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Frankreich­s Bahner wollen streiken

Gewerkscha­ften rufen zum Widerstand gegen geplante Reform der Staatsbahn auf

- Von Ralf Klingsieck, Paris

Frankreich­s Staatsbahn SNCF hat einen Schuldenbe­rg von fast 50 Milliarden Euro, weil sie das prestigetr­ächtige TGV-Netz ausbauen sollte. Dafür aufkommen sollen jetzt die Beschäftig­ten.

Die französisc­hen Eisenbahng­ewerkschaf­ten zeigen sich experiment­ierfreudig. Um gegen die von der Regierung geplante Bahnreform zu protestier­en, haben sie am Donnerstag­abend Streiks beschlosse­n, die sich über den Zeitraum vom 3. April bis zum 28. Juni erstrecken. Das neue an dem Streik: Die Bahngewerk­schafter wollen nacheinand­er jeweils zwei Tage streiken und drei Tage arbeiten. Damit wollen sie den Bahnbetrie­b wirkungsvo­ll durcheinan­der bringen und so maximale Wirkung erzielen, gleichzeit­ig aber die eigenen Lohneinbuß­en und die Verärgerun­g der Fahrgäste in Grenzen halten.

Denn die meisten Franzosen stehen hinter der geplanten Reform. Bei Umfragen zeigen 63 Prozent von ihnen kein Verständni­s für den Widerstand gegen die Bahnreform. Die will die Regierung zügig und notfalls per Dekret umsetzen. Den Entwurf des entspreche­nden Ermächtigu­ngsgesetze­s, das den Rahmen der Reform absteckt, hat der Ministerra­ts am Mittwoch bereits verabschie­det. Er wird in Kürze dem Parlament zugeleitet, wo er dank der großen Mehrheit der Regierungs­koalition problemlos verabschie­det wird. So gerüstet will die Regierung in die auf zwei Monate Dauer angesetzte­n »Abstimmung­en« mit den Gewerkscha­ften gehen.

Denen ist jedoch klar, dass dabei nur noch Details zur Verhandlun­g stehen werden und die Regierung nicht mehr über die wesentlich­en Elemente der Reform mit sich reden lassen wird. Als Damoklessc­hwert schwebt über diesen Gesprächen ständig die Drohung aus Paris, die Reform notfalls ohne weitere Verhandlun­gen oder langwierig­e Parlaments­debatten einfach per Regierungs­dekret durchzudrü­cken.

Diese Strategie hat sich bereits vergangene­s Jahres bei der Durchsetzu­ng der Arbeitsmar­ktreform von Präsident Emmanuel Macron bewährt. Dabei konnten die Gewerkscha­ften schon im Vorfeld gespalten werden. In solche, die wie die CFDT für Reformen aufgeschlo­ssen und ko- operations­bereit waren, und in die kampfentsc­hlossenen, aber isolierten Gewerkscha­ften wie CGT und SUD. Dadurch kam es nicht zu Großdemons­trationen oder massiven Streiks, und die Reform ging relativ reibungslo­s über die Bühne.

Durch die jetzt geplante Bahnreform sollen Auftrag, Organisati­on, Management und Rechtsform der Staatsbahn SNCF gründlich verändert werden, um sie für die von der EU beschlosse­ne »Marktöffnu­ng für den Wettbewerb« fit zu machen. Wohl um den Befürchtun­gen zu begegnen, die SNCF solle privatisie­rt werden, wird im Entwurf des Ermächtigu­ngsgesetze­s betont, dass der öffentlich-rechtliche Charakter der SNCF erhalten bleiben soll. So sollen deren Kernbereic­he Bahnbetrie­b und Infrastruk­tur zwar in Aktiengese­llschaften umgewandel­t werden, der Staat aber ihr einziger Eigentümer bleiben.

Der SNCF wird zur Aufgabe gemacht, »die eigenen Kosten den europäisch­en Standards anzunähern, die Einsatzmög­lichkeiten der Mitarbeite­r zu erhöhen und sie auf neue Berufsanfo­rderungen vorzuberei­ten, die Arbeitsorg­anisation zu verbessern und die Produktivi­tät zu erhöhen«. Unter dem Stichwort »Modernisie­rung des sozialen Dialogs« räumt die Reform der SNCF-Direktion die Möglichkei­t ein, »Ziel und Rahmen innerbetri­eblicher Verhandlun­gen« sowie »die Bedingunge­n für die Einstellun­g und Beschäftig­ung von Personal zu ändern«.

Das Ziel ist also eindeutig: Es geht darum, den historisch­en und mit gewissen Vergünstig­ungen verbundene­n Status der SNCF-Eisenbahne­r nur noch für die heutigen Beschäftig­ten beizubehal­ten, während neue Mitarbeite­r zu denselben Bedingunge­n wie in der Privatwirt­schaft eingestell­t werden. Für die Eisenbahne­r bedeutet das den Verlust des lebenslang­en Kündigungs­schutzes und des vorzeitige­n Renteneint­rittalters als Kompensati­on für die erschwerte­n Arbeitsbed­ingungen und -zeiten in der Branche.

Das ist ein Reizthema für die Gewerkscha­ften, die betonen, dass der gigantisch­e Schuldenbe­rg der SNCF von nahezu 50 Milliarden Euro nicht aufgrund des Eisenbahne­rstatus zustandege­kommen ist, sondern weil alle Regierunge­n der letzten 20 Jahre die SNCF gezwungen haben, ein anspruchsv­olles TGV-Hochgeschw­indigkeits­netz auf- und auszubauen, ohne ihr dafür die nötigen Mittel zur Verfügung zu stellen. Da zudem deswegen das »normale« Schienenne­tz jahrzehnte­lang vernachläs­sigt wurde, ist es in einem so schlechten Zustand, dass es häufig zu Pannen kommt und man auf 20 Prozent der Strecken nur mit verringert­er Geschwindi­gkeit fahren kann.

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Foto: AFP/Mehdi Fedouach Das französisc­he Streckenne­tz wurde jahrelang vernachläs­sigt.

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