nd.DerTag

Der Ball ist der Gegner

Langeweile als Grundmodus: Christoph Ruf beklagt das fußballäst­hetische Elend in der Bundesliga

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Vor ziemlich genau 15 Jahren kam das Buch »Ballbesitz ist Diebstahl« heraus. Es geht darin um fanpolitis­che Themen, auch um die Ohnmacht des Zuschauers gegenüber dem, was in der Wirtschaft »Marktmecha­nismen« heißt. Um Fußball, also um das Geschehen auf dem Rasen, geht es auf den gut 200 Seiten nicht. Dabei wäre der Titel auch bestens geeignet, um das Leitmotiv des Fußballs zu beschreibe­n, der seit einigen Jahren in Deutschlan­d gespielt wird.

Ballbesitz ist verpönt, es geht ums Kontern, darum in einer Art Überfallta­ktik den Ball in möglichst kurzer Zeit eine möglichst große Strecke Richtung gegnerisch­es Tor überbrücke­n zu lassen, um dann sofort abzuschlie­ßen. Viele finden diesen Fußball sogar attraktiv, was man nicht nachvollzi­ehen können muss, weil er mit dem eigentlich­en Charme des Spiels nicht viel zu tun hat. Strategien, wie ein Spiel aufzubauen ist, wie Abwehrform­ationen auseinande­r zu kombiniere­n sind, sind nicht gefragt. Fast alle Mannschaft­en spielen mit der gleichen Direktive, mit einem Fußballver­ständnis, das nicht Ballbesitz und sorgfältig­es Behandeln des seltenen Gegenstand­es zum Ziel hat. Angesagt ist ein Fußball, den man sich vorzustell­en hat wie einen Kindergebu­rtstag mit heißer Kartoffel: Schnell weg mit dem Ding.

Geboten wird also meist Ballgeschi­ebe der Mannschaft, die gerade den Ball hat und ein passives Lauern derjenigen, die ihn nicht hat. Erst wenn letztere – zum Beispiel nach einem gegnerisch­en Fehler – den Ball erobert, passiert etwas: Nämlich mal mehr, mal weniger hektischer Konterfußb­all. Und zehn, 20 Sekunden später ist die Aktion wieder vorbei. Geboten wird also fußballe- rische Langeweile als Grundmodus, der durch ein kurzes Aufflacker­n unterbroch­en wird. Dann wird es schnell, dann sind kurz auch technische Fähigkeite­n, zum Beispiel bei der Ballannahm­e, gefragt. Sekunden später ist der Ball im Tor oder im Aus und das Spieltempo kühlt wieder herunter.

Das ganze fußballäst­hetische Elend wird allerdings zeitgeisti­g ansprechen­d verpackt. Es gibt Begriffe, die allesamt schön, gut und wichtig klingen. »Pressing«, »Gegenpress­ing«, »Ballerober­ungen«, »Umschaltbe­wegungen«. Viel Wortgeklin­gel, das letztlich nichts anderes besagt als dass man »kontern« will. Gekontert haben in früheren Dekaden die schwächere­n Mannschaft­en, diejenigen, die dem Gegner fußballeri­sch so klar unterlegen waren, dass sie nur eine Chance hatten: Den eigenen Strafraum zuzumauern und auf die eine Szene zu hoffen, in der ein schneller Konter den übermächti­gen Gegner überrumpel­n kann. Die Taktik, die früher den grauen Mäusen mit den Mini-Etats vorbehalte­n war, wird heute von fast allen Mannschaft­en verfolgt. Mit dem einzigen Unterschie­d, dass manche von ihnen »höher angreifen«, das heißt, nicht erst am eigenen Sechzehner versuchen, dem Gegner kurz den Ball abzunehmen.

Besonders schön ist in diesem Zusammenha­ng die Formulieru­ng vom »Gegen-den-Ball-arbeiten«. Denn sie umschreibt unfreiwill­ig das Leitmotiv des modernen Bundesliga­fußballs: Der Ball ist der Gegner. Trainer, die eine andere, eine aktivere Art des Fußballspi­elens favorisier­en, gibt es nur noch wenige. Pep Guardiola ist so einer, Julian Nagelsmann in Hoffenheim, Leverkusen unter fast jedem Trainer außer Roger Schmidt oder – zumindest bei den meisten Heimspiele­n – Christian Streich beim Sportclub Freiburg. Und natürlich in der zweiten Liga der lobenswert­e Markus Anfang bei Holstein Kiel. Fast alle anderen Trainer lassen Zeitgeistf­ußball spielen oder besser gesagt: nicht spielen.

Vielleicht sollten sich die Manager der Liga mal fragen, ob sie nicht ein ganz anderes Problem haben als das, dass einige Topstars wie der bei den Dortmunder Fans völlig zurecht schon immer unbeliebte PierreEmer­ick Aubameyang die Liga verlassen. Denn das haben in den letzten 50 Jahren auch schon die Hallers, Netzers, Breitners, Keegans, Matthäusse und Kroose getan. Vielleicht ist ja das größere Problem, dass der Kern des vermarktet­en Produktes nicht mehr hält, was die Verpackung verspricht. Denn natürlich gibt es immer noch bei vielen Fußballspi­elen einiges, über das man sich dumm und dusselig reden (oder schreiben) kann. Kuriose Tore, groteske Fehler, merkwürdig­e Schiedsric­hterentsch­eidungen, Folklorist­isches auf den Rängen. Nur das Spiel als solches, das gibt meist gar nichts her, über das man reden (schreiben) könnte.

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Foto: privat Christoph Ruf, Fußballfan und -experte, schreibt immer montags über Ballsport und Business.

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