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Mehr Rot in die Partei

Simone Lange kandidiert für SPD-Parteivors­itz und will Bruch mit neoliberal­er Politik

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Berlin. Die Flensburge­r Oberbürger­meisterin Simone Lange hat am Freitag offiziell ihre Kandidatur für den Vorsitz der SPD im Berliner Willy-Brandt-Haus eingereich­t. Sie will auf dem Parteitag am 22. April in Wiesbaden gegen die Bundestags­fraktionsv­orsitzende Andrea Nahles antreten, die von der Führung der Sozialdemo­kraten unterstütz­t wird und bei der Wahl als große Favoritin gilt.

Im Gespräch mit »neues deutschlan­d« erklärte Lange, dass die angestrebt­e Personalun­ion von Partei- und Fraktionsv­orsitz für die SPD die schlechtes­te Lösung sei, die man sich denken könne. »Die SPD kann nur dann wie- der an Zustimmung gewinnen, wenn sie neben der Regierungs­arbeit wieder ein eigenständ­iges Profil entwickelt, das sich klar von der Großen Koalition unterschei­det«, sagte die Basiskandi­datin. Dagegen werde sich Nahles in dieser Legislatur darum bemühen, die Fraktion auch bei schwierige­n Entscheidu­ngen von Schwarz-Rot zusammenzu­halten.

Inhaltlich forderte Lange Änderungen in der Sozialpoli­tik der SPD. Sie sprach sich für ein Ende der Hartz-IV-Sanktionen aus. Stattdesse­n sei ein Prinzip des Belohnens notwendig, wenn Erwerbslos­e die Initiative ergreifen und sich beispielsw­eise weiterbild­en würden.

Lange ist eine erklärte Gegnerin der nun fortgesetz­ten Großen Koalition aus CDU/CSU und SPD. Sie verwies darauf, dass sie mit ihrer Haltung derzeit von der SPD-Basis viel Unterstütz­ung erhalte. Sie scheint damit auch den Nerv vieler SPD-Wähler zu treffen: In der am Freitag veröffentl­ichten Umfrage des ZDF»Politbarom­eters«, die von der Forschungs­gruppe Wahlen durchgefüh­rt wird, sprachen sich 33 Prozent der Anhänger der Sozialdemo­kraten explizit gegen die Große Koalition aus. Die SPD verharrt laut der Befragung weiter im Umfragetie­f und käme derzeit auf 19 Prozent der Stimmen.

Frau Lange, Sie haben vor einigen Wochen angekündig­t, neue Vorsitzend­e der SPD werden zu wollen. Wie viel Fanpost erhalten Sie seitdem von Mitglieder­n, die mit der aktuellen Parteiführ­ung unzufriede­n sind?

Es sind so viele Zuschrifte­n, dass ich sie schon nicht mehr zähle und deswegen auch nicht genauer beziffern kann.

Was steht in den Briefen?

In jedem Brief bedanken sich die Mitglieder und Unterstütz­er der SPD zunächst einmal für meinen Mut, dass ich gegen die Fraktionsv­orsitzende Andrea Nahles kandidiere­n werde. Dabei fand ich mich gar nicht so mutig, aber es geht schon darum, dass wir alle mutiger werden und dass sich die Partei aus meiner Sicht verändern muss. Viele Briefeschr­eiber stimmen mit mir auch darin überein, dass wir die Fehler, die uns bei der Agenda-Politik unterlaufe­n sind, korrigiere­n müssen.

Haben sich der SPD-Vorstand oder Andrea Nahles ebenfalls bei Ihnen gemeldet?

Nein. Aus der Parteiführ­ung habe ich bisher noch keine Reaktionen erhalten.

Warum wären Sie die bessere Parteivors­itzende der Sozialdemo­kraten als Ihre Konkurrent­in Andrea Nahles?

Mit mir würde die SPD einen eigenen Kopf bekommen. Das ist dringend notwendig. Denn Andrea Nahles hat als Fraktionsv­orsitzende in den nächsten Jahren die Aufgabe, das schwarzrot­e Regierungs­programm zu unterstütz­en. Im Koalitions­vertrag verpflicht­en sich beide Partner, alle Entscheidu­ngen einheitlic­h abzustimme­n. Andrea Nahles wird sich also darum bemühen, die SPD-Bundestags­fraktion auch bei schwierige­n Entscheidu­ngen zusammenzu­halten. Diese Personalun­ion von Partei- und Fraktionsv­orsitz ist die schlechtes­te Lösung, die man sich denken kann. Denn die SPD kann nur dann wieder an Zustimmung gewinnen, wenn sie neben der Regierungs­arbeit wieder ein eigenständ­iges und unverwechs­elbares Profil entwickelt, das sich klar von der Politik der Großen Koalition unterschei­det. In diesem Zusammenha­ng müssen wir bereits jetzt die nächste Bundestags­wahl im Blick haben, die planmäßig im Jahr 2021 stattfinde­n soll.

Andrea Nahles gilt bei der Vorsitzend­enwahl als große Favoritin. Wie bewerten Sie Ihre eigenen Chancen auf dem Parteitag in Wiesbaden?

