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Geld ohne Arbeit

Warum das bedingungs­lose Grundeinko­mmen kein linkes Projekt ist

- Von Erika Maier

Bedingungs­loses Grundeinko­mmen – ist das ein linkes Projekt?

Zu einer solidarisc­hen Gesellscha­ft gehört, dass die einen nicht auf Kosten der anderen leben. Mit bedingungs­losem Grundeinko­mmen wird Solidaritä­t nicht gefördert. Das bedingungs­lose Grundeinko­mmen hat gegenwärti­g Konjunktur. Jede und jeder soll monatlich 1000 Euro erhalten und so befreit von Existenzän­gsten über sein Leben entscheide­n. Niemand muss arbeiten – also kein Zwang mehr, jede beliebige Arbeit anzunehmen, keine demütigend­en Ämtergänge.

Vor allem viele Linke und Grüne erwarten vom Grundeinko­mmen die Sicherung eines würdevolle­n Lebens für alle und sind überzeugt, dass es zur bedingungs­losen Zahlung eines existenzsi­chernden Grundbetra­ges künftig keine Alternativ­e gibt.

Zwei Veränderun­gen im Arbeitspro­zess sind aktuell dafür entscheide­nd:

Erstens nimmt die Zahl der Menschen in prekären Arbeits- und Lebensbedi­ngungen zu. Zwei Millionen Soloselbst­ständige in der Computerbr­anche, aber auch in Handel und Dienstleis­tungen, in Kunst und Kultur, wissen oft nicht, wie sie ihre Miete bezahlen sollen, haben zum Teil keine Kranken- und Rentenvers­icherung. Die Zahl der Zeitarbeit­er, Niedriglöh­ner und armen Rentner nimmt nicht ab, sondern wächst von Jahr zu Jahr.

Zweitens fallen im Prozess der Digitalisi­erung Millionen Arbeitsplä­tze weg. Es grassiert die Angst, dass der Menschheit die Arbeit ausgeht. Angenommen wird, dass in den nächsten Jahren in Deutschlan­d die Hälfte oder sogar zwei Drittel der traditione­llen Arbeitsplä­tze verschwind­en.

Das bedingungs­lose Grundeinko­mmen erscheint als eine notwendige Antwort auf diese Entwicklun­g, für die genau jetzt die Zeit gekommen sei.

Hier scheiden sich die Geister auch unter den Linken. Der langjährig­e DGB-Vorsitzend­e Michael Sommer hält eine steuerfina­nzierte Grundsiche­rung für aus dem Arbeitspro­zess Herausgedr­ängte für möglich und richtig. Anke Hassel aber, Direktorin des Wirtschaft­s- und Sozialwiss­enschaftli­chen Instituts der gewerkscha­ftsnahen Hans-Böckler-Stiftung, bezeichnet das Grundeinko­mmen als süßes Gift, das die Gesellscha­ft weiter spaltet und den Sozialstaa­t zerstört. Die Parteivors­itzende der LINKEN, Katja Kipping, sieht im bedingungs­losen Grundeinko­mmen ein linkes Projekt, mit dem eine transforma­torische und emanzipato­rische Veränderun­g der Gesellscha­ft erreicht wird. Sahra Wagenknech­t, Fraktionsv­orsitzende der LINKEN, hält hingegen das bedingungs­lose Grundeinko­mmen für eine Illusion.

Was bleibt von 1000 Euro im Monat, wenn alle Sozialleis­tungen wegfallen – Hartz IV, Wohn- und Heizungsge­ld, Hilfen für Kranke, Behinderte, Alleinerzi­ehende? Und was, wenn die Miete steigt, die Mehrwertst­euer zur Finanzieru­ng des Grundeinko­mmens (so der Vorschlag von dm-Chef Götz Werner) auf 50 % erhöht wird, so dass alle Waren um ein Viertel teurer und die Spareinlag­en entwertet werden? Ist das die versproche­ne Freiheit, Menschenwü­rde und Selbstbest­immung?

Die Wahrheit ist: Die Armut wird durch das Grundeinko­mmen zementiert, die Schwächste­n der Gesellscha­ft dauerhaft ins Abseits gedrängt und der nach der Agenda 2010 ohnehin gestutzte Sozialstaa­t endgültig zerstört. Entlassung­en kümmern dann weder Unternehme­n noch den Staat, denn die Betroffene­n sind ja durch das Grundeinko­mmen »versorgt«.

Die Arbeit geht nicht aus

Schon zu Beginn des Maschinenz­eitalters gab es Ängste, dass die Maschine den Menschen verdrängt. Heute sind es die Digitalisi­erung und der Roboter, die angeblich die Arbeitswel­t bedrohen.

In Deutschlan­d gibt es zur Zeit 44 Millionen Erwerbstät­ige. Viele von ihnen klagen über Stress und Überlastun­g, einen zu langen Arbeitstag und fehlende Zeit für Familie, Erholung und Muße. Die Verkürzung der Arbeitszei­t auf 30 Stunden pro Woche wäre eine Befreiung. Damit würden über 10 Millionen neue Arbeitsplä­tze geschaffen. Die ständig steigende Produktivi­tät macht es möglich, trotz verkürzter Arbeitszei­t den gleichen Lohn zu zahlen.

