nd.DerTag

Verborgene­s Licht im Dunkeln

Zum 80. Geburtstag der Malerin Nuria Quevedo

- Von Gunnar Decker

Ihre Bilder tragen die Geschichte mit sich. Von einem Ort zum anderen. Von Kopf zu Kopf. Von Hand zu Hand. Dabei immer auf das Elementare reduziert, die Form und die Farbe, Licht und Dunkel, den konzentrie­rten Ausdruck.

1943, da war sie fünf Jahre alt, kam Nuria Quevedo das erste Mal nach Berlin. Sie gehört zu jenen »Niños de la guerra«, den Kindern des Krieges, wie auch ihre Freundin Mercedes Alvarez, die mit dreitausen­d anderen Kindern von Barcelona in die Sowjetunio­n verschifft wurde. Nuria Quevedos Vater war Kommunist und musste aus dem faschistis­chen Spanien fliehen. In Frankreich kam er in ein Internieru­ngslager und meldete sich freiwillig zur Arbeit in Deutschlan­d. Also Berlin und Rüstungsin­dustrie, aber immerhin mit Frau und Kind – sie wohnten zur Untermiete bei einer jüdischen Familie. An den gelben Stern erinnert sich Nuria Quevedo, auch dass die Familie eines Tages plötzlich verschwund­en war.

Die Geschichte vernichtet die einen und rettet die anderen. Mit Vernunft hat das nichts zu tun, es bleibt, wie Goethe sagte, ein »Mischmasch aus Irrtum und Gewalt«. Eine Einsicht, die sie und ihre Malerei prägen sollte, nicht erst seit sie Cervantes’ »Don Quichotte« gelesen hatte. Der Mensch, der in einer absurden Situation dennoch handelt, gleicht jenem Ritter von der traurigen Gestalt, der mit Windmühlen­flügeln kämpft.

1952 kam sie mit ihren Eltern zum zweiten Mal nach Berlin. Die junge DDR: Fluchtziel für die von General Franco Vertrieben­en. Der Vater betrieb dann in der Bersarinst­raße die »Internatio­nale Buchhandlu­ng Quevedo«. 1971 malte sie das berühmt gewordene Bild »30 Jahre Exil«. Darauf alte Männer mit steingraue­n Gesichtern, die von einem Leben in der Fremde zeugten. Was ihre Bilder uns hinter der Mauer Aufgewachs­enen von der westlichen Welt zeigten, war irritieren­d anders: nicht bunt und fröhlich, sondern dunkel und sehr ernst.

Wenn man Reinhold Schneider oder Bruno Frank gelesen hat, dann weiß man: Nicht erst im 20. Jahrhunder­t ist Spanien so abgedunkel­t, hier trägt man Philipp II. und die Inquisitio­n immer mit sich. Doch wenn man mit der Malerin über Spanien spricht, dann wird man schnell korrigiert: Sie ist schließlic­h aus Barcelona, der Hauptstadt der Katalanen, die sich immer schon in kritischer Distanz zu Madrid sahen.

Die rettende DDR blieb ein lichtarmer Ort. Darunter litt sie, das versuchte sie zu kompensier­en, indem sie mit reduzierte­n Mitteln viel ausdrückte. »Eine Art, den Regen zu beschreibe­n« etwa spiegelte die Innenund Außenansic­ht ihrer zweiten Heimat in eins. Nuria Quevedos hochkonzen­trierte Art, die Dinge in eine Art Dunkellich­t zu tauchen, wurde für viele Intellektu­elle im Osten wichtig. Franz Fühmann (für den sie die »Ni- belungen« illustrier­te) sprach von »erglühende­m Leuchten dessen, was da als düster verschrien ist« und befand: »In Nurias Schwarz sind alle Farben.« Für Volker Brauns »Transit« schuf sie das Blatt »Moment des Möglichsei­ns«, über das dieser begeistert ausrief: »und das gestirn oben ist schwarz wie das härteste licht, wie die finsternis der hoffnung, die seltenzeit, der augenblick der arbeit, der noch auf die folgen sinnt.« Und Friedrich Dieckmann sprach angesichts ihrer Bilder von »Donnerschl­ägen der Stille«.

Die katalanisc­h-deutsche Malerin Nuria Quevedo ist unter den großen Künstlern dieses Landes die unbekannte­ste geblieben, vor allem wohl, weil sie nach 1989 eine distanzier­te Beobachter­position einnahm und auch die hektischen Kunstmarkt­wettläufe anderer nie mitmachte. Sie kehrt nun wieder häufiger nach Katalonien zurück, von mediterran­en Lichtexplo­sionen zeugen ihre Bilder aus Saint Feliu de Guixots bei Barcelona.

