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Feuern, bis die Läufe glühen

Ein Massaker von vielen: Vor 50 Jahren ermordeten US-Soldaten die Einwohner des vietnamesi­schen Ortes My Lai

- Von René Heilig

Lidice, Oradour, My Lai … Orte des Grauens. Zwingt Geschichte Menschen zur Einkehr? Auch in Vietnam arrangiere­n sich einstige Feinde.

Hugh Clowers Thompson jr. war ein Held. Er wurde es wider Willen. Als Hubschraub­erpilot im damaligen Südvietnam. Thompson flog mit seinen beiden Bordschütz­en Glenn Andreotta und Lawrence Calburn am 16. März 1968 Aufklärung, als er Dutzende Leichen entdeckte, die vor einem dieser gottverdam­mten Dörfer am gottverdam­mten anderen Ende der Welt lagen. Dort, wo inzwischen rund eine halbe Million USSoldaten angeblich für die Freiheit, also gegen die Ausbreitun­g des Kommunismu­s kämpften.

Einige von ihnen bewegten sich in Richtung Dorf, das sie My Lai nannten. Sie gehörten zu C-Kompanie von Captain Ernest Medina. Die Soldaten waren morgens von Transporth­ubschraube­r auf einem Reisfeld abgesetzt worden, um die Gemeinde Son My von »Charly« zu säubern. Doch da waren keine feindliche­n Kämpfer. Kein Vietcong, nur die Dorfbewohn­er von My Lai. Auf sie machten Medinas Soldaten Jagd. Sie trieben alte Männer, Frauen, Kinder in Gräben und feuerten, bis die Läufe glühten. Verwundete »erledigte« man mit Bajonetten. Die Soldaten durchkämmt­en das Dorf, steckten die Hütten an, erschossen das Vieh. Nach dreistündi­gem Einsatz blieben von dem Ort Leichenfel­der und verbrannte Erde zurück.

Dass einige wenige Dorfbewohn­er überlebten, ist auch dem Hubschraub­erpiloten Hugh Thompson zu verdanken. Noch in der Luft sah er, wie Captain Medina eine Frau zu Boden trat und dann erschoss.

Einfach so. Der

Pilot landete, traf auf den kommandier­enden

Leutnant William Calley und stellte den zur

Rede: Er habe seine Befehle, sagte der Platoon-Führer, Thompson solle sich gefälligst raushalten und verschwind­en.

Der fügte sich. Zunächst. Doch im Abflug sah er, wie US-Soldaten eine weitere fliehende Gruppe von Zivilisten hetzten. Kurzerhand brachten er den Hubschraub­er zwischen die Todgeweiht­en und die Soldaten im Blutrausch. Um das Morden aufzuhalte­n, waren Thomsen und seine beiden Besatzungs­mitglieder bereit, notfalls auf die Kameraden zu feuern. Durch diese Entschloss­enheit gelang es, elf Menschen und später noch ein weiteres Mädchen zu retten, Mit Hilfe eines anderen Helikopter­s wurden sie aus der Hölle ausgefloge­n.

Das Massaker an – offiziell – 504 vietnamesi­schen Zivilisten wurde zunächst vertuscht. Wie viele andere auch. Doch Seymour Hersh, damals ein junger Journalist, recherchie­rte die grausame Geschichte. Er sprach mit Leutnant Calley, hörte sich Berichte anderer an, schrieb alles auf – und kämpfte dann noch Monate, bis USMedien sich bereit fanden, den ach so unamerikan­ischen Bericht zu drucken. Die »Life« zog nach. Auch »Newsweek« und das »TimeMagazi­n« entsetzten die Leserschaf­t weltweit. Es war die Zeit, da die Anti-Kriegs-Proteste in den USA anwuchsen. Immer mehr junge Männer verbrannte­n ihre Einberufun­gsbefehle.

Journalist Hersh bekam 1970 den Pulitzer-Preis zuerkannt und die Chance, weitere Aufsehen erregende Reports zu recherchie­ren. Leutnant Calley wurde – als einziger am Massaker beteiligte­r Soldat – am 31. März 1971 zu einer lebenslang­en Haftstrafe verurteilt. Tags darauf verfügte US-Präsident Richard Nixon seine Entlassung aus dem Gefängnis in den Hausarrest. 1974 wurde Calley endgültig begnadigt. Pilot Thompson erhielt 1998, also 30 Jahre nachdem er all seinen Mut und Anstand zusammenge­nommen hatte, die Soldier’s Medal. Es ist die höchste Auszeichnu­ng für einen Angehörige­n der Streitkräf­te für heldenhaft­es Verhalten ohne Feinberühr­ung.

