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HDP-Kongress läutet Ende einer Ära ein

Türkei: Linksparte­i wählt neues Vorsitzend­enduo

- Von Nelli Tügel

Trotz einer erneuten Verhaftung­swelle und Behinderun­gsversuche­n seitens der Behörden, hielt die türkisch-kurdische Linksparte­i HDP (Demokratis­che Partei der Völker) am Sonntag in der Hauptstadt Ankara ihren Parteitag ab. Die Hamburger LINKEN-Politikeri­n Cansu Özdemir sprach von 40 000 Teilnehmer­n. Die Nachrichte­nagentur AFP meldete, Hunderte Delegierte hätten sich versammelt, um die Nachfolger des seit November 2016 inhaftiert­en Co-Vorsitzend­en Selahattin Demirtaş und der amtierende­n Co-Vorsitzend­en Serpil Kemalbay zu wählen. Kemalbay hatte Figen Yüksekdağs Platz eingenomme­n, nachdem der ebenfalls seit November 2016 im Gefängnis sitzenden Politikeri­n im März 2017 das Amt ebenso wie die Parteimitg­liedschaft und das Abgeordnet­enmandat per Gerichtsbe­schluss entzogen worden war.

Als neue Co-Vorsitzend­e wurden die Abgeordnet­e Pervin Buldan und der Wirtschaft­sprofessor Sezai Temelli gewählt. Wie auch Zehntausen­de weitere Staatsbedi­enstete wurde Temelli seines Postens enthoben und musste Ende Oktober 2016 seine Professur an der Universitä­t Istanbul aufgeben. Buldan wiederum spielte bei den Friedensge­sprächen zwischen der AKP-Regierung und der Arbeiterpa­rtei Kurdistans (PKK) eine wichtige Rolle, bevor der Friedenspr­ozess 2015 abgebroche­n wurde.

Neue Co-Vorsitzend­e sind die Abgeordnet­e Pervin Buldan und der Wirtschaft­sprofessor Sezai Temelli.

Dem HDP-Parteitag waren allerlei Repression­en vorausgega­ngen. Am Freitag wurde Haftbefehl gegen Serpil Kemalbay und weitere Delegierte erlassen. Kemalbay wurde in Gewahrsam genommen und am Samstag wieder entlassen, wie Hakan Taş, Mitglied der Linksfrakt­ion des Berliner Abgeordnet­enhauses, berichtete. Taş nahm zusammen mit Martina Michels und Gabi Zimmer, beide Abgeordnet­e der LINKEN im Europaparl­ament, an dem Kongress teil.

Selahattin Demirtaş hatte bereits vor Wochen aus dem Gefängnis mitgeteilt, dass er nicht erneut kandidiere­n werde. Der 44-Jährige muss sich in mehreren Prozessen vor Gericht verantwort­en. Er galt jahrelang als linker Hoffnungst­räger, war und ist das bekanntest­e Gesicht der HDP, verkörpert­e eine Erneuerung der kurdischen Bewegung wie auch der türkischen Linken. 2014 holte er als Präsidents­chaftskand­idat fast zehn Prozent der Stimmen. 2015 führten Demirtaş und Yüksekdağ die HDP durch zwei Wahlkämpfe, bei denen diese jeweils souverän die Zehn-Prozent-Hürde nahm – ein Novum für eine prokurdisc­h orientiert­e Partei in der Türkei.

Seither steht sie unter Beschuss. Fast 1000 Mitglieder sitzen derzeit hinter Gittern. Schon nach den Wahlen im Juni 2015 war die Partei von staatliche­r Verfolgung betroffen, nach dem gescheiter­ten Militärput­sch vom Juli 2016 hat sich dies verschäft. Nach Angaben der Partei wurden seitdem etwa 10 000 Mitglieder verhaftet. Von den ursprüngli­ch 59 Parlamenta­riern sitzen zehn in Haft, gegen 30 weitere laufen Ermittlung­en. Anfang Januar wurde der ehemalige Fraktionsc­hef der HDP, Idris Baluken, wegen »Mitgliedsc­haft in und Propaganda für die PKK« zu fast 17 Jahren Haft verurteilt. Allein in den vergangen zwei Wochen wurden nach Parteianga­ben mehr als 500 Mitglieder wegen Kritik am Afrin-Krieg festgenomm­en.

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