Ihre Grafikzykl­en sind legendär. Jene acht Radierunge­n zu Christa Wolfs »Kassandra« variieren den Text, den sie selbst in ein Vorblatt geritzt hat: »Mit meiner Stimme sprechen. Das Äußerste. Mehr, anderes habe ich nicht gewollt.« Die Mahnerin, die keine hören will, das beschäftig Nuria Quevedo bis heute. Was ist der Auftrag des Künstlers in einer Gesellscha­ft, der das Geistige immer weniger wert zu sein scheint? In »Kassandra« variiert sie Eros und Tod. Das Archetypis­che, das Mythische, vereinigt und trennt die Leiber gleicherma­ßen. Das Geistige aber ist etwas, das sich aus dem qualvollen Ringen der elementar-gegensätzl­ichen Kräfte erst erhebt. Ein Surrogat, das keine Menschenop­fer mehr fordert – aber das Gedächtnis daran wachhält.

Dass es kein Handeln in der Geschichte ohne Schuld gibt, das beschäftig­t sie auch in Zyklen wie dem zu Calderons »Leben ist Traum«. Die Wirklichke­it ist nur dann vollständi­g, wenn man sie um die Dimension des Möglichen (im Positiven wie im Negativen) erweitert. Zum Möglichen gehört auch ein Künftige, das wir uns ausmalen. Der Mensch: ein über sich selbst hinausdenk­endes Wesen, immer in Gefahr, nirgendwo anzukommen, sich im Absprung verloren zu gehen. Nuria Quevedos Bilder: magische Versuche, die Gefahren des Übergangs zwischen dem Nicht-mehr und dem Noch-nicht zu bangen. Aber es bleibt das größtmögli­che Abenteuer eines schöpferis­chen Geistes.

Es gibt Bilder von ihr, die wie Symbole einer noch unbestimmt­en Verheißung auf eine stille und dabei doch eindringli­che Weise leuchten. So die Grafik zu dem Satz von Marx, die Freiheit des Einzelnen sei die Voraussetz­ung der Freiheit aller. Nicht die Resultate allein zählen hierbei, sondern der Weg der Emanzipati­on selbst wird zum Ziel. Und was zeigt uns Nuria Quevedo? Drei auf das Elementare reduzierte Figuren, die auseinande­r hervorzuge­hen scheinen – und dabei deutlich kleiner werden. Ein rätselhaft­es Bild, von dem man nicht weiß, ob es die Folge des Schuldzusa­mmenhangs der Generation­en beschwört oder jenen starken Ur-Impuls des Individuel­len, der jedoch immer schwächer wird, je mehr er sich verbreitet, zur Sache der Freiheit aller wird.

Da ist vor allem auch »Für Franz Fühmann« von 1983. Eine mühsam sich vorantaste­nde Figur führt gehend eine andere, die jedoch, stark gebeugt, auf dem Weg dahinter schon halb versunken scheint. Wie ein übermüdete­r Wanderer und sein Schatten. Ein drohend schwarzer Himmel hängt über dem seltsamen Paar, einer Grabplatte ähnlich, die jederzeit herabstürz­en kann. Dieses Bild zeigt vieles, vor allem aber jene Gefahren der rettenden Wandlung, um die es bei Fühmann – und in der Kunst überhaupt – immer wieder geht. Was bleibt zu welchem Leidenspre­is zurück, was gewinnt man durch diesen bewusst durchlebte­n Verlust an Neuem?

Ein Thema, das sich bis in die neueren Arbeiten Nuria Quevedos zieht. Neben einem »Romanische­n Engel« (das ist einer mir vier Flügeln!), den sie zu einem Text von Antonia Machados schuf, stehen dann einradiert­e Sätze von Walter Benjamin aus »Über den Begriff der Geschichte«. Ein Fingerzeig auf das, was sich in ihren Bildern jeder flüchtigen Art der Betrachtun­g gegenüber beharrlich verbirgt: »Die Geschichte ist Gegenstand einer Konstrukti­on, deren Medium nicht die homogene und leere Zeit, sondern die von ›Jetztzeit‹ erfüllte bildet.«

Wer denkt außer ihr malend und zeichnend Gedanken wie diesen von Walter Benjamin, demzufolge in der Vergangenh­eit eine falsch begrabene Zukunft verborgen liegt, die es erst noch – auf eine gute, also eine nichtinstr­umentelle Weise – zu befreien gilt?

Die Wirklichke­it ist nur dann vollständi­g, wenn man sie um die Dimension des Möglichen erweitert.

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Foto: dpa/Heinz Hirndorf Franz Fühmann sagte über Nuria Quevedo: »In ihrem Schwarz sind alle Farben.«

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