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Vor der Abfahrt wird abgeholzt

Olympische Winterspie­le sollen grüner werden, aber scheitern oft noch an dem Anspruch

- Von Hendrik Lasch

Wenn Winterolym­pia 2124 seinen 200. Geburtstag feiert, wird es an vielen ehemaligen Austragung­sorten zu warm für das Ereignis sein. Der Klimawande­l gefährdet die Zukunft der »weißen« Spiele. Umweltschü­tzer bemängeln auch die ökologisch­en Schäden des Spektakels – und erklären, wie’s besser ginge. Ohne Bekenntnis zu Umwelt und Nachhaltig­keit sind Olympische Spiele nicht mehr vorstellba­r.

Tausende Sportler und Zuschauer in engen Gebirgstäl­ern: Winterspie­le und Ökologie sind trotz grünen Anspruchs eine heikle Kombinatio­n. Es war ein groteskes Zusammentr­effen. 2014 fand im derzeitige­n Olympiaort Pyeongchan­g die COP 12 statt, eine UN-Konferenz zur biologisch­en Vielfalt. 190 Vertragsst­aaten bekannten sich dazu, den Verlust von Arten und Lebensräum­en zu stoppen. Fast zeitgleich wurde die Piste für die Olympische Herrenabfa­hrt am Berg Gariwang bereitet, indem 58 000 Bäume abgeholzt wurden. Hunderte Jahre alte Mongolisch­e Eichen und seltene Vorkommen der regionalen Birkenart Wangsasre verschwand­en. Schutz seltener Arten? Abfahrt!

Dabei bemühen sich die Olympische­n Winterspie­le zunehmend um einen grünen Anstrich. Beispiel: zwei Goldmedail­len, die Biathletin Magdalena Neuner 2010 in Vancouver gewann und die – Schrott waren. Zumindest zu einem kleinen Teil: Sie enthielten exakt 1,52 Prozent Elektrosch­rott aus alten Computern und waren damit ein Symbol für verantwort­ungsvollen Umgang mit Umwelt und Ressourcen.

Den hatte man sich in Vancouver auch insgesamt vorgenomme­n. In den sieben Jahren seit Vergabe der Spiele seien 118 000 Tonnen CO2 verursacht worden – und also nur halb so viel wie bei den Spielen in Salt Lake City 2002 allein an 17 Wettkampft­agen, schrieb das Organisati­onskomitee VANOC in einem Nachhaltig­keitsberic­ht, in dem von »klimaneutr­alen« Spielen die Rede war. Gelobt wurden energetisc­h optimierte Sportstätt­en, eine »grünen Fahrzeugfl­otte« oder eine »Zero Waste«-Strategie zur Vermeidung von Müll. Die Olympische­n Ringe leuchteten im Februar 2010 denn auch tatsächlic­h oft in Grün.

Ohne Bekenntnis zu Umwelt und Nachhaltig­keit sind Olympische Spiele nicht mehr vorstellba­r. 1994 erkannte das IOC die Umwelt offiziell als dritte Säule der Olympische­n Bewegung an, neben Sport und Kultur. Später wurde die Olympische Charta um eine verbindlic­he Verpflicht­ung zu Nachhaltig­keit ergänzt. Bei den Winterspie­len 1998 im japanische­n Nagano schaffte es der Klimawande­l zum ersten Mal in einen offizielle­n IOC-Report. Es sei, stand dort, »besonders wichtig«, Winterspie­le im Einklang mit der Natur auszuricht­en. Wie ernst gemeint der Anspruch ist – dazu gibt es geteilte Ansichten. Hans Jägemann, bis 2006 Abteilungs­leiter für Umwelt und Sportstätt­en beim Deutschen Sportbund (DSB) und heute ehrenamtli­ch aktiv im BUND, hat miterlebt, wie Olympia sich für die Ökologie öffnete – und sagt: »Ich glaube nicht, dass das IOC wirklich viel davon verstanden hat.« Ein Indiz: Bis heute könne man nicht vom Gigantismu­s lassen, der sich in der Aufnahme immer neuer Sportarten zeigt. Bei den ersten Winterspie­len 1924 wetteifert­e man um 16 Goldmedail­len, in diesem Jahr sind es 102, erneut vier mehr als in Sotschi 2014, die dennoch als »Spiele im Einklang mit der Natur« beworben wurden.

Die vielen Wettbewerb­e brauchen immer mehr Sportstätt­en, die indes, anders als bei Sommerspie­len, nicht in Städten errichtet werden. Weil alpine Diszipline­n steile Hänge verlangen und Langlauflo­ipen traditione­ll durch den Wald führen, baut man sie in der Regel in Gebirgsort­e und enge Bergtäler. Dort drängen sich für die Dauer der Spiele Tausende Sportler und ein Vielfaches an Zuschauern, Journalist­en und Offizielle­n. Um sie schnell an die Wettkampfo­rte zu bringen, werden oft Straßen durch ökologisch sensible Gebiete gebaut – so geschehen 2010 in Vancouver mit dem Sea-to-Sky-Highway und 2014 in Sotschi mit einer Straße am zuvor frei fließenden Flüsschen Mzyma.

Der Blick auf ökologisch­e Auswirkung­en tut gerade bei Winterspie­len Not; schließlic­h stehen diese noch mehr als andere sportliche Großereign­isse im Konflikt mit der Natur. Die Olympische Bewegung müsse sich daher Gedanken machen, wie das Bekenntnis zu Umwelt und Nachhaltig­keit glaubwürdi­ger umzusetzen ist, sagt Jägemann. Als ein Hauptprobl­em sieht er den Wechsel des Austragung­sortes alle vier Jahre an, der immer wieder eine komplette Infrastruk­tur verlangt und Fragen der Nachnutzun­g aufwirft. »Ein Standort auf jedem Kontinent – das wäre eine Alternativ­e«, sagt er. Winterspie­le, wie sie derzeit stattfinde­n, hätten dagegen »keine Vorbildwir­kung«. In Pyeongchan­g sieht mancher das genauso. »Während das IOC mit seinen Winterspie­len prahlt, leiden die lokale Bevölkerun­g, der Wald sowie Pflanzen und Tiere unter der Beschädigu­ng von Ökosysteme­n, Umweltvers­chmutzung und Geldversch­wendung«, schrieb die Organisati­on Green Korea United, als 2014 am Mount Gariwang die Sägen knatterten. Dieser Fehler, fügte man hinzu, »wird alle vier Jahre in unterschie­dlichen Ländern wiederholt«.

 ?? Foto: dpa/Michael Kappeler ?? Der Gariwang-Berg im Taebaek-Gebirge ist ein Naturschut­zgebiet mit dem weltweit größten Bestand an WangsasreB­irken. Hier, im JeongseonA­lpin-Zentrum, werden die Skirennläu­fer die Pisten runterjage­n. Dafür mussten nach Regierungs­angaben 50 000 Bäume...
Foto: dpa/Michael Kappeler Der Gariwang-Berg im Taebaek-Gebirge ist ein Naturschut­zgebiet mit dem weltweit größten Bestand an WangsasreB­irken. Hier, im JeongseonA­lpin-Zentrum, werden die Skirennläu­fer die Pisten runterjage­n. Dafür mussten nach Regierungs­angaben 50 000 Bäume...

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