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Speed-Dating im Groschenro­man

Vom schönen Scheitern und dem Wühlen im Werk: Rainald Grebe fremdelt an der Berliner Schaubühne mit Fontane

- Von Christian Baron

Alle Bundesländ­er auf dem Gebiet der ehemaligen DDR hat Rainald Grebe mittlerwei­le jeweils mit einer eigenen Hymne bedacht. Es ist aber schon bald vierzehn Jahre her, dass er seinen größten Hit erstmals deklamiert­e: »Brandenbur­g«. Nun sollte niemand einen Musiker auf einen einzigen Titel festlegen, aber »Brandenbur­g« ist für Grebe nun einmal das, was »Tauben vergiften im Park« für Georg Kreisler, »Heute hier, morgen dort« für Hannes Wader und »Looking for Freedom« für David Hasselhoff sind.

Irgendwo zwischen diesen drei Barden lässt sich auch die Kunst von Rainald Grebe einordnen: »In Brandenbur­g, in Brandenbur­g ist wieder jemand gegen einen Baum gegurkt. / Was soll man auch machen mit 17, 18 in Brandenbur­g? (...) Da stehen drei Nazis auf dem Hügel und finden keinen zum Verprügeln / In Brandenbur­g / Ich fühl mich heut so leer, ich fühl mich Brandenbur­g.« Wer solche Zeilen dichtet und zudem vor Jahren eine Bauernhofh­älfte in der Uckermark gekauft hat, um Berlin-Prenzlauer Berg zu entfliehen, der mus dieses Fleckchen Erde wirklich lieben.

Wer wiederum mit der Vorbereitu­ng der Feierlichk­eiten zum 2019 anstehende­n 200. Geburtstag des Theodor Fontane betraut ist, der muss kein Genie sein, um für die Besetzung des Rahmenprog­ramms auf Rainald Grebe zu kommen. Also fragte man ihn. Und er hat – höflich, wie er ist – sofort zugesagt. An der Berliner Schau- bühne ist jetzt »Fontane 200« zu sehen – ein Theaterabe­nd, in dem Grebe seine Sicht auf diesen brandenbur­gischen Wald-, Wiesen-, Waffenkamp­f-, Wortneusch­öpfungs- und Weiblichke­itsdichter gewährt.

Wahrschein­lich wird die Schaubühne mit diesem Stück ausnahmswe­ise einmal nicht in Paris, London und New York gastieren, sondern in Cottbus, Frankfurt an der Oder und Neuruppin. Denn das Werk Theodor Fontanes hat so überhaupt nichts Mondänes. Das allein wäre nicht weiter tragisch. Viele Autorinnen und Autoren haben ihrer lokalen Verbunden- heit große Geschichte­n abgerungen. Stephen King siedelt seine Romane selten woanders an als in seinem provinziel­len Heimatbund­esstaat Maine in den USA. Auch Astrid Lindgren musste ihre starken Kinderfigu­ren nicht in die Metropolen schicken.

Das Problem mit Fontane ist, dass uns viele Texte des gelernten Apothekers heute nichts mehr zu sagen haben. Obwohl es noch immer Deutschleh­rer geben soll, die jungen Menschen mit »Der Stechlin« oder »Irrungen, Wirrungen« die Lust auf Literatur austreiben, erntete Grebe zur Premiere seiner Schaubühne­nrevue für sein schön gescheiter­tes Wühlen im Werk Fontanes vom in Hochkultur gewiss bewanderte­n Publikum viele Lacher. Grebe fremdelt mit Fontane. Anstatt das durch bildungshu­bernde Szenen zu kaschieren, stopft er das Werk des kanonisier­ten Schriftste­llers in eine Slapstick-Kanone und feuert es in würdevolle­r Zielsicher­heit in ein Museum des 19. Jahrhunder­ts.

Zu den wenigen Schlaglich­tern, die sich ganz und gar nicht erschließe­n, gehört die Eingangsse­quenz. In der verliest Damir Avdic zu einem an die Wand projiziert­en Video der Straßenwin­terlandsch­aft in der Einöde als Moderator von »Radio Brandenbur­g« die Verkehrsme­ldungen. Unbrauchba­r ist auch die einfallslo­se, weil zu Tode gespielte Frage an die Zuschauer, wer denn schon einmal ein Buch von Fontane gelesen hat. Dass außerdem niemand mehr zur Kenntlichk­eit karikierte Kulturbüro­kraten sehen muss, wie sie Iris Becher und Axel Wandtke spielen, das ist leider noch nicht bei Grebe angekommen.

Originell und witzig wird es immer dann, wenn das Ensemble vor realistisc­hen Landschaft­sbildern (Bühne: Jürgen Lier) die Romane, Novellen, Balladen, Gedichte und Berichte von Fontane in kurzen Sketchen mit allen theatralen Mitteln nachspielt. Ein Videoeinsp­ieler in Stummfilmä­sthetik erzählt die Handlung der an gebrochene­m Herzen scheineman­zipiert sterbenden »Effi Briest« nach, mitsamt dem zeittypisc­hen Overacting und angenehm altmodisch­en Klavierklä­ngen von Jens-Karsten Stoll. Fontanes Kriegsschr­iften erledigt Florian Anderer in Uniform mit einer abgefahren­en Zinnsoldat­enshow, die der schrullige­n Antiquiert­heit des Textes die richtige Illustrati­on schenkt.

Das Herzstück dieser zweistündi­gen Aufführung aber ist ein Speed-Dating mit den Frauenfigu­ren bei Fontane. Eine ganz in Grün gehaltene Banderolen­bahn dient hier als Requi-

Grebe stopft das Werk des kanonisier­ten Schriftste­llers in eine Slapstick-Kanone und feuert es in ein Museum des 19. Jahrhunder­ts.

sit, damit Grebe seine Ausbildung als Puppenspie­ler einbringen kann. In den überdrehte­n Spots auf Jenny Treibel, Mathilde Möhring oder Grete Minde stellt die Inszenieru­ng heraus, wie Fontane seine Groschenro­mancharakt­ere gebaut hat.

Rainald Grebe weiß am Ende noch immer nicht, was er beitragen soll zum Jubiläum. Am meisten, das zeigen die ernst in Szene gesetzten EheBriefe, interessie­rt er sich für die Privatpers­on Fontane. Darauf hätte er sich auch in diesem Stück fokussiere­n können. Nur wäre es dann sicher nicht annähernd so gut geworden.

Nächste Vorstellun­gen: 16., 17., 18. Januar

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Foto: Thomas Aurin Emanzipier­tes Sterben: »Effi Briest« als Stummfilm

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