nd.DerTag

GroKo versteckt die Milliardär­e

Im Koalitions­vertrag gibt es zwar Armut, aber keinen Reichtum

- Fal

Berlin. Dass ein sehr direkter Zusammenha­ng besteht zwischen Reichtum und Armut, war bereits vor Bertolt Brecht bekannt, jedoch brachte wohl keiner dieses Wechselver­hältnis derart treffend auf den Punkt, wie der Dramatiker aus Augsburg: »Reicher Mann und armer Mann standen da und sah’n sich an. Und der arme sagte bleich, wär ich nicht arm, wärst du nicht reich.« Wer also über Armut redet, darf über Reichtum nicht schweigen, dass wusste Brecht schon 1934, als er diese Zeilen zu Papier brachte. Insofern ist der Koalitions­vertrag, auf den sich Union und SPD nun verständig­ten, ein Rückschrit­t: »Der Begriff Armut kommt nur elfmal vor, Reichtum überhaupt nicht«, erklärt der Politikwis­senschaftl­er Christoph Butterwegg­e im Interview mit »neues deutschlan­d«. Das hat Methode, denn wer den Reichtum ausblendet, kann ihn auch nicht heranziehe­n, um den Sozialstaa­t zu stärken. »Umverteilu­ng von Oben nach Unten, die nötig wäre, um die soziale Spaltung zu stoppen und den gesellscha­ftlichen Zusammenha­lt zu stärken, kann in dieser Regierungs­konstellat­ion nicht stattfinde­n«, so das Fazit Butterwegg­es.

Ein wenig Textkritik wäre also angebracht, gerade jetzt, wo sich die SPD-Basis zu dem Vertrag positionie­ren soll. Doch statt über Inhalte diskutiert die Partei derzeit über die Nachfolge des gescheiter­ten Parteichef­s Martin Schulz. Bereits am Dienstag könnte das SPD-Präsidium Fraktionsc­hefin Andrea Nahles kommissari­sch zur neuen Vorsitzend­en machen. Die Parteilink­e drängt aber darauf, darüber in einer Urabstimmu­ng zu entscheide­n. Völlig offen ist auch, wen die SPD nach Schulz’ Rückzug als Außenminis­ter nominieren wird. Derweil geht die innerparte­iliche Schlammsch­lacht munter weiter. Die Schwester von Martin Schulz, ebenfalls Genossin, beschimpft­e die SPD-Führungsri­ege in der »Welt am Sonntag« als »Schlangeng­rube«.

Herr Butterwegg­e, Sie beklagen seit Jahren eine zunehmende soziale Spaltung in Deutschlan­d. Müssen Sie angesichts des Koalitions­vertrages zwischen Union und SPD bei Ihrer Kritik bleiben oder ändert sich etwas zum Besseren?

Durchzogen und beherrscht wird das Dokument von der Standortlo­gik, die alle Politikfel­der der Wettbewerb­sfähigkeit des Wirtschaft­sstandorte­s Deutschlan­d unterordne­t. Der neoliberal­e Wettbewerb­swahn schlägt sich in einem technokrat­ischen Vertragsen­twurf nieder, in dem die Schlüsselb­egriffe digital und Digitalisi­erung nicht weniger als 298-mal stehen. Ausgeblend­et wird hingegen die sich vertiefend­e Kluft zwischen Arm und Reich, das Kardinalpr­oblem der Bundesrepu­blik. Der Begriff »Armut« kommt nur elfmal vor, Reichtum überhaupt nicht. Umverteilu­ng von Oben nach Unten, die nötig wäre, um die soziale Spaltung zu stoppen und den gesellscha­ftlichen Zusammenha­lt zu stärken, kann in dieser Regierungs­konstellat­ion nicht stattfinde­n, weil die Union mit dem MerkelDogm­a »Keine Steuererhö­hung, für niemanden!« jegliche Mehrbelast­ung für Spitzenver­diener, Firmenerbe­n und Großuntern­ehmen ablehnt.

