Ukraine boykottiert Wettkämpfe in Russland
Sportminister untersagt den Auswahlathletinnen und -athleten jegliche Starts im feindlichen Nachbarland
Das ukrainische Sportministerium hat seinen Sportlern verboten, an Wettbewerben in Russland teilzunehmen. Betroffen sind auch die Biathleten, die am Weltcupfinale in Tjumen teilnehmen wollten.
Medaillen hatte man in der Ukraine von den Biathletinnen und Biathleten bei den Olympischen Winterspielen in Südkorea erwartet – war es doch gerade die Frauenstaffel, die mit ihrem Gold 2014 im russischen Sotschi Geschichte schrieb, während auf dem Maidan Menschen starben. Doch in Pyeongchang konnte die ukrainische Biathlonmannschaft 2018 nicht glänzen: Beste Platzierung war ein siebter Platz der Mixed-Staffel, die BiathlonStaffel der Frauen, die sonst stets zur Weltspitze gehört, landete auf Rang elf. Zuhause war man empört, zumal auch noch allerlei interne Konflikte während der Spiele in die Medien gelangten: Sogar von einer Affäre zwischen dem Cheftrainer der Frauen und einer Topsportlerin war die Rede.
Es ist ein Desaster: Noch vor Wochen absoluter Publikumsliebling, hat das ukrainische Biathlon durch Pyeongchang viel an Beliebtheit eingebüßt. Selten war der Zeitpunkt für einen politischen Konflikt ungelegener für den ukrainischen Biathlonverband um seinen Präsidenten Wolodymyr Brynsak als im März 2018. Doch nun fielen die Biathleten auch noch politisch in Ungnade, weil sie am Abschlussweltcup der Biathlonsaison im russischen Tjumen (20. bis 25. März) teilnehmen wollten. »Aus sportlicher Sicht müssen wir nach Russland fahren, wir haben keine Wahl«, lautete Brynsaks Begründung. »Es geht um hohe Platzierungen im Weltcup und um die daraus resultierende Anzahl der Ukrainer, die in der kommenden Saison an den Start gehen dürfen.«
Seit dem der politische Konflikt zwischen Kiew und Moskau vor vier Jahren mit der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim ausgebrochen war, gab es in der Ukraine zahlreiche Aufrufe zum Boykott von Sportveranstaltungen im Nachbarland. Klare Taten blieben jedoch immer aus: In einem internen Schreiben des Sportministeriums hieß es, ukrainische Sportler dürften zu offiziellen internationalen Wettbewerben nach Russland fahren, private kommerzielle Veranstaltungen indes seien ausdrücklich zu meiden.
Jetzt aber besteht das Sportministerium darauf, dass die Biathleten nicht in Tjumen antreten. »Kanada, Tschechien und die USA boykottieren den russischen Weltcup, auch wir sollten nicht daran teilnehmen«, sagte Sportminister Ihor Schdanow.
Ursprünglich wollte der Biathlonverband dieser Forderung auch dismal nicht nachgeben. Am Mittwoch aber trafen sich Minister Schdanow und Verbandspräsident Brynsak. Und als es vorbei war, verkündete Brynsak einen Verzicht auf die Reise nach Tjumen: »Wir müssen auf bessere Zeiten warten und würden uns freuen, in der Zukunft auch in Russland für die Ukraine zu gewinnen.«
Das Sportministerium entschied derweil noch viel Gravierenderes: Ab sofort dürfen ukrainische Sportlerinnen und Sportler, die einer Auswahl des Landes angehören, überhaupt nicht mehr an Wettbewerben in Russland teilnehmen. »Früher haben wir der Teilnahme an offiziellen Wettbewerben, die von internationalen Verbänden organisiert werden, zugestimmt«, kommentiert Ihor Schdanow seine umstrittene Entscheidung. »Aber die Zeiten haben sich verändert. Wir beobachten ja, wie sich die Politik des russischen Staates entwickelt und glauben, dass jegliche Reisen nach Russland gefährlich werden könnten.«
Während der patriotische Teil der Zivilgesellschaft über den Entschluss des Sportministeriums jubelte, stieß er in der Sportwelt überwiegend auf Unverständnis. Neben der Biathlonmannschaft sind davon vorerst die Ringer direkt betroffen, die ab dem 30. April an der EM im russischen Kaspijsk teilnehmen wollten. »Was ukrainische Politiker machen, ist furchtbar«, klagte Verbandspräsident Elbrus Tedejew. »Wir haben so viel in unsere Vorbereitung gesteckt. Nun hat irgendjemand in Amerika für uns entschieden, dass wir nicht fahren dürfen. Alles wird von Personen entschieden, die niemals trainiert oder etwas gewonnen haben.«
Aus Russland war ebenfalls Unverständnis zu hören, wie auch skurrile Vorschläge. »Ukrainische Sportler sollten darüber nachdenken, nach Russland umzuziehen«, sagte der Vorsitzende des Sportausschusses des russischen Parlaments, Michail Degtjarjow von der ultranationalistischen LDPR. »Hier werden sie bessere Trainingsbedingungen erhalten und können an hochkarätigen Wettbewerben teilnehmen. Sie sollen nicht darunter leiden, dass das politische Kiew dem Westen mit allen Methoden seine Loyalität beweisen möchte.« Ob Degtjarjows Vorschlag ernstzunehmen ist, bleibt fraglich. Für Ukrainer dürfte die interne Konkurrenz in Russland ohnehin wenig verlockend sein.
In Sachen Biathlon unterscheidet sich der ukrainische Boykott wesentlich von dem Verzicht der Nordamerikaner oder der Tschechen. »Wir wollen nicht in ein Land reisen, das für Verstöße gegen Antidopingregelungen nicht mal bestraft wurde«, hieß es aus Prag. »Die Austragung des Weltcups in Russland zeigt die große Gleichgültigkeit der internationalen Biathlon-Union IBU im Kampf gegen Doping«, begründete der USamerikanische Verband seine Absage. Den verzichtenden Nationen geht es also vor allem um den Kampf gegen Doping – und eben darum, ein Zeichen in Richtung des Weltverbandes zu setzen.
In der Ukraine ist der Boykott vor allem ein Politikum, russisches Doping spielt bei der Entscheidung des Kiewer Sportministeriums höchstens eine untergeordnete Rolle. Das in der Ukraine umstrittene, aber Anfang des Jahres angenommene Gesetz über die Reintegration der umkämpften östlichen Region Donbass spricht von einer Verteidigung gegen die russische Aggression – und bezeichnet Russland ganz offiziell als Aggressorstaat. »Es sähe komisch aus, wenn Ukrainer in einen Aggressorstaat zu sportlichen Wettbewerben fahren«, teilt Sportminister Schdanow dazu mit. Außerdem wolle man Festnahmen ukrainischer Sportler in Russland mit der Entscheidung ausdrücklich vermeiden.