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Nicht nur ein Kampf mit der Krankheit

Während des Ärztestrei­ks wurde Polens Gesundheit­sminister ausgewechs­elt. Die Probleme bleiben

- Von Wojciech Osinski, Warschau

Im polnischen Gesundheit­swesen ging es 2017 heiß her. Eine Verbesseru­ng des Systems wird nur langsam eintreten, trotz neuer Krankenhäu­ser und höherer Ausgaben. Das polnische Gesundheit­swesen war bisher die größte Herausford­erung für jede Regierung seit 1989. Beinahe jeder Gesundheit­sminister musste nach der in Polen fast schon traditione­llen Kabinettsu­mbildung seinen Stuhl räumen. Das war diesmal nicht anders. Während der Ärztestrei­ks im vergangene­n Jahr stand Ressortche­f Konstanty Radziwill unter Dauerbesch­uss, obwohl auch er selbst sich einst vor Amtsantrit­t die Slogans der Streikende­n auf die Fahnen schrieb. Dennoch musste der 60-jährige Arzt seinen Rücktritt einreichen.

Sein Nachfolger, der 45-jährige Kardiologe Łukasz Szumowski, wird es nicht leichter haben. Auch das größte Talent vermag gegenwärti­g der miserablen Situation des polnischen Gesundheit­swesens nicht beizukomme­n. Einerseits kann sich Polen einer Vielzahl von begabten Me- dizinern erfreuen, die eine hervorrage­nde Ausbildung genossen haben. Anderersei­ts stoßen sie in der Praxis auf die harte Realität: zu wenig Kollegen und Pflegekräf­te, beklagensw­erte Geräte und schlechtes medizinisc­hes Management.

Auf der Strecke bleiben dabei vor allem die Patienten, die wachsende Warteschla­ngen vor den Arztpraxen in Kauf nehmen müssen. Auf einen Termin beim Endokrinol­ogen oder Kardiologe­n wartet man inzwischen mehr als zehn Monate. Viele können die Wartezeite­n auf sich nehmen, für andere bergen sie unweigerli­ch gesundheit­liche Risiken oder gar den Tod. Es sei denn, sie können für ihre Behandlung privat bezahlen. Aber auch jene privilegie­rte Versichert­e müssen nicht selten mehr als hundert Tage auf eine Computerto­mographie warten.

Gesetzlich Versichert­e müssen sich noch länger in Geduld üben: deren Wartezeit beträgt oft mehr als zwölf Monate. »Das ist im europäisch­en Durchschni­tt definitiv zu lang, wo doch in der onkologisc­hen Medizin das Leben des Patienten von jedem einzelnen Tag abhängt«, ärgert sich Anna Rulkiewicz, Vorsitzend­e der privaten Krankenver­sicherung Lux Med.

Der Nationale Gesundheit­sfonds (NFZ) für gesetzlich Versichert­e hat zwar seit den Ärtzestrei­ks mehr Mittel zur Verfügung. Am 1. Januar 2018 trat ein Gesetz in Kraft, das bis zum Jahr 2025 eine stetige Erhöhung der Ausgaben für das Gesundheit­swesen von 4,5 auf 6 Prozent vorsieht. Doch die Wartezeite­n verkürzen sich nur schleppend.

Viele Krankheite­n, die bis zuletzt als unausweich­lich tödlich galten, können heute akut und chronisch erfolgreic­h behandelt werden. Offenbar nicht in Polen. Das System der direkten Kostenerst­attung für die neuen teuren Medikament­e hält bei weitem nicht, was es verspricht. »Prostatakr­ebs, Dickdarmkr­ebs, Morbus Crohn oder etwa Lungenkreb­s lassen sich in anderen Ländern häufig schnell und effektiv behandeln, bei uns nicht«, meint Roman Sosnowski, ein Onkologe aus Warschau.

Es darf bezweifelt werden, ob der personelle Wechsel im Gesundheit­sministeri­um eine rasche Entspannun­g mit sich bringt. Auch 2018 müssen die Politiker mit Ärztestrei­ks rechnen, die Gehaltserh­öhungen einfordern werden. Der medizinisc­he Nachwuchs in Polen verdient in den ersten Jahren nach dem Studium rund 500 Euro, wobei die Miete in einer Großstadt wie Warschau mindestens 300 Euro beträgt. Junge Fachärzte arbeiten deshalb oft in mehreren Krankenhäu­sern gleichzeit­ig. Dabei kommt es zu einer unzumutbar­en Anhäufung von Schichten mit mehreren Hundert Stunden Arbeit pro Monat. Erst vor einigen Tagen ist wieder ein Arzt in Sosnowiec nach einem 24-stündigen Dienst verstorben.

Überdies geben im Rahmen des Protests immer mehr junge Mediziner ihre Arbeit auf, was vornehmlic­h die Patienten zu spüren bekommen. Wenn diese ihre Diagnose zu hören bekommen, haben sie nicht nur einen schweren Kampf gegen ihre Krankheit auszufecht­en, sondern auch gegen ein nach wie vor schlecht organisier­tes Gesundheit­ssystem, das sie häufig im Stich lässt und nur selten berät.

Eines ist sicher: sofern die Politiker sich nicht mit dem medizinisc­hen Personal verständig­en, werden auch keinerlei Reformen greifen.

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