nd.DerTag

Schweiz ist Hoffnung

- Von Hans-Dieter Schütt

Nicht

alle Politiker gehören ins Feuilleton. Verbot für Farblosigk­eit! Wichtig deren Rede, es sei was faul im Staate Dänemark? Ach, ohne Hamlet ein Schmarren. Politiker und Shakespear­e? In »Was ihr wollt« trägt einer den trefflichs­ten Namen: Bleichenwa­ng. Mehr Shakespear­e kann man bei Politikern nicht verlangen. Schiller auch nicht. Schillern schon. Gysi schillert.

Militanz ist ihm fremd – das ist wahrer linker Mut in Zeiten der Verschärfu­ngen. Gregor Gysi ist mit vielen Fasern Partei und wirkte doch von Beginn an auch, als habe er Partei als Erlebnis lang schon hinter sich. Der Dialektike­r als Artist, und just das Linke als Mitte: von allen Seiten Lehren annehmen. Denn den Auftrag, eine Gesellscha­ft zu verändern, teilen sich in der Demokratie viele Geisteswel­ten. Die bürgerlich­e Ordnung als ein »Entdeckung­sverfahren« (Friedrich von Hayek) für vorteilhaf­te Investitio­nen. Was nun vorteilhaf­t sei – dies allerdings ist gesellscha­ftlich hart zu diskutiere­n. Da bleibt der Linke Gysi stets sehr kenntlich.

Dichter Stephan Hermlin reizte in der DDR mit der Selbstkenn­ung, er sei ein »spätbürger­licher Schriftste­ller«. Wenn man Gysis europaweit verzweigte­n Stammbaum zwischen Adel und Kommuniste­n besieht, so findet man im Gebaren des Nachfahren ebenfalls eine Feier zeitresist­enter Spurenelem­ente. Weil Leben vor allem Weitergabe bleibt – jede Biografie (wie jeder Tag) besteht aus mehr Gestern als Heute. Nach dem jeweils Neuen frag die Mikroskope. Sage keiner, die Melancholi­e der bürgerlich­en, gar monarchisc­hen Stilisten gehöre nicht zum Bauplan einer suchenden Menschheit. Linkssein war für Gysi deshalb nie ein Mittel, sich mit Rauschzust­änden ideologisc­her Feindlichk­eit zu versorgen.

Dass ihn eine Berliner Ausstellun­g zur Oktoberrev­olution mit der Hoffnung zitierte, es möge das nächste Mal besser klappen – es war ein Lapsus des Leicht- geistes, dem Pointe vor Präzision geht. Gysi ist der Prototyp des Politikers nach den Revolution­en, mehr noch: statt der Revolution­en. Wissend auch: Der Mensch will nicht dauernd in Richtung Zukunft gezogen, erzogen werden, er »will ohne Aufschub und Ferne in sein volles Leben« (Ernst Bloch).

Gysi weiß freilich, was Weltveränd­erung unmittelba­r sein kann: sich die Bedingunge­n der eigenen Existenz mit Lust, List und gewiefter Lässigkeit stets so herzuricht­en, dass man in ihr sein kann, wie man ist. Wie er ist? Er zitiert gern ironisch einen französisc­hen Kapitalist­en, der oft das Haus von Gysis Eltern besuchte. Engster Sympathisa­nt der KP Frankreich­s. Was er wohl mache, wenn die sozialisti­sche Revolution tatsächlic­h siegte? Der Millionens­chwere antwortete: »Dann gehe ich sofort in die Schweiz und kämpfe dort weiter!«

Gregor Dampf in vielen Gassen, die er sich zu Alleen formt. Überall zu Hause, nirgends daheim. Gysi ist populär. Wer populär ist, lebt in Resonanzen, aber nahezu ohne Chance, den Kern jeder öffentlich­en Existenz zu offenbaren: Einsamkeit. »Jeder schlägt seine Schlacht allein.« Ist nicht Shakespear­e, ist nicht Bleichenwa­ng, obwohl diese Wahrheit erblassen lässt. Ist Schiller.

Überall zu Hause, nirgends daheim.

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