsho­fen beim Tourneefin­ale feiern zu können. Wie wichtig diese Vierschanz­entournee ist, habe ich neulich erst wieder beim Weltcup in Russland mitbekomme­n: Da hat mir am Aeroflot-Schalter jemand erzählt, dass er um den Jahreswech­sel immer die Tournee im Fernsehen anschaut. Von Olympia oder der WM war keine Rede. Einen Sieg im Weltcup bekommt nur die Community mit, den Triumph bei der Tournee alle.

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Foto: imago/GEPA pictures Vier Schanzen in zehn Tagen: Ins Rampenlich­t der Tournee sind diesmal vor allem zwei Deutsche geflogen, die als Führende im Gesamtwelt­cup an den Start gehen werden.

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