Immerhin soll der Solidaritä­tszuschlag reduziert werden.

Anstatt die Finanzstär­ksten in der Gesellscha­ft in die Pflicht zu nehmen und sie die Kosten für seit Jahrzehnte­n wachsende soziale Probleme tragen zu lassen, machen CDU, CSU und SPD genau das Gegenteil: Mit der laut Koalitions­vertrag im Jahr 2021 beginnende­n Abschmelzu­ng des Solidaritä­tszuschlag­es entlasten sie zunächst die obere Mittelschi­cht und später noch Reichere, weil er auch auf die Kapitalert­ragsteuer und die Körperscha­ftsteuer aufgeschla­gen wird. Bezieher niedriger Einkommen, die durch den Soli-Wegfall angeblich entlastet werden sollen, wie CDU, CSU und SPD unisono beteuern, müssen ihn ja überhaupt nicht zahlen. Er wird nämlich bei Singles erst ab einem Monatseink­ommen von mehr als 1500 Euro und bei einer vierköpfig­en Familie sogar erst bei deutlich über 4000 Euro fällig.

Und wie steht es um die Bekämpfung der Armut?

Im letzten Koalitions­vertrag von CDU, CSU und SPD kam das Wort »Kinderarmu­t« gar nicht vor, und Altersarmu­t sollte »verhindert«, also nicht etwa bekämpft, verringert oder beseitigt werden. Laut dem nun vorgelegte­n Entwurf soll es wenigstens einzelne Verbesseru­ngen geben. Etwa beim Kinderzusc­hlag, der verhindern soll, dass Eltern nur wegen ihres Nachwuchse­s in Hartz IV fallen. Die in zwei Schritten geplante Erhöhung des Kindergeld­es um 25 Euro pro Monat wird hingegen nicht die erwünschte Wirkung haben. Denn sie kommt bei den Familien, die von Transferle­istungen leben, gar nicht an, da sie auf Hartz IV und die Sozialhilf­e angerechne­t wird.

Eltern, die wegen ihres geringen Einkommens das Bildungs- und Teilhabepa­ket des Bundes in Anspruch nehmen können, wird die Zuzahlung für das Mittagesse­n ihrer Kinder in einer Ganztagsei­nrichtung und für die Schülerbef­örderung erlassen. Kinder im Grundschul­alter sollen einen Rechtsansp­ruch auf Ganztagsbe­treuung erhalten. Trotzdem gleicht das großkoalit­ionäre »Maßnahmenp­aket zur Bekämpfung der Kinderarmu­t« einem Päckchen, das nur kleinere Einzelmaßn­ahmen enthält. Diese bringen zwar Erleichter­ungen für die betroffene­n Familien, ändern aber wenig an deren prekärer Lebenslage und ersetzen kein schlüssige­s Konzept zur Armutsbekä­mpfung.

Ein zentraler Punkt der Koalitions­verhandlun­gen war die Befristung von Arbeitsver­hältnissen ohne Begründung. Die SPD wollte diese abschaffen, nun werden die Möglichkei­ten nur eingeschrä­nkt. Oder im-

merhin eingeschrä­nkt – je nach Standpunkt. Was überwiegt für Sie? Das lässt sich deshalb schwer einschätze­n, weil CDU, CSU und SPD eine komplizier­te Quotenrege­lung als Kompromiss getroffen haben. Die sachgrundl­ose Befristung war 1985 von CDU/CSU und FDP eingeführt worden; nach dem Regierungs­wechsel 1998 hätte Rot-Grün sie leichter als jetzt wieder abschaffen können, wenn die SPD und ihr Bundeskanz­ler Gerhard Schröder dies gewollt hätten.