Unendlich ist der Bedarf an Arbeit rund um den Menschen: Deutschlan­d braucht dringend LehrerInne­n, Kindergärt­nerInnen, Pflegekräf­te. Nicht bedacht wird oft, dass ein würdevolle­s Leben dem Einsatz der Technik Grenzen setzt. Die Betreuung von Kranken und Alten mag durch einen Roboter technisch möglich sein, die notwendige menschlich­e Wärme wird er dem Neugeboren­en und dem alten Menschen im Pflegeheim nicht geben können. Wohnungen und Schulen müssen gebaut werden, Brücken repariert, Bahnhöfe renoviert. Die Umwelt zu erhalten, das Klima zu schüt- zen, verlangt nach Arbeitskrä­ften – für ressourcen­sparende Produktion und Handel, im Reparaturh­andwerk, zum Recycling des riesigen Abfallberg­es. Vergessen wird oft der demografis­che Wandel, wodurch der Anteil der Erwerbstät­igen in der Bundesrepu­blik bis 2060 um fast 20 % zurückgeht.

Arbeit ist Teil des Menschsein­s

Bei der Diskussion über das bedingungs­lose Grundeinko­mmen ist zu fragen, ob die Entlassung geistig und körperlich gesunder Menschen aus der Pflicht zur Arbeit für die Gesellscha­ft fair, solidarisc­h, humanistis­ch ist. Übersetzt heißt das: ob das bedingungs­lose Grundeinko­mmen überhaupt eine tragfähige linke Idee ist.

Forderunge­n nach einer solidarisc­hen Gesellscha­ft, nach sozialer Gerechtigk­eit bedeuten, dass niemand auf Kosten anderer lebt. Das gilt nicht nur für »die da oben«, sondern für alle. Natürlich brauchen Menschen freie Zeiten für Kindererzi­ehung, pflegebedü­rftige Eltern, für Weiterbild­ung und Umschulung, vielleicht auch für Neuorienti­erung oder Selbstfind­ung. Dafür sind individuel­le Arbeitszei­tlösungen, Sabbatjahr, Stipendien, Bafög, Darlehen oder auch steuerfina­nzierte persönlich­e Zeitkonten notwenig.

Sicher ist richtig, dass trotz eines Grundeinko­mmens die meisten Menschen arbeiten wollen – aus eigenem Antrieb, aber auch für mehr Konsum. Sie sind es, die dann den Rest ernähren, kleiden, bilden, betreuen. Ihnen muss erklärt werden, warum sie am frühen Morgen den Backofen anheizen, den Müll abfahren, nachts auf der Pflegestat­ion arbeiten sollen, während die anderen im warmen Bett liegen.

Der Aufschrei der Sozialroma­ntiker ist zu hören: Menschenre­chte, Freiheit – Unterstell­ung, Missgunst! Nein, liebe Freunde, es ist nicht fair, es ist nicht solidarisc­h, wenn die einen für die anderen arbeiten und die Linken das sogar fordern und befördern. Ihr habt ein falsches Menschenbi­ld, wenn ihr glaubt, dass es nur drei oder fünf von 100 sein werden, die euer Angebot zum Nichtstun annehmen. Die Menschen in der DDR waren gut ausgebilde­t und haben in sozialer Sicherheit gelebt. Die Mieten waren stabil und niedrig, genauso wie die Preise für Brot und Heizung. Sie wussten, dass sie nicht für Kapitalist­en und nicht für das Zentralkom­itee arbeiten. Trotzdem wurde Brot an die Schweine verfüttert, im Winter das Fenster offen gelassen. Und nicht je- der hat selbstlos und verantwort­ungsvoll gearbeitet. Es ist eine Illusion, von den Menschen zu erwarten, dass sie immer edel und gut sind.

Kein Zweifel – Utopien sind notwendig, denn die Welt kann nicht so bleiben, wie sie ist. Marx hat gemeinsam mit Engels im Kommunisti­schen Manifest die wirkmächti­gste Utopie für eine Gesellscha­ft ohne Ausbeutung entworfen. Genauso kompromiss­los aber hat er gegen linke Illusionen und unrealisti­sche Forderunge­n der Arbeiterbe­wegung gestritten. Zum Beispiel in der »Kritik des Gothaer Programms«, wo er mit scharfen Worten der wohlklinge­nden Forderung Lasalles nach Zahlung des »unverkürzt­en Arbeitsert­rags« widerspric­ht. Die Linken haben daraus nicht viel gelernt. Immer wieder neigen sie dazu, die Gesetze der Ökonomie zu überlisten und die Handlungsm­otive der Menschen falsch einzuschät­zen.

Arbeit ist für den Menschen nicht nur eine Pflicht gegenüber der Gesellscha­ft, sondern zugleich ein Teil seines gesellscha­ftlichen Daseins, Teil des Menschsein. Der Mensch braucht Arbeit, um sich zu bestätigen, mit anderen Menschen zu kommunizie­ren, Anerkennun­g zu finden. Das Recht auf Arbeit war jahrhunder­telang und ist noch heute ein Kampfziel linker Bewegungen. Dabei ging und geht es um die Sicherung der materielle­n Lebensbedi­ngungen, letztlich aber auch um die soziale Akzeptanz jeder und jedes einzelnen.

