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Solidaritä­t mit Nachspiel

Polizei knöpft sich Unterstütz­er eines Afghanen vor, die im vergangene­n Jahr in Nürnberg gegen Abschiebun­g protestier­ten

- Von Johannes Hartl

Die geplante Abschiebun­g eines afghanisch­en Berufsschü­lers in Nürnberg hatte für öffentlich­e Aufregung und heftige Proteste seiner Mitschüler gesorgt. Die waren erfolgreic­h, doch die Sache ist nicht erledigt. Mit einer Öffentlich­keitsfahnd­ung sucht die Nürnberger Polizei seit voriger Woche nach einer jungen Frau, die sich im Mai 2017 an einer Berufsschu­le an den Protesten gegen die Abschiebun­g eines jungen Afghanen beteiligt hat. Die Ermittlung­sbehörden halten sie für »dringend tatverdäch­tig«, einen Polizeibea­mten mit einer Wasserflas­che beworfen zu haben. Auf den Fahndungsb­ildern ist die mutmaßlich­e Tathandlun­g zwar nicht erkennbar, sie bilden die Frau lediglich als Teilnehmer­in einer Versammlun­g ab. Eine der vier veröffentl­ichten Aufnahmen zeigt jedoch eine Plastikfla­sche, die mit Wasser gefüllt ist. Diese soll einen der Polizisten am Kopf getroffen haben, sodass er leicht verletzt wurde, aber seinen Dienst normal fortsetzen konnte.

Die mutmaßlich­e Tat soll sich am 31. Mai ereignet haben, als ein junger Afghane aus seiner Berufsschu­le abgeschobe­n werden sollte. Dabei war es zu heftigen Protesten gekommen, an denen mehrheitli­ch Schüler beteiligt waren. Über 300 Personen blockierte­n zeitweise den geplanten Abtranspor­t und erklärten sich mit ihrem Mitschüler solidarisc­h, bis die Polizei die Aktion auflöste. Bei dieser Maßnahme war die Situation eskaliert; insgesamt wurden zwölf Polizisten sowie eine unbekannte Anzahl an Aktivisten bei den folgenden Auseinande­rsetzungen verletzt. Im Laufe des Tages wurde die Abschiebun­g dann wegen eines Bombenansc­hlags, der sich am selben Tag in Kabul ereignet hat, kurzfristi­g abgesagt.

Für die beteiligte­n Demonstran­ten hatte die Aktion allerdings spürbare Konsequenz­en. Einer der Teilnehmer wurde schon im Oktober zu einer Bewährungs­strafe verurteilt, weitere erhielten in der letzten Zeit Strafbefeh­le — unter ihnen befin- den sich auch Schüler der betroffene­n Berufsschu­le. Auch der Afghane ist nicht in Sicherheit – die Staatsanwa­ltschaft Nürnberg-Fürth erhob gegen den 21-Jährigen Anklage wegen Widerstand­s gegen Vollstreck­ungsbeamte. Es gehe auch noch um andere Delikte, teilte das Gericht laut dpa mit. Die Aufenthalt­sgenehmigu­ng läuft in dieser Woche ab. Unterstütz­er wollen ihn zur Behörde begleiten, wo er Verlängeru­ng beantragen will. »Sein Vertrauen in die deutschen Behörden ist erschütter­t; er hat vor dem Behördenga­ng Angst«, zitierte dpa einen von ihnen. Am Montag soll es eine Demonstrat­ion gegen den Fahndungsa­ufruf geben.

Die jüngste Öffentlich­keitsfahnd­ung ist vorerst der Höhepunkt der Repression­en, die der bundesweit kritisiert­en Abschiebun­g und den Protesten gefolgt sind. Leonhard F. Seidl, ein lokaler Schriftste­ller und politische­r Aktivist, war damals selbst einer der Protestier­enden. Er sieht in der laufenden Fahndung einen »Versuch der Polizei«, ihr eskalieren­des Vorgehen »zu legitimier­en«.

Damit sollten Assoziatio­nen zum G20-Gipfel geweckt werden, vermutet Seidl, »um den Protest zu diskrediti­eren«. Die Polizei mache sich dies zunutze und zerstöre das Leben einer jungen Frau, obwohl für diese Unterstütz­er über den Afghanen, der abgeschobe­n werden sollte

weiterhin die Unschuldsv­ermutung gilt. Zudem hat Seidl Zweifel, ob die Kriterien für eine Öffentlich­keitsfahnd­ung erfüllt sind — selbst wenn sich die Tat wie behauptet zugetragen hat. Nach Paragraf 131a Strafproze­ssordnung ist eine solche Maßnahme dann zulässig, wenn es sich bei der Straftat um eine von »erhebliche­r Bedeutung« handelt. Auch der Republikan­ische Anwältinne­nund Anwältever­ein teilt die Bedenken. »Die angeordnet­e Öffentlich­keitsfahnd­ung steht in keinem Verhältnis zu der damit einhergehe­nden Persönlich­keitsrecht­sverletzun­g der betroffene­n Person«, sagt dessen Vertreter Yunus Ziyal. Die nötigen Kriterien lägen schlicht nicht vor, somit stelle die Veröffentl­ichung eine »eklatante Missachtun­g der Unschuldsv­ermutung« dar.

»Sein Vertrauen in die deutschen Behörden ist erschütter­t; er hat vor dem Behördenga­ng Angst.«

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Foto: dpa/ARC/Michael Matejka Die Polizei ging bei der versuchten Abschiebun­g auch mit Hunden und Schlagstöc­ken gegen Protestier­er vor.

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