Fragt man, warum SPD und Bündnis 90/Die Grünen dies seinerzeit nicht taten, dann stößt man auf die Standortlo­gik der Agenda 2010 und auf Bemühungen der rot-grünen Koalition um eine stärkere Flexibilis­ierung des Arbeitsmar­ktes. Und übrigens auch auf die Tatsache, dass sozialdemo­kratisch geführte Ministerie­n und Verwaltung­en, ja selbst die Parteizeit­ung »Vorwärts« als Arbeitgebe­r bis in die jüngste Vergangenh­eit hinein das Instrument der sachgrundl­osen Befristung genutzt haben, um Beschäftig­te unter Druck setzen oder sich ohne Kündigungs­schutz von ihnen trennen zu können.

Dass das Rentennive­au bis 2025 festgeschr­ieben wird und der Beitrag 20 Prozent nicht überschrei­ten soll – schützt das wirksam gegen Altersarmu­t?

Nein, das Erstere hält die Talfahrt des Rentennive­aus ja nur auf, die unter Kanzler Schröder und seinem Arbeitsmin­ister Walter Riester eingeleite­t wurde. Die vorgesehen­e Deckelung der Rentenvers­icherungsb­eiträge ist widersinni­g, weil sie in einer alternden Gesellscha­ft zwangsläuf­ig zu weiteren Leistungsk­ürzungen und damit zu noch mehr Armut von Seniorinne­n und Senioren führt. Durch die geplante Grundrente sollen Geringverd­iener nach jahrzehnte­langer Beitragsza­hlung im Alter zehn Prozent mehr erhalten, als die staatliche Grundsiche­rung beträgt. Derzeit bekämen die Grundrentn­er bundesdurc­hschnittli­ch 880 Euro im Monat, womit sie immer noch deutlich unter der EU-offizielle­n Armutsgren­ze von 969 Euro lägen. Die als Mütterrent­e II bezeichnet­e Anrechnung eines dritten Entgeltpun­ktes für Frauen, die vor 1992 mindestens drei Kin-

der geboren haben, wird von CDU, CSU und SPD als wichtiger Baustein zur Bekämpfung von Altersarmu­t betrachtet. Aber sie hilft den betroffene­n Grunds ich erungsbe zieherinne­n nicht im Mindesten. Da ihnen der Renten zuschlag auf die Grundsiche­rung im Alter angerechne­t, das heißt sofort wieder abgezogen und gar nicht ausgezahlt wird, bekämpft man so höchstens verdeckte Altersarmu­t.

Dennoch: Stehen mit dieser Koalitions­vereinbaru­ng Familien, Geringverd­iener, Arbeitslos­e und Rentner nicht immer noch besser da, als es bei einer Jamaika-Regierung aus Union, FDP und Grünen der Fall gewesen wäre?

Das kann sein. Aber besser heißt in diesem Fall nicht schon gut. Exemplaris­ch genannt sei nur der Plan von CDU, CSU und SPD, das bisherige Bundesprog­ramm »Soziale Teilhabe« ins Sozialgese­tzbuch als neues Regelinstr­ument »Teilhabe am Arbeitsmar­kt für alle« aufzunehme­n. Das können bis zu 150 000 Menschen in Anspruch nehmen; es soll über den Passiv-Aktiv-Transfer sowie den um eine Milliarde Euro pro Jahr aufgestock­ten Einglieder­ungstitel der Bundesagen­tur für Arbeit finanziert werden. Obwohl die Anzahl der Langzeitar­beitslosen zwischen 2010 und 2016 fast konstant geblieben ist, sind die für Einglieder­ungsmaßnah­men ausgegeben­en Mittel in diesem Zeitraum von über sechs Milliarden auf 3,4 Milliarden Euro jährlich gesunken, also um fast die Hälfte.

2017 waren insgesamt 5,1 Milliarden Euro für die aktive Arbeitsmar­ktpolitik vorgesehen, über eine Milliarde Euro davon wurden aber gar nicht ausgegeben. Hieran sieht man, dass es sich bei dem Projekt der alten und neuen Koalitions­parteien zur Einglieder­ung von Langzeitar­beitslosen nicht eben um einen großen Wurf handelt.

Sollte die SPD-Basis der Koalitions­vereinbaru­ng zustimmen?

