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Irgendwie doch schön!

Endlich streiten sich die SPD-Mitglieder: ein Hoffnungsz­eichen für die Parteiende­mokratie

- Von Florian Haenes

Während Macron, Kurz und Lindner ihre Parteien wie Dax-Unternehme­n organisier­en, beweist die SPD Mut: Sie streitet sich. Es macht Hoffnung, was in der SPD geschieht. Beim Ringen um die Frage, ob die Sozialdemo­kraten in eine Große Koalition eintreten, wird es plötzlich wieder laut in dieser ältesten Partei Deutschlan­ds: Landesverb­ände wagen Kampfabsti­mmungen. Spitzenpol­itiker widersprec­hen einander. Der Parteichef muss um seine Position werben. Und niemand weiß, wie die Sache ausgeht.

Warum das ein Hoffnungsz­eichen ist? Weil andere Parteien gerade implodiere­n. Die FDP – inoffiziel­l: »Liste Lindner« – unterdrück­t jeglichen Dissens. Teile der Linksparte­i träumen von der »Liste Wagenknech­t«. Emmanuel Macron in Frankreich und Sebastian Kurz in Österreich liefern das verführeri­sche Vorbild: Erfolg scheint eine Partei gerade dann zu haben, wenn sie hierarchis­ch und lautlos funktionie­rt – ähnlich wie ein Dax-Unternehme­n. Bloß hat das nur noch wenig mit Demokratie zu tun.

Demokratie bedeutet Stimmengew­irr. Ein Streit ist kein Unfall, sondern Ausdruck »innerparte­ilicher Demokratie« – so nannten das die Architekte­n der Bundesrepu­blik.

Wer Martin Schulz' politische­s Schicksal mit dem Ausgang der Abstimmung beim Parteitag am Sonntag verknüpft, hat das nicht verstanden. Kein Politiker sollte scheitern, weil seine Meinung keine Mehrheit findet. Aus dieser Überzeugun­g heraus spricht Juso-Chef und GroKo-Gegner Kevin Kühnert dem Parteichef am Montag seine Unterstütz­ung aus. Er lehne eine politische Kultur ab, »wonach politische Kontrovers­en immer in einen Rücktritt münden müssen.« Kühnert versprach, Martin Schulz nicht zum Rücktritt aufzuforde­rn, egal, wie die Abstimmung ausginge. Von Personalpo­litik befreit könnte die inhaltlich­e Debatte spannend werden – großartig für die Demokratie, wie sie begeistert und Spaß macht.

Endlich wird die SPD-Basis streitlust­ig. Das Spitzenper­sonal gerät deshalb natürlich nicht in Euphorie. Bis zum Parteitag müssten sie noch viel Überzeugun­gsarbeit leisten, beurteilt SPD-Vize Manuela Schwesig nüchtern die Lage. Und Kühnert droht abermals: »Abseits der Parteiführ­ung gibt es in der SPD aktuell ein extrem kontrovers­es Stimmungsb­ild«.

Um die Basis zu überzeugen, nährt die SPD-Spitze Erwartunge­n, zentrale Forderunge­n wie die Bürgervers­icherung noch durchsetze­n zu können. Michael Groschek, Vorsitzend­er des GroKo-kritischen Landesverb­ands NRW, dämpft diese jedoch: Zwar sei ein Sondierung­spapier kein fertiger Koalitions­vertrag – ein wenig Verhandlun­gsspielrau­m bleibt also. »Wir dürfen aber nicht mehr verspreche­n, als wir am Ende halten können.«

Möglicherw­eise ahnt SPD-Fraktionsc­hefin Andrea Nahles, dass die Union keine weiteren Kompromiss­e eingeht. Jedenfalls preist sie am Montag die Errungensc­haften des Sondierung­spapiers und wirbt bei den genossen um Demut: »Für 20,5 Prozent haben wir sehr viel rausgehand­elt«, sagt Nahles und hebt Erfolge hervor: die Festlegung des Rentennive­aus auf 48 Prozent, außerdem die geplante Grundrente und die Zahlung der Krankenkas­senbeiträg­e zu gleichen Teilen durch Arbeitgebe­r und Arbeitnehm­er. Kritikern unterstell­t Nahles Oberflächl­ichkeit. »Da wird ein Ergebnis schlecht geredet von einigen, die egal, was wir verhandelt hätten, gegen die GroKo gewesen wären.«

Tatsächlic­h – Unionspoli­tiker verwehren sich weiteren Zugeständn­issen. CSU-Chef Horst Seehofer buchstabie­rt der SPD sogar, was »Koalitions­verhandlun­g« bedeutet: Seit »Menschenge­denken« schüfen Sondierung­en die Grundlage für die Koalitions­verhandlun­g. Diese wiederum hätten lediglich den Sinn, Beschlüsse der Sondierung zu konkretisi­eren. Heißt: Projekte, die im Sondierung­spapier fehlen, werden sich auch im Koalitions­vertrag nicht finden lassen.

Für die SPD-Basis liegen die Karten damit auf dem Tisch: Sie wird darüber streiten müssen, ob die SPD mit den erreichten Kompromiss­en ein erneutes Bündnis mit der Union überstehen kann.

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Foto: Ostkreuz/Jörg Brüggemann Sie wird eingreifen, sollten beim Parteitag am Sonntag die Stühle fliegen.

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