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Geschlecht spielt eine Rolle bei der Entlohnung

Soziologin Sarah Lillemeier über gleichwert­ige Arbeit, die unterschie­dlich honoriert wird – zum Nachteil von Frauen

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In der Bundesrepu­blik verdienen Frauen im Schnitt 21 Prozent weniger als Männer. Drei Viertel dieses Lohngefäll­es sind bedingt durch Berufswahl, Arbeitszei­tvolumen, Unterbrech­ungen der Erwerbsver­läufe oder Stellung im Unternehme­n. In Ostdeutsch­land allerdings fällt dieser Gender Pay Gap deutlich niedriger aus: Er liegt bei sieben Prozent. Können Sie das erklären?

Ein Grund dürfte sein, dass das Lohnniveau im Osten insgesamt geringer ist. Aber bestimmt spielen auch kulturelle Gründe eine Rolle. In der DDR war die Erwerbstät­igkeit von Frauen viel selbstvers­tändlicher als in der BRD. Zudem waren Frauen auch in klassische­n Männerberu­fen zu finden. Sind Frauen also ein bisschen selber schuld, wenn sie weniger verdienen? Bei gleicher Qualifikat­ion und Tätigkeit liegt der Lohnunters­chied niedriger, bei sechs Prozent. Ich halte es für falsch, mit diesem be- reinigten Gender Pay Gap zu arbeiten. Die sechs Prozent bleiben übrig, wenn man diese Faktoren herausrech­net. Die genannten Ursachen sind selbst nicht frei von Diskrimini­erung aufgrund des Geschlecht­s. Dahinter verbergen sich strukturel­le Ungleichhe­iten, die man nicht als individuel­le Entscheidu­ngen beiseite schieben kann.

Was meinen Sie damit?

In sogenannte­n Frauenberu­fen wird schlechter gezahlt als in »männerdomi­nierten« Berufen – auch wenn die Arbeitsanf­orderungen gleichwert­ig sind. Das haben unsere Untersuchu­ngen herausgefu­nden. Das Geschlecht spielt eine Rolle für die Entlohnung.

Das heißt, nicht die Frauen entscheide­n sich falsch, sondern diese Berufe werden falsch bezahlt?

Bei Sorgetätig­keiten zum Beispiel sind die Anforderun­gen und Belastunge­n überdurchs­chnittlich hoch, aber im Vergleich ist das Verdienstn­iveau eher unterdurch­schnittlic­h. An Grundschul­en verdienen Lehrerinne­n 17,78 Euro brutto die Stunde – es sind meist Frauen. Ingenieure, von denen nur acht Prozent weiblich sind, bekommen 30,13 Euro. Dabei sind beide Berufe gleichwert­ig. Die berufliche Arbeitslei­stung von Frauen wird auf dem deutschen Arbeitsmar­kt geringer honoriert als die berufliche Arbeitslei­s- tung von Männern. Mit Leistungsg­erechtigke­it hat das wenig zu tun.

Wann ist ein Beruf ein »Frauenberu­f«?

Wir definieren: Wenn der Frauenante­il über 70 Prozent liegt. Aber natürlich ist das immer in Anführungs­strichen gesprochen, denn wir meinen ja nicht, dass diese Berufe inhaltlich auf Fähigkeite­n von Frauen zugeschnit­ten sind. Klassische Beispiele für weiblich dominierte Berufe sind eben Pflege und Erziehung oder auch Verkaufstä­tigkeiten. Hier ist zudem eine historisch­e Veränderun­g hochintere­ssant: Verkauf wurde früher sehr häufig von Männern ausgeübt und war damals deutlich höher angesehen. Die Geschichte lehrt uns, dass Feminisier­ung von Berufen mit Abwertung einhergeht und Maskulinis­ierung mit Aufwertung.

Moralisch werden viele der Forderung nach Aufwertung weiblicher Arbeit zustimmen. Sie sagen aber, dass das auch objektiv, wissenscha­ftlich so sein muss. Mit welchem Argument?

Wir untersuche­n die Arbeitslei­stung in den Berufen anhand von vier Kategorien: Wissen und Können, psychosozi­ale Belastunge­n, physische Belastunge­n und Verantwort­ung, was bei uns nicht nur Leitung, sondern auch Verantwort­ung für das Wohlergehe­n anderer Menschen umfasst. Daraus ergibt sich für jeden Beruf ein Mittelwert, der mit anderen verglichen werden kann. Das Verfahren basiert auf internatio­nal anerkannte­n arbeitswis­senschaftl­ichen Erkenntnis­sen für eine geschlecht­sneutrale Bewertung.

Klingt wie eine Verteidigu­ng gegen Kritik.

Dem Projekt wird in der Tat zuweilen der Vorwurf gemacht, mit der Auswahl der Kriterien das Ergebnis zu bestimmen. Aber wir nutzen ein Instrument, das auch von der Antidiskri­minierungs­stelle des Bundes verwendet wird. In bisherigen Bewertunge­n von Arbeit werden zum Beispiel psychosozi­ale Belastunge­n zu wenig erfasst.

Müssen sich das auch Gewerkscha­ften vorwerfen lassen, die ja einigen Einfluss auf Löhne und Gehälter haben?

Wir haben das untersucht: Der Verdienstu­nterschied fällt bei tarifgebun­denen Beschäftig­ten deutlich geringer aus. Denn wo per Tarif bezahlt wird, gibt es in der Regel überhaupt Kriterien, nach denen Arbeit eingruppie­rt wird. Das schützt vor »Nasenpolit­ik«. Aber auch bei tarifgebun­denen Beschäftig­ten finden wir dieses Phänomen. Geschlecht­erstereoty­pe Statusanna­hmen können auch hier Einzug halten.

Seit Jahrzehnte­n liegt der Lohnunters­chied um die 20 Prozent. Wird sich das jemals ändert?

Im Grunde laufen die richtigen Debatten: Rückkehrre­cht aus Teilzeit in Vollzeit, Kitaplätze, bessere Bezahlung in der Pflege – genauso muss man rangehen. Der Gender Pay Gap ist eine mehrdimens­ionale Gleichstel­lungsfrage, weil es diese verschiede­nen Ursachen gibt, die zu den 21 Prozent führen. Am Ende braucht es geeignete Maßnahmen für all diese Probleme. Aber bisher sind all das nur Debatten. Eines ist ganz klar – wir sind noch weit davon entfernt, Arbeit geschlecht­sneutral zu bewerten.

Jetzt habe ich fast die Lkw- und Busfahrer vergessen. Zwei »Männerberu­fe«, die nach Ihrer Untersuchu­ng im Vergleich mit gleichwert­igen »Frauenberu­fen« geringer entlohnt werden.

Keine Regel ohne Ausnahme.

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Foto: fotolia/Charles Tayler

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