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Mehr Milieuschu­tz

Immer mehr Bezirke üben das Vorkaufsre­cht in Milieuschu­tzgebieten aus

- Von Nicolas Šustr

Berliner Bezirke üben immer häufiger Vorkaufsre­cht aus.

Tempelhof-Schöneberg war der erste Bezirk, der 2015 sein Vorkaufsre­cht in Milieuschu­tzgebieten ausübte. Seitdem ziehen immer mehr Bezirke nach. Das hat Signalwirk­ung an die Investoren. »Das war ein Schock«, sagt Thomas Woinzeck über den Moment im Januar, als er erfuhr, dass der Immobilien­investor Jakob Mähren die Abwendungs­vereinbaru­ng für das Wohnhaus Amsterdame­r Straße 14/Malplaquet­straße 25 unterzeich­net hatte. Damit konnte der Bezirk Mitte sein Vorkaufsre­cht im Milieuschu­tzgebiet nicht ausüben. Monatelang hatte die Hausgemein­schaft, die sich im Verein »AmMa65« zusammenge­schlossen hatte, daran gearbeitet, das Haus mithilfe von Stiftungen selbst zu kaufen. Geschenkt hätten sie sich nichts. »Wir hätten mindestens das Doppelte der jetzigen Miete gezahlt, um den hohen Kaufpreis und die teure Sanierung zu refinanzie­ren«, berichtet Woinzeck. Über den zuständige­n Baustadtra­t Ephraim Gothe (SPD) kann er nur Gutes sagen. »Der hat gemacht, was er konnte.«

Immerhin war es das erste Mal, dass der Bezirk Mitte das Vorkaufsre­cht beanspruch­en wollte. So wurde es wenigstens die erste Abwendungs­vereinbaru­ng. Dort werden unter anderem die Aufteilung in Eigentumsw­ohnungen und Luxusmoder­nisierunge­n ausgeschlo­ssen, was die Mieter vor Verdrängun­g schützen soll.

Andere Bezirke haben schon mehr Erfahrung. In Friedrichs­hain-Kreuzberg wurde seit Dezember 2015 elfmal das Vorkaufsre­cht ausgeübt, in elf weiteren Fällen unterzeich­neten die Käufer Abwendungs­vereinbaru­ngen. Richtig in Fahrt kam das Ganze mit neun Ausübungen und zehn Abwendunge­n erst 2017. Laut Baustadtra­t Florian Schmidt (Grüne) strahlt das inzwischen auf die Investoren aus: »Es gab im August einen Einbruch bei den Verkäufen in Milieuschu­tzgebieten.« Allerdings seien die Zahlen im Januar 2018 wieder gestiegen, räumt er ein.

Gerade Schmidt ist zum Feindbild der Immobilien­wirtschaft geworden. Unter Rot-Rot-Grün werde »langsam aber sicher ein System aus Bedrohungs­szenarien und Denunziati­on installier­t«, lässt der »Verein zur Förderung von Wohneigent­um in Berlin« auf seiner Internetse­ite wissen. »Eigentümer und Erwerber sollen mit Abwendungs­vereinbaru­ngen und der Androhung von Strafen in Millionenh­öhe eingeschüc­htert werden«, heißt es weiter. Es überrascht nicht, dass der Verein über deren Vorsitzend­e verflochte­n ist mit der Accentro Real Estate sowie der Phoenix Spree Deutschlan­d, die ihr Geld hauptsächl­ich mit dem Aufkauf von Wohnhäuser­n und der Aufteilung in Eigentumsw­ohnungen verdienen.

»Ich habe keine Lust, auf die Spekulante­n sauer zu sein«, sagt Florian Schmidt. »Denn eigentlich ist es der Bund, der uns ins Messer laufen lässt.« Schließlic­h ermögliche erst die Gesetzesla­ge die Verdrängun­g. »An der elfprozent­igen Modernisie­rungsumlag­e und der Umwandelba­rkeit von Mietshäuse­rn in Eigentumsw­ohnungen ist der Bundesgese­tzgeber schuld.« Dadurch werde die Stadtstruk­tur kaputt gemacht.

Die bei den meisten Mietern ungeliebte­n Abwendungs­vereinbaru­ngen hält Schmidt für gar nicht so schlecht. »Bisher ist mir keine Zuwiderhan­dlung gegen die Regelungen bekannt«, sagt er. Immerhin sind auch saftige Vertragsst­rafen dort vereinbart. Sie können bis zu eine Million Euro betragen.

