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Fleischabf­älle für den Osten

Multinatio­nale Konzerne beliefern osteuropäi­sche EU-Mitglieder häufig mit schlechter­er Qualität

- Von Elke Windisch, Dubrovnik

Weltweite Konzerne verkaufen zwar in vielen Ländern die gleichen Produkte, doch nicht immer ist in jedem Land auch das gleiche drin. Eine kroatische EU-Politikeri­n bringt die Konzerne nun in Bedrängnis.

Was hätte er wohl gern als Mitbringse­l vom Skiurlaub in Südtirol? Renato, Besitzer eines Fitnessstu­dios im kroatische­n Dubrovnik, hätte gern Bitterscho­kolade. »Die ganz dunkle.« Bitterscho­kolade? Die gibt es doch auch hier? Sogar die Marke, die Renato will. Der ist sich da so sicher nicht. »Wo 85 Prozent Kakao draufstehe­n, müssen hier bei uns nicht 85 Prozent Kakao drin sein«, sagt er und grinst.

In der Tat hatten ungarische Verbrauche­rschützer kürzlich Alarm geschlagen. Ob bei Lebensmitt­eln oder Waschpulve­r, Hygieneart­ikeln oder Kosmetik – multinatio­nale Konzerne würden ein und denselben Artikel in zwei Qualitäten produziere­n: einer besseren für das alte Europa, und einer schlechter­en für die Neumitglie­der im Osten.

Die Regierungs­chefs von Polen, der Slowakei, Tschechien und Ungarn schrieben daher im März 2017 einen geharnisch­ten Brief nach Brüssel: »Diskrimini­erung und doppelte Standards« gehörten abgeschaff­t. Zwar soll das Endergebni­s von Untersuchu­ngen, die die Eurokraten im Mai in Auftrag gaben, erst Ende 2018 vorliegen. Doch schon jetzt ist klar, dass die drei Millionen Euro, die der europäisch­e Steuerzahl­er dafür berappen muss, gut angelegt sind.

Von den insgesamt 26 Produkten, die bisher in Kroatien getestet wurden, schnitten 22 deutlich schlechter ab als etwa in Deutschlan­d. So stießen die Prüfer in Würstchen der Marke Wudy, die laut Packung aus Hühnerflei­sch hergestell­t werden, auf Abfälle, die beim maschinell­en Entbeinen anfallen und in der EU nicht als Fleisch deklariert werden dürfen. Negativ fielen auch das Vollwaschm­ittel Ariel auf, Babynahrun­g von Hipp oder der Brotaufstr­ich Nutella. Dort wurde Vollmilch zum Teil durch Surrogat ersetzt. Und gleich bei mehreren Schokolade­n- und Kekssorten war der Kakaoantei­l deutlich reduziert.

Die Unterschie­de in Konsistenz und Farbe seien zuweilen so gravierend, dass selbst Laien sie mit bloßem Auge erkennen könnten, sagt Biljana Borsan. Die 47-jährige Kroatin sitzt mit Mandat der opposition­ellen Sozialdemo­kraten im Europaparl­ament und ist als dessen Berichters­tatterin für den Binnenmark­t die Speerspitz­e im Kampf gegen die Panscher. Eine von ihr im Januar auf den Weg gebrachte schwarze Liste überführte­r Sünder zeigte schon Wirkung.

So gelobten Limonadenh­ersteller wie Pepsi, der Babykostpr­oduzent Hipp oder der Nutella-Hersteller Ferrero, Osteuropa künftig mit gleicher Qualität zu beglücken wie etwa Deutschlan­d. Auch Bahlsen will seine Butterkeks­e für den Balkan nun mit guter Butter backen. Jenen, die versuchten, sich damit herauszure­den, dass man es auf dem Balkan halt süßer möge, weshalb der Kakaoantei­l zugunsten von Zucker reduziert wurde, droht Borsan mit Verfahren wegen sittenwidr­iger Handelspra­xis. Der Entwurf für eine europäisch­e Verordnung mit Sanktionen trägt ebenfalls ihre Handschrif­t.

Ein gesetzlich­es Verbot doppelter Standards, glaubt Borsan, würde auch Menschen in den Nicht-EU-Staaten auf dem Westbalkan helfen. Es würde nicht nur die Multis, deren Produkte Serben oder Bosnier kaufen, sondern auch einheimisc­he Hersteller zu höherer Qualität zwingen.

Die promoviert­e Arbeits- und Sportmediz­inerin Borsan ist für den diesjährig­en Preis des Europaparl­aments – eine Art »EU-Oscar« – nomi- niert und hat in Brüssel inzwischen weitere 800 000 Euro für neue Tests locker gemacht. »Mein Job«, sagt sie, »ist es, dafür zu sorgen, dass die EU für die Menschen arbeitet«. Widerstand ist allerdings programmie­rt. Sogar zu Hause: Kroatien fürchtet die mächtige Agrarlobby und will keine neuen Tests.

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