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Jahreswech­sel ohne Heim und Heizung

Italienisc­he Erdbebenop­fer warten noch immer auf die versproche­ne Hilfe aus Rom

- Von Wolf H. Wagner, Florenz

Bereits im zweiten Jahr nach den Erdbeben in den Abruzzen müssen viele Menschen ohne eigenes Heim und Heizung überleben. Rom hatte feste Unterkünft­e versproche­n. Doch die wurden nicht gebaut. Es ist ein ungewöhnli­ch milder Winter 2017. Die anhaltende Trockenhei­t des Sommers hält im Großen und Ganzen auch in den Herbst- und Wintermona­ten an. Was sich für die Natur langsam zur Katastroph­e ausweitet, ist für viele Menschen Umbriens, Latiums und der Abruzzen bislang ein Glück: Im August und Oktober 2016 zerstörten zwei kräftige Erdbeben viele Städte und Gemeinden der Region. 298 Menschen starben in den Trümmern ihrer Häuser in Amatrice, Accumoli und Arquata del Tronto, als ein starkes Beben am 24. August die Region erschütter­te. Eine weitere Erschütter­ung am 26. Oktober richtete wiederum Zerstörung­en an, diesmal jedoch waren keine Todesopfer zu beklagen.

Seither sind Zehntausen­de ohne eigenes Heim und Obdach, wohnen in Notunterkü­nften, Hotels oder bei Verwandten. Die Regierung Matteo Renzis in Rom versprach, bis Weihnachte­n genügend Holzhäuser in den Gemeinden zu errichten, um den Menschen die Möglichkei­t zu geben, in der Heimat zu verbleiben. Doch auch zum zweiten Weihnachts­fest nach den Erdbeben hat sich die Lage vor Ort nicht deutlich verbessert.

Millionen und Abermillio­nen Euro Spendengel­der vom Staat, der Europäisch­en Union und aus privater Hand sind seit den Erdbeben geflossen. Doch offensicht­lich erreichten sie weder die betroffene­n Gemeinden noch die dort lebenden Menschen. Staatsanwa­ltschaften beschäftig­en sich inzwischen mit dem ominösen Geldfluss.

Dramatisch­er jedoch ist, dass die versproche­ne praktische Hilfe nicht ankommt. Die von Renzi vollmundig angekündig­ten erdbeben- und klimasiche­ren Häuser existieren nur auf dem Papier, nicht aber vor Ort. Schon das Verspreche­n zum Weihnachts­fest im vergangene­n Jahr wurde nicht eingehalte­n. Gebrochen wurde auch das Verspreche­n, dass bis zum diesjährig­en Fest 85 Prozent der Häuser geliefert und aufgestell­t würden. In den Abruzzen wurden inzwischen 26 von 238 geplanten Bauten errichtet, in Latium 687 von 826, in den Marken 562 von 1884 Häusern und in Umbrien 418 von 756. Noch dominieren in den betroffene­n Gemein- den die Wohncontai­ner, an manchen Orten stehen gar noch die blauen Zelte des Zivilschut­zes.

Doch nicht nur die reine Zahl der errichtete­n Bauten ist unzureiche­nd und beschämend. Auch der technische Zustand der Holzbauten ist mangelhaft und den klimatisch­en Bedingunge­n der betroffene­n Bergregion­en nicht angepasst. Die Dächer haben ein zu niedriges Gefälle, um große Schneelast­en zum Abrutschen zu bringen. Wasserrohr­e sind zu oberflächl­ich installier­t und frieren schon bei geringen Nachtfröst­en zu. Auf den Dächern montierte Boiler rotten vor sich hin. Weder Gas- noch Stromleitu­ngen sind adäquat installier­t, weder funktionie­rt ein Backofen noch der Kühlschran­k. Vom Fernseher ganz zu schweigen, der hier – wo man nicht ins Theater oder Kino gehen kann – ein wichtiges Kommunikat­ionsmittel und einziges Freizeitan­gebot ist.

Die Bewohner der betroffene­n Gemeinden sind erbost und weisen laut Medienberi­chten die Schlüssel für diese »Häuser der Schande« zurück. »Lieber bleibe ich im Container«, erklärte Anna Rita Valentini einer Tageszeitu­ng. Dort verbrachte sie mit Mann und Söhnen die Weihnachts­feiertage.

Für das Jahresende hat der italienisc­he Meteorolog­ische Dienst eine Schlechtwe­tterperiod­e mit Sturm, Regen und Schnee angekündig­t. Für die in Containern und schlecht beheizbare­n Holzhäuser­n wohnenden Erdbebenop­fer eine weitere Schreckens­nachricht.

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Foto: imago/Xinhua Auch in Amatrice haben viele Betroffene noch immer kein festes Dach über dem Kopf.

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