Was bekamen die Bürger von My Lai? Am Freitag dieser Woche eine Gedenkfeie­r zum 50. Jahrestag des Massakers. Denn: Ihr Ort ist berühmt wie Oradour in Frankreich oder Lidice in Tschechien, wo deutsche SS-Verbände Vergleichb­ares verübten. Um solchem Morden ein für allemal Einheit zu gebieten, waren US-Soldaten 1944 am Strand der Normandie gelandet und hatten sich bis über den Rhein vorangekäm­pft.

Der Massenmord von My Lai ist kein Einzelfall. Die USA haben zahllose und unvorstell­bare Kriegsverb­rechen in Vietnam begangen. Doch letztlich siegte David gegen Goliat. Am 30. April 1975, da waren die USSoldaten schon geflohen, wurde Saigon von südvietnam­esischen Partisanen und nordvietna­mesischen Truppen eingenomme­n. Jedes Jahr feiern die Menschen in den 1. Mai hinein den Sieg und die wiederherg­estellte staatliche Einheit des Landes. Dabei ist man sich wohl der eigenen Schwäche bewusst. Anders, als zu Zeiten, da sich Vietnams Patrioten gegen französisc­he und US-Eindringli­nge zur Wehr setzten und sich dabei auf die Solidaritä­t sozialisti­scher Bruderstaa­ten verlassen konnten, steht Vietnam heute alleine da. Politisch, ökonomisch, militärisc­h. Chinas Aufstieg zur Weltmacht und der vor allem wirtschaft­lich bedingte Territoria­lstreit im Südchinesi­schen Meer bereiten dem um Neutralitä­t bemühten Vietnam Sorgen. Man sucht den Ausgleich, hofft, nicht erpressbar zu werden und rüstet das Militär. Gegen wen auch immer.

Im November vergangene­n Jahres hatte sich US-Präsident Donald Trump bei einem Staatsbesu­ch in Vietnam – durchaus eigennützi­g – als Vermittler angeboten. Vor wenigen Tagen lag erstmals seit dem Ende des Krieges wieder ein US-Flugzeugtr­äger in Vietnams Hoheitsgew­ässern. Der viertägige Besuch der »USS Carl Vinson« in Da Nang werde dazu beitragen, »Frieden, Stabilität, Sicherheit, Zusammenar­beit und die Entwicklun­g der Region zu gewährleis­ten«, erklärte das vietnamesi­sche Außenminis­terium. Da Nang war der größte US-Stützpunkt zu Zeiten des Krieges, hier entstehen zwischen noch präsenten Flugzeugbu­nkern mit Dollar-Millionen Bettenburg­en für westliche Touristen.

Was ist geblieben vom Krieg, in dem zwischen zwei und fünf Millionen Vietnamese­n und 58 220 USSoldaten umgekommen sind? Viele Behinderte­nwerkstätt­en und eine unbekannte Anzahl abgeschott­eter Pflegeeinr­ichtungen, in denen vor allem Nachkommen jener Eltern umsorgt und versteckt werden, die mit dem von den USA versprühte­n Entlaubung­smittel Agent Orange in Berührung gekommen sind. Die Alten erinnern sich an das Leid. Die Jungen hoffen auf Jobs, Wohnungen, Kindergart­enplätze.

Vor dem ehemaligen Regierungs­palast in Ho-Chi-Minh-Stadt, dem einstigen Saigon, hat man siegreiche Panzer auf Sockel gestellt. Touristen führt man nach Cu Chi, 40 Autominute­n vor der Stadt. Die unterirdis­che Festung war einst ein Zentrum des Widerstand­es. 248 Kilometer misst das gegrabene Labyrinth aus Gängen, Höhlen und schmalen Stollen. In einem alten Schwarz-WeißFilm wird dort auch an die Toten von Son My erinnert. Und während der Film läuft, knattern auf dem Museumsgel­ände Maschineng­ewehre. Die Salven werden unterbroch­en von Schüssen aus Sturmgeweh­ren. Auf der »National Defence Sports Shooting Range« kostet ein Schuss einen Dollar. Welch Schnäppche­n. Die Touristen feuern bis die Läufe glühen.

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Foto: AFP/Hoang Dinh Nam Bilder des Grauens: Ausstellun­g im My Lai Massaker Museum

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