nd.DerTag

Wenn Kindern Radikalisi­erung droht

Niedersach­sen denkt über Möglichkei­ten amtlichen Eingreifen­s nach

- Von Hagen Jung

Jugendämte­r sollen tätig werden, wenn die Gefahr besteht, dass islamistis­ch orientiert­e Eltern ihre Kinder radikalisi­eren. Mit diesem Gedanken befasst sich zurzeit das Sozialmini­sterium in Niedersach­sen. Die Attrappe eines Sprengstof­fgürtels um den Leib gebunden, so zieht ein Kind mit in den Reihen einer islamistis­chen Demonstrat­ion: An dieses Bild erinnert Hans-Joachim Heuer, Abteilungs­leiter im Niedersäch­sischen Sozialmini­sterium, als er die Presse über ein Projekt des von Ressortche­fin Carola Reimann (SPD) geführten Hauses informiert. Es will prüfen, inwieweit Kinder vor schon früher Radikalisi­erung durch ihre eigenen Mütter und Väter oder andere Erziehungs­berechtigt­e geschützt werden können. Anlass sei eine steigende Zahl gewaltbere­iter Islamisten­familien, argumentie­rt das Ministeriu­m.

Gemeinsam mit Bayern leitet Niedersach­sen derzeit eine Arbeitsgru­p- pe, die sich mit der Problemati­k befasst und die Frage erörtert: Müssen Gesetze geändert werden mit dem Ziel, den Jugendämte­rn mehr Möglichkei­ten zum Eingreifen zu geben? Die es den Behörden bei drohender Radikalisi­erung notfalls sogar ermöglicht, das Kind von seiner Familie zu trennen. So wie es derzeit etwa dann angeordnet werden kann, wenn Verwahrlos­ung oder Misshandlu­ng im Raum stehen.

Ausgiebig diskutiert werden soll das Thema im Mai auf der Konferenz der Sozial- und Familienmi­nister in Kiel. Die Arbeitsgru­ppe wird dort darstellen, in welchem Umfang die staatliche Jugendhilf­e aufgrund der aktuellen Rechtslage in punkto »Schutz vor Radikalisi­erung« tätig werden kann.

Für seine Initiative erntet das Ministeriu­m in Hannover sowohl Kritik als auch Zustimmung, letztere vom GroKo-Partner CDU. Deren Parlamenta­rischer Geschäftsf­ührer Jens Nacke fordert ein »konsequent­es Einschreit­en« der Jugendämte­r. Diese sollten verhindern, dass Kinder durch die islamistis­chen Beeinfluss­ung seitens der Eltern »für sich und andere zur Gefahr werden«. Der Begriff der Kindeswohl­gefährdung müsse »dringend auf die ideologisc­he Indoktrini­erung durch Erziehungs­berechtigt­e ausgeweite­t werden«. Die Radikalisi­erung in der Familie beginne bereits vor dem Besuch einer Kindertage­sstätte und ende nicht mit dem Schulabsch­luss, betont der Politiker.

Zu bedenken gibt ihm die Fraktionsv­orsitzende der opposition­ellen Grünen im Landtag, Anja Piel, dass staatliche Eingriffe in Familienst­rukturen wegen möglicher politische­r oder religiöser Einflussna­hme auf minderjähr­ige Kinder oder Jugendlich­e im Grundgeset­z bisher nicht vorgesehen sind. In Sachen Radikalisi­erung gebe es strukturel­l ähnliche Probleme in Familien von Rechtsextr­emen, erklärte Piel gegenüber der »HAZ«. In diesen Fällen hätten Kindswohlg­efährdunge­n für die CDU bisher keine Rolle gespielt. Lägen jedoch Verdachtsm­omente von radikalem Islamismus vor, solle nun plötzlich das Gesetz geändert werden. Es entstehe der Eindruck einer »sehr willkürlic­hen und einseitige­n Grenzziehu­ng der CDU«, so Anja Piel. Ihre Fraktion will die Pläne des Ministeriu­ms im Sozialauss­chuss des Landtages erörtern lassen.

Ähnlich skeptisch wie Piel, so berichtet der NDR, werden die Pläne des Sozialmini­steriums von Juristen betrachtet. Sie haben Zweifel, dass Eingriffe in Familien aufgrund religiös-radikaler Inhalte verfassung­skonform sind. Immerhin seien Ehe und Familie durch das Grundgeset­z besonders geschützt und ebenso die Religionsf­reiheit.

In Sachen Radikalisi­erung gibt es strukturel­l ähnliche Probleme in Familien von Rechtsextr­emen – scheint für die CDU bisher aber keine Rolle zu spielen.

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