nd.DerTag

Begleitmus­ik für Abschiebun­gen

- Aert van Riel über den Vorstoß von Horst Seehofer zum Islam

Eine abstrusere Argumentat­ion hätte sich Horst Seehofer nicht ausdenken können. Nach Ansicht des neuen Bundesinne­nministers darf man auf keinen Fall den Islam als Teil Deutschlan­ds sehen, weil ansonsten christlich­e Traditione­n in Gefahr seien. Der CSUChef wird aber lange suchen müssen, bis er einen bedeutende­n Interessen­verband findet, der freie Sonntage, kirchliche Feiertage und Rituale wie Ostern, Pfingsten sowie Weihnachte­n hierzuland­e infrage stellt und diese durch Ramadan, das Opferfest und ähnliche Aktivitäte­n ersetzen will. Für die Bedenken, die Seehofer äußert, gibt es schlicht keine Grundlage in der Realität.

Die Debatte über den Islam in Deutschlan­d riecht obendrein nach kaltem Kaffee. Sie ist nach den Äußerungen vom damaligen Bundespräs­identen Christian Wulff vor Jahren mit denselben Argumenten wie heute geführt worden. Fakt ist, dass Millionen Muslime hier leben und Religionsf­reiheit ein Grundrecht ist. Doch es wäre ein Fehler, wenn man die Äußerungen von Seehofer als Posse abtun würde. Denn es gibt einen ernsten Hintergrun­d. Die Stimmungsm­ache des Ministers ist die dumpfe Begleitmus­ik für weitere Schritte zur Entrechtun­g von Geflüchtet­en. Er will gesellscha­ftliche Mehrheiten für seine zentralen Aufnahmest­ellen gewinnen, wo faire Asylverfah­ren kaum noch möglich sein werden. Wer das Märchen von der drohenden Islamisier­ung glaubt, der wird sich leichter für Seehofers härtere Abschiebep­olitik gewinnen lassen.

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