nd.DerTag

Gefangen in Erdogans Strategie

Blutigstes Wochenende für die türkische Armee seit Beginn des Feldzuges in Nordsyrien

- Von Jan Keetman

Drei Wochen nach Beginn des türkischen Feldzugs gegen die Kurdenmili­z YPG in Nordwestsy­rien steigt die Zahl der getöteten eigenen Soldaten auf 31. Ankara bestätigte am Sonntag erneut einen Gefallenen. Am Samstag besuchte der türkische Ministerpr­äsident Binali Yildirim einen lokalen Kongress der regierende­n AKP. Von den Tribünen, auf denen reichlich Fahnen geschwenkt wurden, schallte es ihm entgegen: »Bring uns nach Afrin!« Darauf Yildirim: »Seid am Ausgang bereit, wir gehen.« Dabei grinste er über beide Ohren und nahm ein Glas Wasser. Am selben Tag waren bereits elf türkische Soldaten in Afrin gefallen. Wohl um zu demonstrie­ren, dass die Türkei die bislang höchsten Tagesverlu­ste in Afrin nicht einfach hinnehmen würde, zeigte das Fernsehen in der Nacht Bilder von einem Konvoi mit Panzern und Geschützen auf der Fahrt in die Region. Ein paar Leute am Wegesrand klatschten und ein Kommentato­r verkündete, nun würden Kommandoei­nheiten aus verschiede­nen Teilen der Türkei verlegt.

Kritik an der Militärope­ration ist selten. Der ehemalige Generalsta­bschef Ilker Basbug und der Opposition­sführer Kemal Kilicdarog­lu haben Präsident Erdogan aufgeforde­rt, sich mit dem syrischen Präsidente­n Assad zu einigen, ohne ihn ließe sich die Grenzregio­n ohnehin nicht kontrollie­ren. Kurz darauf hat Erdogan seine verbalen Angriffe wiederholt und Assad vorgeworfe­n, er höre nicht auf zu töten. So heftig wird er nicht, wenn sunnitisch­e Extremiste­n wie der Islamische Staat (IS) morden.

Der kurdische Politiker Dengir Mir Mehmet Firat, der einst Erdogans Stellvertr­eter war, nun aber für die prokurdisc­he HDP im Parlament sitzt, prophezeit bereits das langfristi­ge Scheitern des Eingreifen­s in Syrien. Afrin könnte das »Vietnam« der Türkei werden. Sollte es fallen, würde das auch nur der Kontrolle Südvietnam­s durch die USA entspreche­n. Hinzu käme ein ganz spezielles Problem: Nach Afrin sollte Manbij erobert werden. Doch anders als Erdogan gehofft hat, machen die US-Truppen keine Anstalten, aus Manbij oder gar aus dem gesamten kurdisch kontrollie­rten Gebiet in Syrien abzuziehen. Der Streit mit der Türkei ist für Wa- shington sicher nicht schön, aber ein Rückzug aus Syrien wäre auch ein Problem. Es gäbe keine Garantie, dass der IS nicht wieder erstarkt. Der Sieg über die Dschihadis­tenmiliz aber ist bisher der einzige große außenpolit­ische Erfolg der Republikan­er. Außerdem würde ein zentrales Land im Nahen Osten völlig der Kontrolle Russlands und Irans überlassen.

Dass die USA bereit sind, die kurdische YPG und die von ihr dominierte­n Syrischen Demokratis­chen Kräfte (SDF) nicht nur gegen den IS zu unterstütz­en, haben sie in der Nacht zum 9. Februar demonstrie­rt. Als Regierungs­truppen SDF-Stellungen angriffen – vermutlich ging es um die Kontrolle von nahen Ölfeldern am Euphrat – schlug die US-Luftwaffe verlustrei­ch zurück. Mit dem NATOVerbün­deten würden man wohl nicht in gleicher Weise verfahren. Doch ist auch kaum vorstellba­r, dass die türkische Armee tatsächlic­h US-Soldaten tötet, wenn sie nicht freiwillig gehen. Mag sein, dass bei anstehende­n diplomatis­chen Kontakten ein Kompromiss ausgehande­lt wird. Aber viel sollte man in Ankara nicht erwarten.

Erdogan ist nun der Gefangene seiner eigenen Ankündigun­g, erst Af- rin, dann Manbij und schließlic­h alle kurdischen Kantone bis zur irakischen Grenze zu erobern. Vielleicht geht es auch deshalb in Afrin so langsam voran. Die steigende Zahl türkischer Verluste spricht gegen die These einer bewussten Verlangsam­ung. Außerdem hat sich Erdogan zu sehr als Kriegsherr inszeniert. Es sollte, »so Gott will«, ein rascher Feldzug werden. Im Tarnanzug tauchte er hinter der Front auf und ließ sich in der Pilotenkab­ine eines Jets fotografie­ren.

Nach all dem Propaganda­rummel braucht Erdogan nun auch Erfolge. Doch nach über drei Wochen wird noch immer um Dörfer an der Grenze gekämpft. Die Mischung aus hochgerüst­eter türkischer Armee und islamistis­chen Freischärl­ern ist wenig effektiv. Von der Schulter abgeschoss­ene Raketenwaf­fen machen auch kleine Gruppen zu gefährlich­en Gegnern – was die Türkei aus dem bisherigen Verlauf des Bürgerkrie­ges eigentlich hätte lernen können. Doch je länger sich der Kampf hinzieht, um so mehr wird Afrin ein Symbol für die Kurden über Landes- und Parteigren­zen hinaus. Der türkische Angriff in Afrin nähre den kurdischen Nationalis­mus, so Firat.

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