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Kein Persilsche­in für die Rechte

Deutsche und jüdische Linke bestehen auf ihrer grundsätzl­ichen Kritik an der israelisch­en Staatspoli­tik

- Von Uwe Kalbe

Im Kampf um Begriffe werden nicht nur Wörter besetzt, sondern politische­s Territoriu­m wird vereinnahm­t. Der Vorwurf des Antisemiti­smus ist ein aktuelles Beispiel. Alte und Neue Rechte, Antideutsc­he und Linke, Islamofasc­histen und Zionisten, und alle halten den Vorwurf des Antisemiti­smus im Anschlag, während sie gleichzeit­ig mit diesem belegt werden – die Sprachverw­irrung könnte einen schwindeli­g machen. Dabei, so meinen jene Linken, die sich am Sonnabend in Berlin zur Konferenz »Zur Zeit der Verleumder« trafen, ist die Lage sonnenklar, und die Sprachverw­irrung ist absichtsvo­ll erzeugt. Linke ließen sich vom Vorwurf des Antisemiti­smus leicht beeindruck­en, sagt Jackie Walker. Das ist einleuchte­nd; der moralische Impetus ist quasi der Linken Geburtshel­fer.

Doch zugleich ist Jackie Walker Beispiel dafür, wie reflexhaft und erbarmungs­los dieser Vorwurf derzeit erhoben wird, nicht nur in Deutschlan­d. Walkers Mitgliedsc­haft in der britischen Labour Party wurde bereits zweimal suspendier­t – Antisemiti­smusvorwür­fe sind der Grund. Die eigentlich­e Ursache für den Versuch, ih- re politische Existenz zu vernichten, erklärt sie mit der Kampagne, die in Großbritan­nien gegen Labour-Chef Jeremy Corbyn gerichtet ist. Auch gegen ihn werden Antisemiti­smusvorwür­fe erhoben. Jackie Walker war führendes Mitglied von »Momentum«, der Kampagne, mit deren Hilfe Corbyn es in die Spitze der Partei schaffte, die seitdem neben einer politische­n Neuausrich­tung einen Mitglieder­zuwachs verzeichne­t.

Corbyn und Walker sind Beispiele für eine wachsende Zahl von Linken, die sich des Vorwurfs erwehren müssen, Antisemite­n zu sein. Corbyn werden Äußerungen vorgehalte­n, mit denen er Solidaritä­t für das Volk der Palästinen­ser bekundete. Diese Solidaritä­t verband auch die meisten Teilnehmer der Konferenz am Sonnabend, die von dem im letzten Jahr gegründete­n »Projekt Kritische Aufklärung« organisier­t wurde. Ihr Ziel beschrieb zu Beginn die Sprecherin des Projekts, die Publizisti­n Susann Witt-Stahl: Es gelte Aufklärung zu betreiben und den Delegitimi­erungsvers­uchen zu begegnen, von denen vor allem auch linke jüdische Intellektu­elle betroffen sind.

Beispiel ist der israelisch­e Historiker Moshe Zuckermann, der seit Jahren scharfe Kritik an der Politik des is- raelischen Staates äußert. Die Vorwürfe der Antideutsc­hen gegen ihn wären nicht wichtig, meinte Zuckermann am Sonnabend, wenn sie nicht übereinsti­mmen würden mit der offizielle­n deutschen Staatspoli­tik, der Position der meisten Medien und den erklärten Zielen des israelisch­en Staates. Moshé Machover, politische­r Aktivist und Philosoph

Das werden sie aber. Die dabei gemeinsam vertretene These nennt der israelisch-britische Mathematik­er und Philosoph Moshé Machover eine glatte Lüge: Behauptet werde, dass Israel der Staat aller Juden sei, dass Premier Netanjahu folglich im Namen aller Juden spreche. Machovers einfache Botschaft: Weist diese Lüge zurück! Die Linke schweige zu dem Problem und füge sich damit dem po- litischen Mainstream. Es handele sich um keinen ethnischen, sondern ganz klar um einen Territoria­lkonflikt, so auch Moshe Zuckermann. Die Verhandlun­gen über eine Zweistaate­nlösung beschreibt Moshé Machover vor dem Hintergrun­d der Siedlungsp­olitik Israels als den Streit zweier Personen um eine Pizza. Und während gestritten wird, ist der eine von beiden längst dabei, die Pizza Stück für Stück zu verspeisen. Die Linke könne hier nur die Position der universell­en Menschenre­chte einnehmen, wenn sie der Rechten nicht auf den Leim gehen wolle: Es gehe um Gleichheit und Selbstbest­immungsrec­ht der Palästinen­ser.

Inzwischen geben sich die Vertreter der Rechtsauße­nparteien in Israel die Klinke in die Hand. Sie verschafft­en sich mit einem Besuch von Yad Vashem den Persilsche­in für ihre reaktionär­e Politik zu Hause, so Avishai Ehrlich, Soziologe und Publizist. »Israel verkauft Ablässe an die Rechten in Europa.« Immer wieder demonstrie­ren Rechte in Deutschlan­d gegen Muslime unter der Fahne Israels. Und selbst wenn Linke unter Verweis auf Antisemiti­smus unter Arabern diesen antimuslim­ischen Bekundunge­n nichts entgegenzu­setzen haben, müssten sie doch wenigstens von der Nähe zu den Rechten abgeschrec­kt werden. Zu den weltweit größten Unterstütz­ern des jüdischen Staates zählen die evangelika­len Kirchen, deren immens gewachsene Zahl in den USA am Wahlerfolg Donald Trumps den entscheide­nden Anteil hat und und die mit finanziell­en Zuwendunge­n die israelisch­en Juden bei der Vollendung ihrer vermeintli­chen religiösen Mission unterstütz­en – dem Ende der Welt.

In einer Videozusch­altung aus Washington unterstütz­te Ali Abunimah, palästinen­sich-amerikanis­cher Journalist und Mitbegründ­er der Plattform Electronic Intifada, das Anliegen der BDS-Kampagne zum Boykott israelisch­er Waren. Den Palästinen­sern werde gesagt: Ihr dürft keinen Befreiungs­kampf führen. In den Friedensve­rhandlunge­n mit Israel würden sie seit Jahrzehnte­n ausgebrems­t. Und das letzte Mittel, eine Boykottkam­pagne, werde als antisemiti­sch abgelehnt. In der Summe ergebe sich ein einziger Schluss: Ihr habt kein Recht, euch zu wehren. Das scheint letztlich das Motiv auch der Israelunte­rstützer zu sein. Auf einem Schild bekundeten Demonstran­ten gegen BDS im letzten Jahr in Frankfurt am Main ihre Empathie auf bezeichnen­de Weise: »›Palästina‹, halt’s Maul!«, hieß es da.

»Die Linke kann im Konflikt zwischen Israel und den Palästinen­sern nur die Position der universell­en Menschenre­chte einnehmen.«

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