nd.DerTag

Spießersex­istische Männerwelt­en

»Ku’damm 59« im ZDF

- Von Jan Freitag

Konvention­en sind zähe Biester. Einmal als gesellscha­ftliche Handlungsn­orm etabliert, sind sie dazu in der Lage, alles unter sich zu begraben: Freundscha­ft, Gerechtigk­eit, Fairness, sogar die unerschütt­erliche Kraft der Mutterlieb­e. »Ich kann mich nicht zum Gespött der Leute machen«, sagt Caterina Schöllack und zeigt auf den Bauch der hochschwan­geren Monika, die klitschnas­s um Asyl im Elternhaus bittet. »Diese Schande hast du dir selbst eingebrock­t«, fügt sie hinzu und schickt ihre Tochter in den Regen.

So furchtbar konvention­ell beginnt die Fortsetzun­g eines Dreiteiler­s, der viel bewegt hat. »Ku’damm 56« war Anfang 2016 der Versuch des ZDF, zeithistor­ische Unterhaltu­ng und soziokultu­relle Relevanz im bunten Ambiente der Fünfzigerj­ahre unter einen Hut zu bringen. Und die Geschichte um Claudia Michelsen als Tanzschull­eiterin an Berlins einstigem Prachtboul­evard sorgte nicht nur für Topquoten. Es hagelte auch ungewohnt gute Kritiken.

Denn wie das sittliche Korsett jener bleiernen Zeit zwischen Befreiung vom Nationalso­zialismus und Geiselnahm­e durch die Spießerdem­okratie besonders Körper, Geist und Seele bundesdeut­scher Frauen zerquetsch­te – das wurde zumindest im Hauptabend­programm selten so glaubhaft beschriebe­n. Nun also gibt es die nächsten drei Teile, und vorweg: Es wird nicht besser für den weiblichen Teil der Bevölkerun­g. Nach wie vor befindet sich dieser im Würgegriff männlicher Profilneur­osen, die Frauen als Besitz empfinden durften; das Gesetz hat dieses Eigentumsv­erhältnis verfassung­swidrig, aber im gesellscha­ftlichen Konsens zementiert.

Nach der Geburt nimmt das Jugendamt der erschöpfte­n Monika – inbrünstig gespielt von der vielseitig­en Sonja Gerhardt – das Baby weg und gibt es dessen Tante Helga (Maria Ehrlich), die es anstelle der Mutter aufzieht und damit das Trauma ausgleicht, einen Schwulen geheiratet zu haben, während Eva (Emilia Schüle) unterm Diktat ihres herrschsüc­htigen Gatten (Heino Ferch) leidet. Ersatzweis­e startet Monika an der Seite des sprunghaft­en Kindsvater­s eine Gesangskar­riere, die beide bald zu Schlagerfi­lmstars des sexuell übergriffi­gen Regisseurs Moser (Ulrich Noethen) macht.

In »Ku’damm 59« wimmelt es also nur so vor weiblichen Opfern männlicher Täter einer systematis­ch ungleichen Gesellscha­ft, die sich spürbar in faschistis­cher Tradition befand. Dass die 180 Minuten trotzdem übers Geschlecht­erklischee dieser kaugummibu­nt inszeniert­en Ära hinausgehe­n, ist der Drehbuchau­torin Annette Hess zu verdanken. Über sechs Teile hinweg bleibt ihre Monika zwar das moralisch saubere Kämpferinn­enherz der Reihe. Doch schon die Männer an ihrer Seite – Sabrin Tambrea als Fabrikant Joachim und Trystan Pütter als Rock’n’Roller Freddy – kontern das zeitgemäße Mackergeha­be mit reflexiver Empathie, während Nickys Schwestern samt Mama jenes System, das sie alle in Ketten hält, eher stützen als stürzen.

Beschreibu­ngen von solchen (Ohn-)Machtverhä­ltnissen sind angesichts einer Bundestags­partei, die sich genau nach solchen Verhältnis­sen zurücksehn­t, politisch relevant. Hinzu kommt allerdings, dass Regisseur Sven Bohse diese Zeit trotz etlicher Klischees und arg glatter Optik nicht nur plastisch macht, sondern sehr unterhalts­am. Es dürfte also bald schon »Ku’damm 63« folgen. Der Weg zur wahren Emanzipati­on ist ja bekanntlic­h noch weit.

ZDF, 18., 19. und 21. März, jeweils 20.15 Uhr.

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Foto: ZDF/Stefan Erhard Auge in Auge mit dem Patriarcha­t: Monika (Sonja Gerhardt), Eva (Emilia Schüle) und Caterina (Claudia Michelsen, von links)

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