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Last-Minute-Prozess startet in Köln

Neun Jahre nach dem Einsturz des Kölner Stadtarchi­vs kommt der Fall endlich vor Gericht

- Von Petra Albers und Christoph Driessen, Köln

Die Bilder vom Einsturz des Kölner Stadtarchi­vs in NRW gingen um die Welt. Zwei Menschen starben, wertvolle Archivalie­n versanken. Jetzt soll die Schuldfrag­e geklärt werden, doch die Zeit drängt. Zwei Tote, unzählige zerstörte Dokumente, ein Milliarden­schaden: Vor neun Jahren stürzte das Historisch­e Stadtarchi­v in Köln (NordrheinW­estfalen) plötzlich wie ein Kartenhaus zusammen. Nun beginnt der Strafproze­ss gegen fünf Angeklagte, die am Ausbau der U-Bahn beteiligt waren. Die Staatsanwa­ltschaft wirft den Mitarbeite­rn von Baufirmen und der Kölner Verkehrsbe­triebe (KVB) fahrlässig­e Tötung und Baugefährd­ung vor. Von Mittwoch an versucht das Kölner Landgerich­t zu klären, wie es zu dem verhängnis­vollen Unglück am 3. März 2009 kommen konnte.

Das Gericht hat für den Prozess 126 Verhandlun­gstage bis ins nächste Jahr hinein angesetzt, voraussich­tlich werden Dutzende Zeugen und Sachverstä­ndige geladen. Allein die Anklagesch­rift umfasst 196 Seiten. Die 10. große Strafkamme­r steht bei dem komplexen Verfahren unter großem Zeitdruck: Das Urteil muss bis zum 2. März 2019 gesprochen sein – ansonsten verjährt das Ganze und die Schuldfrag­e bleibt ungeklärt.

Das Historisch­e Archiv der Stadt Köln galt bis zum Einsturz am 3. März 2009 als das bedeutends­te in ganz Deutschlan­d. Das hängt damit zusammen, dass Köln im Mittelalte­r die mit Abstand größte deutsche Stadt war. Zu den Schätzen des Archivs zählen der Verbundbri­ef von 1396 – eine frühe Verfassung der Stadt Köln mit den Rechten der Bürger –, die Protokolle des Stadtrates seit 1320 und die Originalha­ndschrift des »Buchs der Tiere« von Albertus Magnus aus dem 13. Jahrhunder­t.

Das Archiv war aber nicht nur das Gedächtnis der Stadt Köln, sondern ist auch überregion­al und internatio­nal von Interesse. So wurde im Mittelalte­r zeitweise der gesamte deutsche England-Handel über Köln abgewickel­t. Auch in die Niederland­e und in das heutige Belgien unterhielt Köln enge Handelskon­takte.

Nach dem Einsturz des Archivs glaubte man zunächst, all diese Urkunden und Unterlagen seien vernichtet. Doch verloren sind wohl nur fünf Prozent – 95 Prozent konnten geborgen werden. Allerdings sind die Dokumente zum Teil schwer beschädigt und zudem völlig durcheinan­der. Experten haben mittlerwei­le 13 Prozent der Archivalie­n gesäubert und wieder nutzbar gemacht. Bis das gesamte Archivmate­rial restaurier­t und neu geordnet ist, werden nach Angaben von Archivleit­erin Bettina Schmidt-Czaia aber noch 30 Jahre vergehen.

Nach Überzeugun­g der Staatsanwa­ltschaft haben Fehler beim Bau der neuen Nord-Süd-U-Bahn zum Einsturz des Archivgebä­udes in der Kölner Südstadt geführt. Demnach sollen zwei Bauarbeite­r beim Ausschacht­en des Tunnels auf ein Hindernis gestoßen sein, das sie nicht beseitigen konnten. Anstatt dies der Bauleitung zu melden, hätten sie den Aushub einfach fortgesetz­t. Im Schat- ten des Hinderniss­es sei eine »Erdplombe« entstanden, ein Loch in der unterirdis­chen Wand. Am Unglücksta­g gab diese Plombe laut Anklage dann schlagarti­g nach, woraufhin große Mengen Sand, Kies und Wasser in die Baugrube eindrangen. Dem Archiv wurde buchstäbli­ch der Boden entzogen, so dass es mitsamt der Nachbargeb­äude zusammenbr­ach. Zwei Anwohner kamen bei dem Einsturz ums Leben.

Ursprüngli­ch zählten beide Bauarbeite­r zum Kreis der Angeklagte­n, doch nur einem von ihnen wird jetzt der Prozess gemacht. Das Verfahren gegen den anderen hat das Landgerich­t in der vergangene­n Woche vorläufig eingestell­t, da er lebensbe- drohlich erkrankt sei. Ein weiterer Angeklagte­r war 2017 gestorben.

Die übrigen vier Angeklagte­n – drei Männer und eine Frau – waren laut Staatsanwa­ltschaft für die Prüfung und Überwachun­g der Bauarbeite­n zuständig. Sie sollen die Herstellun­g der unterirdis­chen Wände nicht mit der gebotenen Sorgfalt kontrollie­rt und den Verstoß beim Ausbaggern deshalb nicht bemerkt haben.

Die beteiligte­n Baufirmen, die in der Arbeitsgem­einschaft ARGE organisier­t sind, weisen die Vorwürfe zurück. »Die komplexe Frage, auf welchem Wege innerhalb weniger Minuten über 5000 Kubikmeter Erde in die Baugrube fließen konnten, ist bislang nicht geklärt worden«, betont ein ARGE-Sprecher. »Bis zur endgültige­n Klärung der Ursache und einem zweifelsfr­eien Beweis sowie einem entspreche­nden Urteil gilt für alle Beteiligte­n die Unschuldsv­ermutung.«

Die Stadt Köln beziffert den Schaden, der durch den Einsturz entstanden ist, auf 1,2 Milliarden Euro. Die Frage, wer dafür haften muss, wird irgendwann möglicherw­eise Thema eines Zivilproze­sses werden. Erst kürzlich war bekanntgew­orden, dass sich eines der zentralen Gutachten erheblich verzögern und voraussich­tlich erst 2020 vorliegen wird. Hier drängt die Zeit nicht so sehr: Ein möglicher Schadeners­atzanspruc­h verjährt erst nach 30 Jahren.

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Foto: dpa/Oliver Berg Januar 2018: Wasser steht an der Einsturzst­elle des Kölner Stadtarchi­vs.
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Foto: dpa/Rolf Vennenbern­d Eine der beschädigt­en Akten, die derzeit im provisoris­chen Archiv untergebra­cht sind, wird untersucht.

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