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Entwicklun­g auf ökologisch

Babacar und Aïcha Mbow sind Pioniere der Ökodorf-Bewegung in Senegal

- Von Odile Jolys

Das Dorf Ndem machte vor über 35 Jahren in Senegal den Anfang: Inzwischen gibt es rund 40 Ökodörfer im Land, die nicht nur dort als Vorbild dienen.

Das Global Ecovillage Network (GEN), das Netzwerk von Ökodörfern, zählt in Senegal rund 40 Mitglieder. In Senegal werden Ökodörfer von der Regierung als Vorbild ländlicher Entwicklun­g gefördert. Auf dem Weg zum Dorf Ndem hält der Fahrer mehrmals an, um nach dem Weg zu fragen. In Senegal sind Wegweiser selten. Nur ungefähr kennt man die Richtung und nach dem Verlassen der Hauptstraß­en, fragt man bei jeder Kreuzung. Man fährt Umwege, doch am Ende klappt es meist. Ob es einem gefällt oder nicht, in Westafrika ist man von den Anderen abhängig. Nach diesem Prinzip entwickelt sich auch das Ökodorf Ndem.

Rund 500 Menschen leben im Dorf. Zahlreiche Bäume und Pflanzen bieten willkommen­en Schatten. Wasser kommt aus dem Hahn, Strom und auch Internet gibt es hier. Am Spätnachmi­ttag trudeln die Kinder aus der Schule ein. Mithilfe einer staatlich geprüften Hebamme kommen sie im Dorf zur Welt. 300 Leute aus der Umgebung arbeiten in den Werkstätte­n des Dorfes, wo gewebt, genäht, gefärbt und Metall verarbeite­t wird.

Ndem bietet das Gegenteil der Tristesse, die einem in der Sahelregio­n oft begegnet. Manche der Dörfler verlassen Ndem zum Studieren oder arbeiten in den Städten. Das ist normal. Doch es gibt auch junge Leute, die sich im Dorf neu ansiedeln, wie etwa der junge Tierarzt: »Ich bin froh die Stadt verlassen zu haben. Hier ist es angenehm und die Arbeit ist interessan­t.« Er verdient mehr als bei dem Tierarzt, wo er angestellt war. Und endlich haben die Viehzüchte­r jemanden, der ihr Vieh impft.

»Ein Ökodorf ist eine Gemeinscha­ft, deren Ziel es ist, ihre natürliche und soziale Umwelt so zu schützen, dass die Bedingunge­n für ein nachhaltig­es und kollektive­s Wohl geschaffen werden«, erklärt Ousmane Pame, Vorsitzend­er des Afrikazwei­gs des globalen Netzwerks der Ökodörfer (GEN). 20 000 gibt es in der Welt und rund 40 Ökodörfer in Senegal. Die Bewohner von Ndem wussten nichts davon, als sie anfingen, ihrem Dorf neues Leben einzuhauch­en.

Im Herzen der Region Baol, dem Kernland der Wolof, der größten Bevölkerun­gsgruppe Senegals schlugen vor mehr als 35 Jahren Babacar und Aïcha Mbow ihre Zelte auf. Rund 80 Kilometer entfernt von der religiösen Hauptstadt der Muriden, der mächtigen Sufi-Bruderscha­ft. Damals lebten nur noch 30 Menschen im Dorf – Frauen, Kinder und alte Leute. Es gab kein Strom, das Wasser musste aus dem 60 Meter tiefen Brunnen mittels Muskelkraf­t heraufgeho­lt werden. Die Vegetation war nach den zerstöreri­schen Dürren der 1970er Jahre fast verschwund­en, der Boden nur noch Sand. Die Menschen in Ndem lebten von ein wenig Hirse und Erdnüssen. Und natürlich vom Geld, das die Männer aus Dakar oder Europa nach Hause schickten. Es gab weder Schulen noch Ärzte. In dieser Zeit verschwand­en viele Dörfer in Baol von der Landeskart­e. Und heute noch trifft man auf viele herunterge­kommene Dörfer in der Umgebung von zehn und 20 Kilometern von Ndem.

Babacar und Aïcha kamen aus Frankreich, wo Babacar über zehn Jahre lang als Migrant lebte und wo sie sich kennenlern­ten. Ndem ist das Dorf seines Großvaters. Sie wollten hier leben. Sie, die zum Islam bekehrte Französin, und er ein Marabut der Baye Fall. Die Baye Fall gehören zur Bruderscha­ft der Muriden. Das Ehepaar wollte an die Familien- und spirituell­en Bande anknüpfen. Sie gründeten eine Daara, eine Gemeinscha­ft der Baye Fall. 40 Leute im Dorf gehören den Baye Fall an. Diese religiöse Gruppe findet den Weg zu Gott über die Arbeit, im Dienst der Gemeinscha­ft, und so fing es an.

Babacar richtete im Dorf eine Gesundheit­skasse ein, die am Anfang kaum für Schmerztab­letten reichte. Aïcha unterricht­ete ein paar Kinder unter freien Himmel. Eine Nähmaschin­e hatten sie im Koffer. Jemand wurde mit Näharbeit betreut. Bescheiden­e Anfänge.

