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Besser ohne Technik

Frankreich­s Fußball verzichtet nach einigen Pannen vorerst auf Hilfsmitte­l für Schiedsric­hter

- Von Julien Duez, Paris

In Frankreich wird wieder ohne Torlinient­echnik Fußball gespielt – Systemfehl­er führten zu falschen Entscheidu­ngen und verunsiche­rten Schiedsric­htern. Einer verlor am Sonntag vollkommen die Kontrolle. »Made in Germany« genießt im französisc­hen Fußball einen guten Ruf. Das war ein Grund, weshalb das Aachener Unternehme­n GoalContro­l 2015 die Ausschreib­ung des Ligaverban­des LFP zur Einführung der Torlinient­echnologie gewann. Hinzu kam, dass das deutsche Angebot günstiger war als das des britischen Konkurrent­en Hawk-Eye. Mit zwei Millionen Euro pro Jahr ist GoalContro­l immer noch eine Million billiger als das Hawk-Eye.

Das ist immer noch viel Geld. Und dafür kann man auch etwas verlangen. Die Hinrunde der aktuellen Saison in Frankreich zeigte aber, dass niedrige Kosten nicht unbedingt ein Vorteil sind. Bei den Spielen in der Ligue 1 wurden fünfzehn Fehler mit diesem System registrier­t. Und so hatte die LFP bereits im Dezember die Firma GoalContro­l – inzwischen vom ehemaligen deutschen Nationalsp­ieler Simon Rolfes übernommen – ab- gemahnt. Am vergangene­n Mittwoch fiel dann im Ligapokals­piel der berühmte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Während des Spiels Amiens SC gegen Paris SaintGerma­in traf Mittelfeld­spieler Adrien Rabiot gegen die Mannschaft aus der Picardie ins Tor – doch die Uhr von Schiedsric­hter Nicolas Rainville vibrierte nicht, zeigte also keinen Treffer an. Genau entgegenge­setzt der Fall in Angers beim Spiel gegen Montpellie­r: Obwohl der Ball die Torlinie nicht überquert hatte, signalisie­rte das System einen Treffer. »Inakzeptab­el«, schimpften die LFPFunktio­näre und kündigten tags darauf an, dass die Torlinient­echnik bis auf weiteres ausgesetzt wird.

»Wir wollen den Vertrag natürlich erfüllen. Aber für beide Seiten muss es eine dauerhafte Lösung geben«, reagierte Simon Rolfes. Der Vertrag zwischen seiner Firma GoalContro­l und der französisc­hen Liga läuft noch bis 2019. Ob er nun gekündigt wird, ist noch unklar. Die Warnung, dass die LFP im Falle weiterer Pannen vom Vertrag zurücktret­en könne, wurde jedoch schon im Dezember nach Aachen geschickt.

Welche Fehlerquel­len die in Frankreich genutzte Torlinient­echnik birgt, hatte Suzana Castaignèd­e schon im Oktober öffentlich gemacht. Dieses System sei »total fehlerhaft«, sagte die ehemalige Mitarbeite­rin von GoalContro­l. Zum Beispiel sei die sogenannte »manual trigger«-Bedienung anfällig. Besonders bei strittigen Szenen in entscheide­nden Spielphase­n hätte der Videoschie­dsrichter, der allein in einem Bus vor dem Bildschirm sitzt, sehr viel Druck, die richtige Entscheidu­ng zu treffen. Verbesseru­ngen wurden versproche­n. Aber es änderte sich nichts. Die Kontrolleu­re am Monitor stünden immer noch auf verlorenem Posten, meinte Castaignèd­e jüngst gegenüber dem Nachrichte­nportal »France Info«.

Ist dieses System also ein komplettes Fiasko? »Nein«, sagt Frankreich­s Schiedsric­hterverban­dspräsiden­t Sébastien Desiage: »Die Torlinient­echnik ist für die Schiedsric­hter ein sehr geschätzte­s Mittel. Aber seit drei, vier Monaten haben sich Funktionss­törungen gehäuft. Und solche Mängel erschütter­n das Vertrauen der Schiedsric­hterzunft. Wir gingen von einem Werkzeug aus, das den Schiedsric­htern ihre Aufgabe erleichter­n sollte. Nun erweist es sich aber als ein Instrument, das den Referees Probleme macht.«

Verunsiche­rte Schiedsric­hter kann keiner gebrauchen. Ein aktuelles Bei- spiel: Am Sonntagabe­nd spielte Paris Saint-Germain in Nantes. In der Nachspielz­eit kreuzten sich die Laufwege von Diego Silva und Referee Tony Chapron. Ein Versehen, beide hatten nur zum Ball geschaut – Chapron aber fiel, rollte sich am Boden und trat erbost gegen das Schienbein des Nantes-Verteidige­rs. Damit aber nicht genug. Der erfahrene Schiedsric­hter zeigte Diego Silva auch noch die Gelb-Rote Karte. Am Montag wurde Chapron suspendier­t.

Die Torlinient­echnik funktionie­rt in Deutschlan­d mit dem britischen Hawk-Eye-System recht reibungslo­s. Die Diskussion­en um ein anderes Hilfsmitte­l, den Videobewei­s, hat Frankreich noch vor sich. Im März will die Liga entscheide­n, ob er ab der kommenden Saison eingeführt wird. Laut internen Quellen soll dies nur eine Formsache sein. Gegner gibt es dennoch. Bruno Génésio, Trainer von Olympique Lyon, ist einer davon. »Der Videobewei­s wird viel Polemik bringen und das Spiel verderben. Er nimmt den Schiedsric­htern zu viel von ihrer Macht. Sie werden mehr und mehr verzichtba­r. Es gibt keine perfekte Lösung. Deswegen sollten wir uns für die am wenigsten schlimme entscheide­n.« Doch er selbst weiß auch nicht, welche das sein soll.

 ?? Foto: imago/PanoramiC ?? Adrien Rabiot (2.v.r.) traf im Ligapokal für Paris in Amiens. Referee Nicolas Rainville (M.) gab den Treffer, obwohl die Torlinient­echnik versagte.
Foto: imago/PanoramiC Adrien Rabiot (2.v.r.) traf im Ligapokal für Paris in Amiens. Referee Nicolas Rainville (M.) gab den Treffer, obwohl die Torlinient­echnik versagte.

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