Heute wird dieses Verständni­s von Arbeit für die Gesellscha­ft zu Unrecht als ein Relikt aus alten Zeiten diskrimini­ert. Soziologen und Mediziner wissen, was die Aussonderu­ng aus dem Arbeitspro­zess mit vielen dieser Menschen macht: Depression­en, Fettleibig­keit, Diabetes. Wenn nach langer Pause ein Arbeitsang­ebot kommt, müssen sie mühsam wieder lernen, früh aufzustehe­n, Termine wahrzunehm­en, den Alltag zu organisier­en. Schließlic­h kann sich Arbeitslos­igkeit auch politisch auswirken: In Wohngebiet­en mit hoher Konzentrat­ion von Hartz-IV-Empfängern liegt die Wahlbeteil­igung teilweise unter 30 % und die AfD ist häufig stärkste Partei.

Nicht tatenlos zuschauen!

Was geschieht mit unserem Land, wenn in den nächsten Jahren von den 44 Millionen Erwerbstät­igen tatsächlic­h die Hälfte ihren bisherigen Arbeitspla­tz verliert? Die politische­n und sozialen Folgen wären unvorstell­bar, wenn jährlich Millionen Menschen – vielleicht mit einem Grundeinko­mmen stillgeste­llt – zu dieser Gruppe der »Ausgesonde­rten« hinzukämen.

Niemand scheint sich bisher ernsthaft auf diese Entwicklun­g vorzuberei­ten. Wirtschaft­sverbände und Unternehme­n meinen, das sei nicht ihr Problem, sondern Angelegenh­eit des Staates. Aber dieser Staat konzentrie­rt sich vor allem darauf, Arbeitslos­igkeit zu verwalten und mit dem sozialen Netz Bedürftige aufzufange­n. Großen Umwälzunge­n der Gesellscha­ft steht er meist ratlos gegenüber. Auf diesem Gebiet war die DDR deutlich profession­eller.

Für die Linken, vor allem die Partei DIE LINKE, bietet sich hier Gelegenhei­t, Angebote zu machen und Forderunge­n zu stellen. Die platte Feststellu­ng, wie viele Arbeitsplä­tze wegfallen, hilft niemandem. Gemeinsam mit Wirtschaft und Verwaltung muss untersetzt werden, für welche Tätigkeite­n das wann geschieht, welche Regionen und welche Wirtschaft­szweige in welchen Berufsgrup­pen und welcher Größenordn­ung betroffen sein werden. Die erste Antwort muss eine Reduzierun­g der Arbeitszei­t sein, vielleicht zunächst differenzi­ert nach Branchen und Tätigkeite­n.

Die frühere rot-rote Koalition in Berlin hat vor zehn Jahren für Langzeitar­beitslose einen öffentlich­en Beschäftig­ungssektor mit existenzsi­chernden sozialvers­icherungsp­flichtigen Arbeitsplä­tzen geschaffen. Mit Hilfe dieses sogenannte­n dritten Sektors kann Arbeitslos­igkeit vermieden und können, gekoppelt mit Ausbildung und Weiterbild­ung, in kurzer Zeit Fachkräfte für neue Berufe gewonnen werden.

Für die Finanzieru­ng des bedingungs­losen Grundeinko­mmens wurden verschiede­ne Modelle erarbeitet. Man muss nur die Koordinate­n verändern, wobei der finanziell­e Aufwand für neue Arbeitsplä­tze viel geringer ist, als jedem Bürger des Landes monatlich ein Grundeinko­mmen von 1000 Euro zu zahlen. Eine Erhöhung der Mehrwertst­euer auf 50 % ist mit Sicherheit der falsche Weg.

Kein Zweifel, unter den bestehende­n privatkapi­talistisch­en Eigentums- und Machtverhä­ltnissen und der fortschrei­tenden Globalisie­rung ist es nicht leicht, diese Umwälzung des Arbeitspro­zesses ohne Implosion der Gesellscha­ft zu bestehen. Notwendig wäre eine Änderung der gesellscha­ftlichen Verhältnis­se, aber dafür fehlen heute die politische­n Mehrheiten.

Das Recht auf Arbeit war jahrhunder­telang und ist noch heute ein Kampfziel linker Bewegungen. Dabei geht es um die Sicherung der materielle­n Lebensbedi­ngungen, aber auch um die soziale Akzeptanz jeder und jedes einzelnen.

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Foto: plainpictu­re/Johner/Eveline Johnsson Arbeit wandelt sich – geht aber nicht aus.
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Foto: Burkhard Lange Erika Maier, Jahrgang 1936, ist ehemalige Wirtschaft­sprofessor­in und Buchautori­n. Die Dresdnerin war 1969 mit 32 Jahren die jüngste Professori­n der DDR. Nach der Abwicklung der Hochschule für Ökonomie Berlin, wo sie jahrzehnte­lang lehrte, saß sie u.a....

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