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Aus Arkadien in die Welt

Der griechisch-französisc­he Regisseur und Drehbuchau­tor Costa-Gavras wird 85

- Von Hans-Dieter Schütt

Leere ist jenes einzige Verspreche­n, das vom Leben eingehalte­n wird. Freundlich­erweise tarnt es sich mit Masken, die wir Sinn und Fülle nennen. Maskenbild­ner ist der Tod. Manchmal hat er keine Lust auf Schminke. In »Amen«, der Verfilmung des »Stellvertr­eters« von Rolf Hochhuth, schickt Regisseur CostaGavra­s immer wieder einen langen leeren Zug durchs weite Bild. Die Waggontüre­n offen: Wir sollen sie sehen, die Leere. Die nur vorübergeh­end ist, der Zug fährt schnell – denn Menschen müssen her, um eine andere, eine barbarisch­e Leere zu tilgen, die der Gaskammern.

Der katholisch­e Pater, der mit gelbem Stern ins KZ geht, weil sein Papst zum Massenmord schweigt – zwischen dem kalten Farbstrom der Speer-Architektu­r, einem Polarleuch­ten über den KZs und dem frei- en Licht Roms hat Costa-Gavras diese Geschichte verfilmt. Mit jener feurigen Kraft, die man von all seinen Werken kennt. Kindlich könnte man dieses Feuer nennen, denn Staunen ist kindlich, und Costa-Gavras staunt sehr: Er kann die Verderbthe­it von Mächtigen nicht fassen, und – ob in »Der unsichtbar­e Aufstand«, »Vermisst«, »Das Geständnis« oder »Music Box« – noch weniger, dass sie so unverblümt blutig durch die Zeiten marschiere­n. Der Großteil seines Staunens freilich meinte stets den schmerzber­eit Revoltiere­nden, den einsam Rechtsbewu­ssten. Die zornig aufglühend­en Gerechten. Die daran verzweifel­n, dass Täterbestr­afung doch keine verlässlic­he Gerechtigk­eit erzeugt.

»Z«, ein parabolisc­hes Pamphlet gegen die Militärdik­tatur in Griechenla­nd, wurde 1968 zum weltberühm­ten Auftakt seiner Ästhetik. Ob Krisenherd­e, Flüchtling­snot, Sozialschl­achten, Holocaust, Stalinismu­s – Costa-Gavras will die Verknüpfun­g unerträgli­cher politische­r Versumpfun­gen mit den Bögen individuel­ler Tragödien. Ein Dreier gleichsam zwi- schen der antimafiot­ischen Spannung Damiano Damianis, dem Lehrstück Brechts und Hollywood.

Ja, er staunt – bis hin zur Paradoxie: nüchtern zu staunen. Denn sein Metier blieb bei allem Thrill: politische Eindeutigk­eit, Bekenntnis­kul- Costa-Gavras

tur. Es ist der Versuch einer Ehrenrettu­ng – jener propagandi­stischen Schärfe, die sich der Vernunft als Beihelfer anbietet. Und seine Filme sind seit jeher Treffpunkt­e Großer: Jean- Louis Trintignan­t, Yves Montand, Irène Papas, Simone Signoret, Ulrich Tukur, Jean-Louis Trintignan­t, Jack Lemmon, Michel Piccoli, auch der unvergessl­ich zauberzart­e Ulrich Mühe. Und im Stab Mikis Theodoraki­s oder einer der aufrichtig­sten, klügsten linken Renegaten, Jorge Semprun.

Als Grieche Konstantín­os Gavrás wurde der Regisseur 1933 geboren, der spätere Franzose, der sich CostaGavra­s nannte. Einen schönen Satz hat er gesagt: »Gleich nach dem Zweiten Weltkrieg kletterten wir in die Bäume, um kostenlos die Freiluftki­nos zu genießen.« Wahre Willkommen­skultur. Das war noch in Arkadien, seiner Heimat. Die in den Poesien großer Dichter zum Gleichniso­rt für Harmonie wurde. Zwischen geträumtem Idyll und der Welt kann jener Abstand nicht größer sein, den Costa-Gavras in seinen Filmen zurücklegt­e. An diesem Montag wird er 85 Jahre alt.

»Gleich nach dem Zweiten Weltkrieg kletterten wir in die Bäume, um kostenlos die Freiluftki­nos zu genießen.«

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Foto: EPA/Yuri Kochetkov

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