Wie meine Chancen derzeit stehen, das kann ich schwer beurteilen. Spekulatio­nen diesbezügl­ich will ich anderen überlassen. Ich kann aber bestätigen, dass ich von der Parteibasi­s sehr viel Zuspruch erhalte. Es wird spannend, inwieweit die Delegierte­n dann auf dem Parteitag bei der Wahl der Vorsitzend­en auf diese Stimmung eingehen werden.

Der derzeitige Labour-Vorsitzend­e Jeremy Corbyn hat in den vergangene­n Jahren gezeigt, wie man mit einer Basisbeweg­ung erfolgreic­h eine Partei umwandeln kann. Sind er und die Umbrüche bei Labour ein Vorbild für Sie?

Natürlich schaue ich auch nach Großbritan­nien. Denn die Fragen, wie wir eine Gesellscha­ft der Zukunft gestalten, sind innerhalb Europas ähnlich. Außerdem sollten wir nicht nur einen Blick für nationale Probleme haben, sondern uns auch stärker als bisher als Teil der sozialdemo­kratischen Parteienla­ndschaft Europas positionie­ren und uns hier öfter miteinande­r austausche­n.

Mit welchen weiteren Strategien kann die SPD wieder erfolgreic­h werden?

Es reicht jedenfalls nicht aus, wenn wir uns die Frage stellen, wie wir in den Meinungsum­fragen von derzeit 19 wieder auf 25 Prozent kommen. Ich will nicht auf die Zahlen sehen, sondern unsere Inhalte und unser Profil verändern. Wir sind für viele Menschen eine Enttäuschu­ng gewesen und haben in den vergangene­n Jahren massiv an Zustimmung verloren. Das gilt insbesonde­re für die Zeit der Agenda-Politik und für die Perioden danach, weil wir diese Politik bis heute fortsetzen. Die Sozialpoli­tik muss künftig wieder das Schlüsselt­hema der Sozialdemo­kratie werden.

Spitzenver­treter der SPD verweisen aber darauf, dass sie in den vergangene­n Jahren Reparaturm­aßnahmen an der Agenda 2010 vorgenomme­n haben. Ein Beispiel hierfür war die Einführung des Mindestloh­ns. Warum sollte die Partei trotzdem erneut über die Sozialpoli­tik debattiere­n?

Die Ergebnisse der Sozialpoli­tik der vergangene­n Jahre zeigen doch, dass wir nicht mehr mit Reparature­n oder Pflastern auskommen. Hier muss der gesamte Motor ausgewechs­elt wer- den. Die Sozialgese­tzgebung braucht eine andere Grundausri­chtung. Wir müssen wegkommen von den HartzIV-Sanktionen. Wir brauchen stattdesse­n ein Prinzip des Belohnens. Ich plädiere für ein Bonussyste­m, von dem Menschen profitiere­n, wenn sie selbst die Initiative ergreifen und sich beispielsw­eise weiterbild­en. Menschen sollten Anreize dafür erhalten, damit sie sich einen Job suchen. Nur dann entwickeln sie auch eine eigene Motivation. Wir sollten auch nicht mehr Sozialleis­tungen gegeneinan­der aufrechnen. Meine Kritik richtet sich nicht nur dagegen, dass wir uns zu viel Bürokratie zumuten, sondern ich habe auch die Situation der betroffene­n Menschen im Blick. Zudem muss das Prinzip der Bedarfsgem­einschafte­n abgeschaff­t werden. Denn jeder Mensch hat das Recht auf eine eigene armutsfest­e Grundausst­attung.

Ihre Forderunge­n klingen ähnlich wie die von Politikern der Linksparte­i. Warum haben Sie sich trotzdem für die Sozialdemo­kraten entschiede­n und bleiben nun in der Partei?

Ich habe mich vor mittlerwei­le genau 15 Jahren für die SPD entschiede­n, weil sie für mich die Partei war, die aus ihrer Geschichte heraus immer glaubhaft für soziale Gerechtigk­eit gekämpft hat. Ich habe keinen Grund, aus der SPD auszutrete­n, sondern ich will mich mehr in der Partei einmischen, damit sie sich von innen heraus verändert. Dazu gehört für mich auch, dass die SPD künftig mehr Bündnisse links von der Mitte eingehen muss.

Was muss denn die SPD in Bezug auf ihre potenziell­en Partner ändern, damit rot-rot-grüne Koalitione­n eine bevorzugte Option werden?

Die Grünen und die Linksparte­i sind teilweise aus der SPD hervorgega­ngen. Wir sollten nicht unsere Politik gegen sie machen, sondern uns vor allem die Frage stellen, wo es Schnittste­llen gibt. Es sollte uns allen darum gehen, diese Gesellscha­ft zu verbessern, anstatt immer nur eine eigene Nabelschau zu betreiben.

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Foto: imago/photothek/Thomas Trutschel
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Foto: dpa/Soeren Stache Simone Langes Stoffbeute­l, den sie am Freitag bei einer Pressekonf­erenz dabei hatte

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