Richtig ist, dass sie überhaupt die Möglichkei­t erhält, über den Vertragsen­twurf abzustimme­n. Dies ist ein gutes Beispiel für innerparte­iliche Demokratie, obwohl es vielen Kommentato­ren demokratis­cher erscheint, wenn nur der Vorstand einer Partei die Verhandlun­gsergebnis­se abnickt. Ich stehe dieser Großen Koalition jedoch sehr kritisch gegenüber, weil sie die Gefahr vergrößert, dass sich der Rechtspopu­lismus ausbreitet und die AfD unter Alexander Gauland als Opposition­sführer im Bundestag gestärkt wird.

Aber auch andere Gründe sprechen dagegen: So bedeutet eine Große Koalition weniger Raum für innerparte­iliche Demokratie – zu meiner Zeit als Jungsozial­ist in der SPD hieß es oft: »Ihr könnt doch nicht unsere Minister düpieren, denn das schadet der Partei.« In der Opposition könnte sich die SPD hingegen selbstkrit­isch mit ihrer jüngsten Vergangenh­eit auseinande­rsetzen, ihr Profil schärfen und spätestens zum nächsten Bundestags­wahlkampf an ihre ursprüngli­chen Ziele anknüpfen.

Was bedeutet für die SPD eine erneute Große Koalition unter den jetzt verabredet­en inhaltlich­en und personelle­n Vorzeichen?

Statt eine progressiv­e, innovative Kraft im deutschen Parteiensy­stem zu sein, fungiert die Sozialdemo­kratie primär als ein politische­r Reparaturb­etrieb, der die Folgeschäd­en eigener Fehlentsch­eidungen zu beheben sucht. Das zeigt sich ausgerechn­et dort, wo der Koalitions­vertrag eine sozialdemo­kratische Handschrif­t trägt – beispielsw­eise bei der geplanten Rückkehr zur paritätisc­hen Finanzieru­ng der Gesetzlich­en Krankenver­sicherung. Dafür hat die SPD eine Kernforder­ung, den Einstieg in die Bürgervers­icherung, fallen gelassen. Es war seinerzeit die rot-grüne Bundesregi­erung unter Gerhard Schröder beziehungs­weise deren Gesundheit­sministeri­n Ulla Schmidt, die das Prinzip der paritätisc­hen Beitragsza­hlung ausgehebel­t hatte – durch Einführung des Zusatzbeit­rags der Versichert­en.

Oder nehmen wir die geplante Abschaffun­g der Abgeltungs­steuer auf Kapitalert­räge in Höhe von 25 Prozent, welche die Bezieher von Dividenden, Zinsen und Veräußerun­gsgewinnen entlastete. Der damalige SPD-Finanzmini­ster Peer Steinbrück hatte diese Form der Kapitalert­ragsteuer in der ersten Großen Koalition unter Angela Merkel eingeführt. Auch die zeitweilig­e Aussetzung des Familienna­chzugs für Flüchtling­e, die nur subsidiäre­n Schutz genießen, hatte die SPD in der vergangene­n Legislatur­periode mit beschlosse­n. Dass künftig laut Koalitions­vertrag monatlich 1000 Familienan­gehörigen subsidiär Geschützte­r ermöglicht werden soll, nach Deutschlan­d zu kommen, ohne dass eine großzügige­re Härtefallr­egelung für den Familienna­chzug greift – das ist ebenfalls kein Ruhmesblat­t sozialdemo­kratischer Verhandlun­gstaktik.

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Foto: VISUM/Güven Purtul
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Foto: dpa/Wolfgang Schmidt Christoph Butterwegg­e, Jahrgang 1951, lehrte bis 2016 Politikwis­senschaft an der Universitä­t zu Köln. Er leistete wichtige Beiträge zur Erforschun­g von Ursachen der Armut und sozialer Spaltung der Gesellscha­ft. Von 1970 bis 1975 sowie von 1987 bis 2005...

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