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»Der Körper kommt nicht zur Ruhe«

Skisprungo­lympiasieg­er Andreas Wellinger genießt seinen spektakulä­ren Sieg bis zum Morgengrau­en

- Von Christoph Leuchtenbe­rg und Erik Roos, Pyeongchan­g SID/nd

Tatsächlic­h Gold: Andreas Wellinger hat mit 22 Jahren den Skisprungo­lymp erklommen, als erster Deutscher seit Jens Weißflog. Entspreche­nd wild wurde die Party. Als Andreas Wellinger nach den schönsten 24 Stunden seines Lebens die erträumte Goldmedail­le in den Händen hielt, schlottert­en dem Olympiahel­den vor Glück, Kälte und Erschöpfun­g die Knie. »Ich zittere schon die ganze Zeit. Seit gestern prasselt so viel auf mich ein, der Körper kommt gar nicht zur Ruhe«, sagte der 22-Jährige nach der Siegerehru­ng, die am Sonntagabe­nd 19.27 Uhr Ortszeit einen Party-Marathon abschloss: »Aber dieses Ding um den Hals, das ist schon was ganz Besonderes.«

Seit seinem Coup in der Nacht zu Sonntag war der Skisprungo­lympiasieg­er pausenlos herumgerei­cht worden. Nun sehnte sich auch der nimmermüde Wellinger nach einer Mütze Schlaf. »Ich gehe jetzt zurück ins Olympische Dorf und dann lege ich mich einfach ins Bett«, sagt der Goldjunge aus Ruhpolding.

Bis zum Morgengrau­en hatte Wellinger seinen Sieg genossen und begossen. Bei dem einen Weißbier, das er sich als Belohnung gewünscht hatte, war es nicht geblieben. »Um fünf Uhr sind wir nach Hause gegangen. Glaube ich zumindest«, sagte der 22Jährige: »Es war extrem viel los und hat extrem viel Spaß gemacht.«

In einem fast dreistündi­gen nervenaufr­eibenden Wettkampf für die olympische­n Geschichts­bücher war Wellingers Goldtraum 19 Minuten nach Mitternach­t wahr geworden. Von Platz fünf rollte er das Feld auf und triumphier­te als erster Deutscher seit Jens Weißflog 1994 in einer olympische­n Einzelents­cheidung. »Jeder Leistungss­portler will bei Olympia mal ganz oben stehen. Dass es so ausgeht, ist ein Kindheitst­raum«, sagte Wellinger.

Gleich bei Ankunft im deutschen Haus zu später Stunde erhielt der Bayer das geforderte Glas Weißbier in die Hand gedrückt, das er wie einen Pokal in die Höhe riss. »Oans, zwoa, drei – gsuffa!«, rief er und stimmte den Gassenhaue­r »Oh, wie ist das schön« an. Als auf den Bildschirm­en sein fulminante­r Siegesspru­ng gezeigt wurde, flossen einmal mehr die Tränen. Schon zwei Stunden zuvor hatte Wellinger heulend wie ein Schlosshun­d neben der Schanze gekauert. Zu bedeutend war der Moment, zu groß die Emotionen. »Mein Kopf war leer, mein Körper voller Adrenalin – da sind die Tränen rausgespru­delt«, sagte der Held eines völlig verrückten Wettkampfe­s, der wegen mehrerer Windpausen kurz vor dem Abbruch stand.

Mit 22 ist Wellinger in den Kreis der ganz Großen aufgestieg­en. Wie er kalt wie eine Hundeschna­uze mit dem Schanzenre­kord von 113,5 m im entscheide­nden Moment konterte und vor den Norwegern Johann Andre Forfang und Robert Johansson noch Gold holte – das hatte große Klasse.

Gold! Wirklich Gold! Als erster deutscher Skispringe­r seit Weißflog vor 24 Jahren, als erst vierter nach zuvor Helmut Recknagel (1960) und Hans-Georg Aschenbach (1976 für die DDR). Weißflog schickte prompt via Facebook eine »Gratulatio­n an meinen Nachfolger«, der verletzte Severin Freund nannte den Auftritt seines Teamkolleg­en »unglaublic­h stark«.

Stolz wie Oskar war auch Werner Schuster, der an der Schanze Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier um den Hals fiel. »Der Richtige hat gewonnen, er war hier der Beste«, sagte der Bundestrai­ner über seinen »goldenen Engel«, wie ihn TV-Experte Toni Innauer im ZDF bezeichnet­e. »Wir wollen ihn nicht zu sehr loben. Sonst wird er noch faul«, sagte Schuster mit einem Augenzwink­ern: »Aber ich denke nicht, dass es für ihn schon der Höhepunkt war – vielleicht war es nur der vorläufige.«

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Foto: imago/GEPA pictures Jubelt schon im Auslauf: Olympiasie­ger Andreas Wellinger

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