Fotos als Waffe im Klassenkampf
Wolfgang Hesse und Holger Starke stellen Arbeiterfotografen der Weimarer Republik vor
»Wie entsteht Geschichte? Was ist Geschichte?« Mit diesen tiefgreifenden Fragen beginnt der Band, der sich mit der Fotografie als Quelle historischen Geschehens in der Weimarer Republik befasst, exakter: mit Arbeiterfotografie als ein »wesentliches Segment der Bildgeschichte der Zwischenkriegszeit«. Begutachtet und analysiert werden Aufnahmen nichtorganisierter wie organisierter proletarischer Amateurfotografen, aber auch professioneller Autoren, die sich der Arbeiterbewegung verbunden fühlten. Vorgestellt werden ebenso Bilder, deren Urheber anonym blieben, die aber in damaligen Kämpfen wichtig waren.
Auf dem Buchcover ist beispielsweise die Aufnahme eines unbekannten Fotografen zu sehen. Sie zeigt zwei Agitatoren der Roten Hilfe in Dresden, die am 15. Juni 1927 Plakate mit der Forderungen »Rettet Sacco und Vanzetti«, zwei in den USA zum Tode verurteilten anarchistischen Gewerkschaftlern italienischer Herkunft, denen man einen Raubmord unterschob, durch die Straßen tragen. Weltweit gab es Proteste gegen diese Justizwillkür – leider vergeblich. Auch Willi Münzenbergs »Arbeiter-Illustrierte Zeitung« (AIZ) berichtete ausführlich, nicht nur mit Text, sondern auch reichlich Bildmaterial. In »AIZ«-Ausgaben haben einstige machtvolle Straßenaktionen ihre fotografische Spur hinterlassen. Und mehr noch, auch Kommentierungen von bildenden Künstlern und Schriftstellern, die der KPD nahestanden oder angehörten. Das Grafische Büro der Partei hat hier eine wichtige koordinierende Rolle gespielt.
Die Herausgeber Wolfgang Hesse und Holger Starke schreiben eingangs: »Wie Bücher haben Bilder ihre Geschichte … Sie zu verstehen erfordert die Analyse ihres materiellen wie visuellen Bestands und der damit verbundenen Gebrauchtweisen, sind doch deren Wandlungen im Lauf der Zeit Indikatoren sich verändernder gesellschaftlicher Verhältnisse.«
Arbeiterfotografen wurden vor allem in der Parteipresse, aber auch von Verbänden und teils gar von internationalen Agenturen angekauft und publiziert. In der Zeit massenhafter Arbeitslosigkeit und Verelendung war dies für nicht wenige existenzsichernd. Neben dem Einkommen war für Arbeiterfotografen jedoch gleichermaßen wesentlich, mit ihren Bildern etwas politisch zu bewegen. Das galt insbesondere für die Mitglieder der Vereinigung der Arbeiter-Fotografen Deutschlands, die auch eine eigene Verbandszeitschrift, »Der Arbeiter-Fotograf«, unterhielt. Die Dresdner Ortsgruppe hatte mit ihren Protagonisten Willi Zimmermann und Richard Peter zwei der aktivsten Arbeiterfotografen im Deutschen Reich.
Ein Fotoalbum von Zimmermann stellt Hesse vor. Das in Kunstleder gebundene, aus kartonstarken Seiten bestehende, vorder- und rückseitig mit 95 Fotografien aus der Zeit zwischen 1926 bis 1939 beklebte Album erzählt von einer behüteten Kindheit in einer proletarischen Familie. Sohn Hans ist bereits auf dem Frontispiz zu sehen. Was damals nicht selbstverständlich war: Zimmermann besaß sogar zwei Kameras.
Andreas Krase offeriert das Bildertagebuch von Hugo Erfurth, einem Dresdner Kunstfotografen. Große Teile seines Werkes sind im Krieg verloren gegangen, vermutlich vor allem in den Bombennächten des Februars 1945. Im Band gedruckte Fotos zeigen seine Muse, seine Frau Helene im familiären und im Freundeskreis, aber auch einzeln porträtiert, mal träumerisch-elegisch, mal etwas matt, erschöpft.
Eingehend befasst sich der Band auch mit Münzenberg, den »roten Pressezaren«, wie er genannt wurde. Es bleibt indes ein Mysterium, warum er und seine Lebensgefährtin Babette Gross aus dem Fotoarchiv der Internationalen Arbeiterhilfe (IAH) oder dem der »AIZ« keine internationale Bildagentur entwickelt haben, merkt Christian Joschke an. »Neben dem Neuen Deutschen Verlag und den Fiilmproduktions- und Ver- triebsfirmen Meshrabprom-Rus und Prometheus-Film hatten sie zwar eine proletarische Lichtbildzentrale eingerichtet, um propagandistisches Material für Lichtbildprojektionen zu besorgen, dennoch hatten sie es nicht richtig unternommen, eine Bildagentur zur täglichen Belieferung internationaler illustrierter Zeitschriften ins Leben zu rufen.« Der Autor vermutet, dass der Aufbau einer solchen Infrastruktur daran scheiterte, weil bei aller – selbst erkämpften Unabhängigkeit von Münzenberg – »Moskau die Hand auf die Produktion und Verteilung von Fotografien legte«. Explizit gewürdigt wird die von Münzenberg geführte IAH, die – neben und mit der Agit-Prop-Abteilung der KPD – einen maßgeblichen Anteil bei der Förderung der Solidarität unter Arbeitern und politischen Oppositionellen hatte, aber auch für die sowjetische Propaganda und das Ansehen der Sowjetunion im Ausland unentbehrlich war.
Gut, dass sich der Verlag entschloss, dieses – von der Gewerkschaft protegierte – wissenschaftliche Werk auch reichlich zu illustrieren. Geht es doch schließlich um ein visuelles Medium. Und so kommt man unter anderem in den Genuss, die »AIZ«-Reportage von Filipow »24 Stunden aus dem Leben einer Moskauer Arbeiterfamilie« mit der von Alfred Eisenstaedt »Im Elendsviertel von London« aus der »Münchner Illustrierten Presse« vergleichen zu können.