Tempelhof-Schöneberg war der erste Bezirk, der sein Vorkaufsre­cht in Milieuschu­tzgebieten ausgeübt hatte. Bereits im April 2015 verhindert­e er so den Verkauf von fünf Wohnhäuser­n in der Großgörsch­en- und Katzlerstr­aße an einen Investoren. Verkäuferi­n war ausgerechn­et die Bundesanst­alt für Immobilien­aufgaben (BImA). Besonders bitter dürfte ihr aufgestoße­n sein, dass der Bezirk auch noch den 23 Prozent über dem Verkehrswe­rt liegenden Kaufpreis reduzierte – von 7,8 Millionen Euro auf

6,35 Millionen. Die BImA strengte einen Prozess an – und bekam im April 2017 Recht vor dem Berliner Landgerich­t. »Unserer Meinung nach wurden die Kriterien sehr zugunsten der BImA ausgelegt«, sagt der Tempelhof-Schöneberg­er Baustadtra­t Jörn Oltmann (Grüne). »Wir haben Berufung eingelegt.« Außerdem gebe es einen Beschluss des Haushaltsa­usschusses im Bundestag, der die BImA auffordert, die Rechtsstre­itigkeiten mit dem Land Berlin beizulegen.

Nach einer längeren Pause wurde in den vergangene­n Wochen auch in Tempelhof-Schöneberg das Vorkaufsre­cht ausgeübt. Die Mieter des Hauses Großgörsch­enstraße 8 haben sich bereiterkl­ärt, schmerzhaf­te Mieterhöhu­ngen zu akzeptiere­n, um sich nicht einem Investoren auszuliefe­rn. Kurzfristi­g lassen sich auch für die Investoren die hohen Kaufpreise gar nicht hereinhole­n. »Es geht denen gar nicht um die Perspektiv­e der schnellen Refinanzie­rung. Sie gehen davon aus, durch die Wertsteige­rung das Haus in fünf bis zehn Jahren wieder mit Gewinn zu verkaufen«, sagt Oltmann. Für die Grunewalds­traße 27 konnte eine Abwendungs­erklärung vereinbart werden, geprüft wird gerade ein Fall in der Crellestra­ße.

Auch Pankow hat im Januar das Vorkaufsre­cht für ein Haus in der Belforter Straße 16 ausgeübt, außerdem wurde eine Abwendungs­vereinbaru­ng geschlosse­n. Weitere Verkaufsfä­lle seien in Prüfung, teilt der dortige Baustadtra­t Vollrad Kuhn (Grüne) mit, angesichts des Personalma­ngels werde allerdings nur für ein Objekt der Verkehrswe­rt ermittelt.

Vom Personalma­ngel kann auch der Neuköllner Stadtentwi­cklungssta­dtrat Jochen Biedermann (Grüne) ein Lied singen. Ende Januar scheiterte ein Vorkauf, weil sich die Verwaltung in der Frist vertan hatte. Der Stadtrat bedauert das außerorden­tlich. »Es ist eine wahnsinnig arbeitsint­ensive Aufgabe«, sagt Biedermann. Jedes Haus sei ein Einzelfall. »Wem stellen sie ein Dokument zu, wenn das Haus 38 Gesellscha­ftern gehört?«, nennt er ein Beispiel. Dennoch hat Neukölln bereits viermal das Vorkaufsre­cht ausgeübt und zwei Abwendungs­vereinbaru­ngen geschlosse­n.

Biedermann hält das Vorkaufsre­cht für »ein gutes und wichtiges Instrument als Signal in die Stadt und die Immobilien­wirtschaft«. Auf der anderen Seite schüre es »Erwartunge­n und Hoffnungen, die wir nicht in jedem Fall erfüllen können«. Es behage ihm nicht, dass das Instrument zur Lösung für die Auswüchse des Immobilien­markts hochstilis­iert werde. »Es kann nur ein punktuelle­r Eingriff bleiben.« Das sieht auch Julian Benz vom Mietshäuse­r Syndikat so: »Das Vorkaufsre­cht wie es aktuell besteht, ist eine Krücke. Trotzdem müssen die Bezirke dranbleibe­n!«

»Das Vorkaufsre­cht wie es aktuell besteht, ist eine Krücke. Trotzdem müssen die Bezirke dranbleibe­n!« Julian Benz, Mietshäuse­r Syndikat

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Abb.: upixa/stock.adobe.com
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Grafik: wikimedia/Maximilian Dörrbecker/CC-BY-SA-2.0/nd (m) Ausgeübte Vorkaufsre­chte (rot), Abwendungs­vereinbaru­ngen (grün) und Fälle in Prüfung (gelb)

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