Der beißende Duft der Gerberei
Das bitterarme Bangladesch ist global als Standort für dreckige Industrie gefragt, die Kosten tragen die Bewohner
In Dhaka, der Hauptstadt Bangladeschs, zeigt sich an der Umsiedlung der Ledergerbereien, dass die Zerstörung von Lebensraum für »Wirtschaftswachstum« munter weitergeht.
Der zerbeulte Bus schleicht auf der staubigen Sadarghat-Gabtoli Road am stinkenden, schwarzen Buriganga-Fluss in Dhaka entlang. Immer wieder bricht der Verkehr völlig zusammen, weil sich überladene Rikschas und Lastenträger ineinander verhakt haben. Kurz ist Geschrei zu hören, dann besinnt man sich darauf, das »Knäuel« zu lösen, denn jeder wird pro Fuhre nur mit ein paar Cent entlohnt. Auf der Uferseite brennen Mühlhaufen, daneben sitzen Plastik- und Mühlsammler. Auf der anderen Straßenseite reihen sich Wellblechhütten aneinander. Im Innern stellen Arbeiter mit verschiedenen Chemikalien billige Plastikwaren her – ohne Handschuhe und Schutzbrille. Plötzlich mischt sich ein beißender Geruch in den Gestank – das Zeichen, dass der Bus Hazaribagh passiert.
Im Jahr 2013 wählte das Blacksmith-Institut den Bezirk zu einem der fünf verseuchtesten Orte der Erde. Etwa 200 Ledergerbereien die hier angesiedelt sind, leiten jeden Tag 20 000 Kubikmeter chromverseuchtes Abwasser durch die offene Kanalisation in den Buriganga-Fluss. Schon im Jahr 2001 hatte das Oberste Gericht Dhakas die Regierung angewiesen, die Gerbereien umzusiedeln. Im Jahr 2016 verkündete die Regierung, dass sie der Anweisung nun nachkomme und Anfang 2017, dass das Herstellen von Leder in Hazaribagh verboten sei. Ein paar Monate später hieß es, dass den Gerbereien Gas und Strom abgestellt wurde. Doch ein Laster lädt gerade frisch gegerbte Lederabfälle auf der Hafenstraße ab. Auch im Zentrum von Hazaribagh ist Ähnliches zu sehen: Schwarze und bunte Bäche voll mit Gerberei-Abwässern fließen an Hütten und Häusern entlang. Daneben liegt, auf Planen ausgebreitet, das stinkende Schupra: Hühner- und Fischfutter, das Freischaffende aus den chrombelasteten Lederresten hergestellt haben.
Vor der Samina-Gerberei antwortet der Pförtner auf die Frage, wann sie denn endlich nach Savar umziehen: »In 13 Monaten.« Doch dann prescht ein Manager, der sich Bilawal nennt, dazwischen und sagt angestrengt lächelnd: »In einem Monat.« Auf intensive Nachfrage verbessert er: »Aber spätestens in acht Monaten.«
Knapp 15 Kilometer, oder zwei Stunden in zwei Rumpelbussen, weiter liegt Hemayetpur-Savar am schwarzen Dhalesshwari Fluss. Südlich vom Ufer liegt auf 500 Meter Entfernung stinkendes Schupra auf Fo-
lien zum Trocknen ausgebreitet, daneben qualmende Container, in denen die Lederreste auch hier zu Fischund Hühnerfutter verarbeitet werden. Zwei Kohlfelder seitlich davon liegt der neue Gerberei-Park, in dem sich die Hälfte der 150 Gerbereien noch im Bau befinden. Auch hier rinnen die mit Chrom VI (das durch unsachgemäße Handhabung beim Gerben mit dem ungefährlichen Chrom III entsteht) verseuchten Abwässer in der offenen Kanalisation durch den Industrie-Park – teilweise unter Teeständen hindurch. Und auch hier durchdringt ein beißender, chemischer Geruch alles und jeden. Auch rinnt ein Teil der Abwässer direkt in den Dhalesshwari. Was hier ein moderner Industriekomplex sein soll, wie von der Regierung angekündigt, ist noch nicht abzusehen, dafür etwas anderes: Die Gerbereien sind zum Teil viermal so groß wie die in Hazaribagh.
