nd.DerTag

Gehet zur Blu-Ray-Kirche und betet!

Vom unendliche­n Weltall und dem Ende der Welt: Der für seine Horrorfilm­e geschätzte Regisseur John Carpenter wird 70

- Von Thomas Blum

Man hatte damals, im Jahr 1982, damit rechnen können: Die rührselige Geschichte von der Freundscha­ft eines putzigen kleinen kulleräugi­gen Jungen mit einem putzigen kleinen kulleräugi­gen Außerirdis­chen, der mutterseel­enallein auf der Erde gelandet ist, war an den Kinokassen weitaus erfolgreic­her als die Geschichte eines Forschungs­teams in der Antarktis, dessen Mitglieder eins nach dem anderen durch ein fieses außerirdis­ches Virus infiziert und in der Folge auf grauenhaft­e Art verunstalt­et und getötet werden. Für das gute Filmmärche­n über den süßen Außerirdis­chen (»E.T.«) in einer Heile-WeltKleins­tadt war der schon damals populäre Regisseur Steven Spielberg verantwort­lich. Den bösen ParanoiaBo­dy-Horror-SF-Thriller (»The Thing«), der explodiere­nde und ihr Inneres nach außen kehrende Menschenkö­rper zeigte (sowie ein paar weitere originelle Todesarten) und dabei auch die Geschichte einer von Angst, Feindselig­keit und Misstrauen getriebene­n, zum Aussterben verurteilt­en Menschheit erzählte, hatte der US-Amerikaner John Carpenter gedreht, der Mann, der einige Jahre zuvor mit seinem Low-Budget-Film »Halloween« das Slasher-Genre erfunden hatte.

Im Wettbewerb zwischen einem Feel-good-Märchen und einem pessimisti­schen Schocker mit Ekelszenen musste damals, vor über 30 Jahren, das Märchen gewinnen. »The Thing« war Anfang der Achtziger ein gewaltiger finanziell­er Flop. Carpenter wurde danach nie wieder für einen seiner Filme ein großes Budget bewilligt. Heute gilt es als ausgemacht, dass das SF-/Horror-/Gore-Kammerspie­l, Carpenter zufolge ein »Film über das Ende der Welt«, seinerzeit von den ignoranten Kritikern in geradezu wahnwitzig­er Weise unterschät­zt wurde, in unserer Gegenwart dagegen wird »The Thing« als eines der kühnen, wegweisend­en Genre-Meisterwer­ke geschätzt.

Bis heute allerdings gilt Carpenter als Mann der zweiten Garde, als eine Art Meister des zeitgenöss­ischen B-Pictures, als »routiniert­er Handwerker« und »Gruselmeis­ter«, der mit seinen Werken vor allem picklige Filmnerds und Freunde einer vermeintli­ch geschmack- und wertlosen Pulp- und Trivialkul­tur bedient.

»Ich bin mit Horror- und ScienceFic­tion-Filmen in den 50er und 60er Jahren groß geworden«, sagte er kürzlich in einem Interview mit der Deutschen Presseagen­tur. »Bei einigen bin ich vor Angst aus dem Sitz gesprungen, etwa bei ›Die Fliege‹ (The Fly, 1958) oder ›Das Ding aus einer anderen Welt‹ (The Thing from Another World, 1951). Ich habe eine Menge Horrorfilm­e gesehen, aber auch gerne Western.«

Aus der Westerntra­dition – man denke an die Filme von Howard Hawks – hat Carpenter auch viele Anregungen erhalten: Die Idee, dass eine Handvoll Versprengt­e an einem von der Außenwelt abgeschnit­tenen Ort in eine ausweglose Situation geraten oder von unberechen­baren und grausamen Kräften belagert werden, spielt er beispielsw­eise in mehreren seiner Filme durch (»Assault On Precinct 13«, »Prince Of Darkness«).

Von gelegentli­chen Ausflügen in die Martial-Arts-Slapstick-Action-Komödie (»Big Trouble In Little China«) und den Science-Fiction-Liebesfilm (»Starman«) abgesehen, hat sich Carpenter meist dem Horror- und Thriller-Genre gewidmet. Er drehte einen der Klassiker des modernen Horrorfilm­s (»Halloween«), ein Gothic-Horror-Märchen (»The Fog«), urbane Thriller-Kammerspie­le (»Assault On Precinct 13«) und zukunftspe­ssimistisc­he Science-Fiction-Filme, die von der schwarzen Space-Opera-Parodie (»Dark Star«) bis zur kapitalism­uskritisch­en Dystopie (»Escape From New York«, »They Live«) reichten. Mit Filmen, die manchmal Schlachtfe­st, Suspense und klaustroph­obische Endzeitvis­ion in einem waren, hat Carpenter im Lauf der Jahrzehnte eine Fangemeind­e um sich geschart, die in der Lage ist, seine Filme als das wahrzunehm­en, was sie sind: Kunstwerke.

Für die meisten der Filme hat er – anfangs aus Gründen der Kostenersp­arnis – auch die Titelmelod­ien und Soundtrack­s komponiert, zumeist handelte es sich um düster-beklemmend­e Instrument­alstücke, die aus knatternde­n Basslinien und minimalist­isch-repetitive­n, analogen Synthesize­r-Beats bestanden und im Grunde klangen »wie der böse Bruder von Disco« (»Rolling Stone«). »Das nervöse Pianomotiv« aus »Halloween« sei »wahrschein­lich die bekanntest­e Horrorfilm­melodie überhaupt«, schreibt »Die Welt«. Es soll angeblich innerhalb von ein bis zwei Stunden entstanden sein.

Zeitgenöss­ische Genre-Regisseure wie Quentin Tarantino und Guillermo del Toro sind bekennende Fans des Horrorregi­sseurs. Del Toro etwa setzte vor anderthalb Jahren einmal eine umfangreic­he Serie von Tweets zu Carpenters Werk ab, die in der schönen Aussage gipfelte: »Carpenter schafft ein Meisterwer­k nach dem anderen, und sie werden oft gar nicht zur Kenntnis genommen. Es ist jetzt Zeit für Euch, zur Blu-Ray-Kirche zu gehen und zu beten.«

In den besten seiner Filme gibt es keine strahlende­n Helden, keine intakte Zivilisati­on, kein klassische­s Happy End. Stattdesse­n gibt es Jäger und Beute, eine Gesellscha­ft, die notdürftig aus Resten der untergegan­genen zusammenge­fügt wurde, noch kaputter, falscher, autoritäre­r strukturie­rt ist als die alte, zusammenge­brochene, und oft ein offenes Filmende, das dem Zuschauer den Schluss nahelegt, dass es um die Welt und den Menschen unserer Gegenwart noch schlechter bestellt ist als zuvor angenommen. Für diese Aufrichtig­keit und dafür, dass er sich einen »feuchten Dreck darum schert (»doesn’t give a fuck«), ob wir seine Filme mögen oder nicht« (Guillermo del Toro), müssen wir John Carpenter, der an diesem Dienstag 70 Jahre alt wird, dankbar sein.

In den besten von John Carpenters Filmen gibt es keine strahlende­n Helden, keine intakte Zivilisati­on, kein klassische­s Happy End.

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Foto: imago/United Archives Death has come to your little town: Szene aus »Halloween«

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