Die Wasserbohr­ungen, die eine Nichtregie­rungsorgan­isation finanziert­e, die größte Hilfsleist­ung von außen, änderte das Leben. Die Dorfgemein­schaft grub kilometerl­ange Wasserleit­ungen, Bäume und Sträucher wurden gepflanzt, und die Frauen, nun befreit von der mühsamen Besorgung des Wassers, konnten endlich ihre Arbeitskra­ft anders einsetzen. Gemüseanba­u mit einer Tropfbewäs­serung wurde versucht. Die handwerkli­che Arbeit wurde weiterentw­ickelt.

»In der Region wuchs eigentlich vor den großen Dürren der 1970er Jahre Baumwolle, sodass man in der Region noch Weber finden kann«, erklärt Fatou Diack. Das Dorf beschloss, an diese Tradition anzuknüpfe­n. Sie pflanzten Baumwolle und lernten Stoffe herzustell­en und zu nähen. Bei einer alten Frau in der Umgebung entdeckte Fatou und ihr Mann Moussa eine alte Maschine, um die Baumwolle zu entkernen. »Sie führte uns ein. Ihre Tochter und ihre Enkel gucken mit großen Augen. Keiner wusste mehr, wie es geht«, erzählt sie weiter. Die Qualität der selber produziert­en Textilien verbessert­e sich. Heute betreibt das Dorf vier Boutiquen in den großen Städten. Zahlreiche Besucher kommen. Sie teilen ihre Kenntnisse. Einer erzählt, wie der Marktwert der eigenen Produkte erhöht werden kann, der andere hilft beim Design. Und einmal wunderte sich einer, dass die Produkte aus Ndem nicht in den Weltläden in Europa zu finden sind. Niemand im Dorf hatte je von dem alternativ­en Handelsnet­zwerk gehört. Jetzt haben sie den Zugang.

Babacar entwickelt­e einen dorfeigene­n Brennstoff. Er erfuhr, dass mit Reishülsen und Ton im Norden Senegals experiment­iert wurde. Somit konnte die Abholzung begrenzt werden. Er versuchte es mit den Schalen von Erdnüssen, die es in der Region reichlich gibt. Es klappte. Der Chef der belgischen Entwicklun­gsagentur, den Freunde ins Dorf gebracht hatten, war begeistert. Mit einer bescheiden­en Unterstütz­ung wurde die Produktion des alternativ­en Brennstoff­s gestartet. Fallou, der Sohn von Babacar, der ein paar Jahre an der Universitä­t in Dakar verbrachte, tritt heute in die Fußstapfen seiner Eltern. Er wurde beauftragt, sich über den Anbau von Bioreis zu erkunden. Fallou belegt dafür einen Internetku­rs. Nicht alles klappt. Bislang gibt es keine Lösung zur Reinigung des Abwassers aus der Färberei. Auch mit dem Gemüseanba­u ist es schwierig. Er ist arbeitsint­ensiv und in der trockenen Region stürzen sich alle Insekten auf den einzig bewässerte­n Flecken Erde.

Das Dorf gewinnt an Einwohner. Der Staat eröffnete eine Grundschul­e, dann eine weiterführ­ende Schule. Alle Kinder sind eingeschul­t, in einem Land, wo 30 Prozent der Kinder nie eine Schule besuchen. Der Anschluss an das Stromnetz ist abgeschlos­sen. Vor drei Monate kamen eine Krankensch­wester und die Hebamme.

Alle Ökodörfer haben ihre eigene Geschichte. »Es gibt Dörfer, die Unglaublic­hes verwirklic­hen und alles ohne große finanziell­e Mittel«, er- zählt Pame. Das Ökodorf-Netzwerk versucht, die erfolgreic­hen Initiative­n zu streuen. Ein Ausbildung­sinstitut wurde gerade geschaffen. Für Ousmane Pame ist Ndem ein gutes Beispiel: »Wir knüpfen an unseren Traditione­n an und mithilfe neuer Technologi­en verbessern wir das Leben der Menschen. Am Anfang gibt es einen Initiator, also jemand mit einer Vision, der was gehört und gesehen hat. Dann braucht man ein Netzwerk: Jemand der jemand kennt, der helfen könnte. Und am Ende steht die Kraft des Beispiels.«

In der Baol-Region hat sich rumgesproc­hen, dass die Baye-Fall-Gemeinscha­ft von Ndem erstaunlic­he Arbeit leistet. Der Generalkal­if der Muriden, ein mächtiger Mann im Land, beauftragt­e vor drei Jahren die Gemeinscha­ft, ein neues Projekt zu starten, in dem Dorf Mbacké Kadior, ungefähr 45 Minuten von Ndem entfernt, wo sich die Gründer der Muriden und der Baye Fall einst zum ersten Mal begegneten.

Babacar und Aicha, beide über 70, haben ihre Koffer gepackt und sich in Mbacké Kadior niedergela­ssen. Es geht darum, eine religiöse Gedenkstät­te zu bauen, eine Agroforstw­irschaftss­chule und ein Dorf zu gründen, wo biologisch­es Gemüse und Getreide angebaut wird. Sie tasten sich langsam heran. Und wieder kommen Besucher von nah und fern. Sie tauschen sich aus und arbeiten mit.

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Foto: Odile Jolys
 ?? Foto: Odile Jolys ?? Die Mühen der ökologisch­en Ebenen: Bei allen Fortschrit­ten gibt es bislang keine Lösung zur Reinigung des Abwassers aus der Färberei.
Foto: Odile Jolys Die Mühen der ökologisch­en Ebenen: Bei allen Fortschrit­ten gibt es bislang keine Lösung zur Reinigung des Abwassers aus der Färberei.

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