Auf dem Rückweg über das Schupra-Feld kommt ein Dutzend Arbeiter auf mich zu. Einer von ihnen fragt, mit leidendem Gesichtsausdruck ein Hungergefühl andeutend, ob ich von der Zeitung sei: »Keine Gesichter auf den Fotos, versprochen«, lautet meine Antwort, worauf der eben noch Leidende dieses für Bangladesch typische lebensmutige Lachen zeigt. 300 Taka (etwa 3 Euro) am Tag verdient
jeder von ihnen mit der Tierfutterherstellung, während die Fabrikarbeiter mit 200 Taka nach Hause gehen. Dass ihr Tun weder legal ist, noch gesund, scheint ihnen bewusst. Dass die im Futter enthaltenen Chemikalien in gebratenem Fisch oder Hähnchen Menschen im ganzen Land schädigen können, wohl nicht. Der Arbeit wegen strömen täglich mehr Menschen aus den ländlichen Gegen--
den in die 18 Millionen Megametropole, die um rund vier Prozent pro Jahr an Einwohnern zulegt. Zur Landflucht kommt es, weil die Felder der Bauern durch die Garnelenzucht für den Export versalzen. Die Garnelenzucht wurde in den 90ern von der Weltbank und dem Internationalen Währungsfonds (IWF) angestoßen. Dazu öffnet der Nachbar Indien während der Regenzeit die Schleusen sei-
ner Staudämme, sodass noch mehr Wasser nach Bangladesch fließt und die Felder zum Teil für Monate überschwemmt. Wenn die bengalischen Bauern dann das Wasser in der Trockenzeit dringend benötigen, schließt Indien die Schleusen. Dadurch drückt Meerwasser in die Flüsse hoch und fördert die Versalzung.
Schon vor der Hauptstraße Hemayetpurs wird deutlich, dass nicht nur die Gerbereien die Umwelt belasten. Textilfirmen und Wäschereien geben ihr Abwasser ungefiltert in einen lilafarbenen Bach. Am Rande der Hauptstraße entlässt ein Industriepark der Aji-Gruppe ihr blaugefärbtes Abwasser in einen überlaufenden Graben, so dass die gefärbte Brühe bis an den Eingang von Restaurants und Verkaufsläden schwappt. In Sabhar, sieben Kilometer nördlich von Hemayetpur, stürzte am 24. April 2013 das achtstöckige Gebäude Rana Plaza ein, in dem mehrere Textilfabriken ihren Sitz hatten: 1135 Menschen starben, 2438 wurden zum Teil schwer verletzt. Die anschließenden Versprechen der westlichen Textil-Einkäufer, sich für die Verbesserungen der Arbeitsbedingen in ihren Produktionsfirmen einzusetzen, klingen im Angesicht ihrer aktuellen Preisdrückerei wie blanker Hohn.
»Die Weltbank und der IWF haben uns vor 30 Jahren einen Weg ge-
zeigt, wie wir den Hunger im Land bekämpfen können: Uns selber aufzuessen und unserer korrupten Elite wie den westlichen Konzernen die besten Stücke abzugeben«, kommentiert der Menschenrechtsaktivist Hasan Mehedi das seit 25 Jahren anhaltende Wirtschaftswachstum in Bangladesch: »Denn der Preis für dieses ›Wachstum‹, ist die Zerstörung unserer Lebensgrundlage durch Billigindustrien für den Export«, fügt er erklärend hinzu.
Schon jetzt gilt als gesichert, dass Dhaka in 20 Jahren das Grundwasser ausgeht, und diese Prognose wurde im vergangenen Jahr gestellt, mit 700 000 Bewohnern weniger. Die vier großen Flüsse der Megametropole sind durch die Industrieabfälle so verdreckt, dass zwei von ihnen schon jetzt nicht mehr zu reinigen sind. Dazu wird Uferland der Flüsse Dhakas zur Landgewinnung illegal mit Sand zugeschüttet, um dort weitere Fabriken und Häuser zu bauen – in der Altstadt Dhakas leben schon jetzt bis zu 135 000 Menschen auf einem Quadratkilometer. Der Preis an Umweltverschmutzung, den Bangladesch für seine Textil- und Lederexporte zahlt, ist immens hoch. In Zukunft wird auch die Weltgemeinschaft in die Pflicht genommen, wenn sich Millionen von Umweltflüchtlingen aus Bangladesch auf den Weg machen.
»Der Preis für dieses ›Wachstum‹, ist die Zerstörung unserer Lebensgrundlage durch Billigindustrien für den Export.« Hasan Mehedi, Menschenrechtsaktivist