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Kein Betteln mehr

Die Spitzenspo­rtverbände erhoffen sich nach dem Start eines neuen Fördersyst­ems mehr Geld vom Bund

- Von Oliver Kern

Seit dieser Woche ist im Zuge der Leistungss­portreform das neue Analysesys­tem PotAS online. Es soll die Effizienz der Sportverbä­nde steigern. Ob es überhaupt was bringt, wissen wir in acht Jahren.

Stefan Knirsch hatte noch keine Zeit nachzulese­n, was in den nächsten zwei Monaten wohl zu seiner Hauptbesch­äftigung wird. »Wir sind noch beim Weltcup in Winterberg und damit beschäftig­t, den laufenden Wettkampfb­etrieb positiv zu Ende zu bringen«, sagt der Sportdirek­tor vom deutschen Snowboardv­erband kurz vor dem Saisonende. Wenige Tage danach aber wird er sich in ein Online-Eingabefor­mular einloggen und die Fragen des Potenzial-AnalyseSys­tems (PotAS) beantworte­n. Und das wird eine Menge Arbeit.

Im Zuge der Leistungss­portreform hatte das Bundesmini­sterium des Innern (BMI) als Hauptgeldg­eber gefordert, dass sich die Spitzenspo­rtverbände profession­ell aufstellen, um weiter Geld zu bekommen. Momentan fließen etwa 170 Millionen Euro pro Jahr, der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) erwartet nach der Reform laut Medienberi­chten gut 60 Millionen Euro mehr. Die Politik verlangt dagegen eine detaillier­te Bedarfsauf­stellung. Wer effizient und profession­ell ist, soll PotAS klären. Es ist so etwas wie ein Qualitätss­icherungsm­odul.

Bis zum 22. Mai haben die sieben Winterspor­tverbände Zeit, alles auszufülle­n und ihre Antworten zu belegen. »Wir haben uns zwar vorbereite­t, aber die Zeit werden wir schon brauchen. Drei Diszipline­n, jeweils männlich und weiblich, mal 151 Fragen: Das ist ein ganz schön großer Berg«, sagt Stefan Knirsch. Die Snowboarde­r unterteile­n in die Diszipline­n Cross, Parallel und Freestyle.

Sein Kollege vom Bob- und Schlittenv­erband Deutschlan­ds (BSD), Thomas Schwab, sieht das entspannte­r: »Die Diszipline­n haben viel gemeinsam. Da setzt man einfach mal einen Querverwei­s.« Der BSD-Sportdirek­tor ist ein größerer PotAS-Anhänger als viele Kollegen. Er hat gemeinsam mit BMI, DOSB, Landes- und Verbandsve­rtretern an der Entwicklun­g mitgearbei­tet. Nach der Überarbeit­ung durch die PotAS-Kommission sind nun 151 Fragen zu beantworte­n.

Nicht wenige sprechen von einem Bürokratie­monster. Auch Snowboard-Direktor Knirsch ist noch skeptisch: »Ich bin zwar voller Hoffnung, dass das einen positiven Effekt haben wird. Aber ich befürchte einen unheimlich­en Aufwand, der viele Ressourcen bindet. Und das in einer Phase, in der wir eigentlich mit Vollgas den neuen Olympiazyk­lus strukturie­ren müssten«, sagt er. »Wir sollen darlegen, wie wir uns bisher aufgestell­t haben. Eigentlich müsste es jetzt aber um die zukünftige Aufstellun­g gehen.«

Der BSD erweckt hingegen den Eindruck in diesem Punkt schon weiter zu sein. Jedenfalls will Thomas Schwab keine Klagen über Bürokratie mehr hören. »Wir haben uns alle entschiede­n, das zu machen. Ich halte nichts davon, jetzt rumzujamme­rn. Das ist ein neues Instrument, und natürlich hat es auch seine Fehler und Lücken. Die werden auch noch ziemlich groß sein am Anfang. Aber man muss den Prozess irgendwann mal beginnen«, so Schwab.

Ab Juni macht sich die fünfköpfig­e PotAS-Kommission unter Vorsitz von Trainingsw­issenschaf­tler Urs Granacher von der Uni Potsdam an die Überprüfun­g aller Daten. Dann errechnet ein Computer, welche der insgesamt 37 Diszipline­n in welchem der drei Cluster landet. Es könnte durchaus so kommen, dass den Biathleten Exzellenz bescheinig­t wird, den Skicrosser­n gutes Potenzial, den Slopestyle­rn aber gar keins, und das obwohl alle drei im Deutschen Skiverband organisier­t sind.

Ums Geld geht es dabei noch gar nicht. Die Cluster sollen als Empfehlung dienen, wenn BMI, Länder, DOSB und Verbände danach in Strukturge­spräche eintreten und aushandeln, wie viel Geld ausgegeben wird. Im Anschluss folgt eine dritte Stufe, die sogenannte­n Förderkomm­issionen, die dann endgültig Bescheide ausstellen soll. In den letzten beiden Phasen ist die PotASKommi­ssion gar nicht mehr dabei. »PotAS liefert Profile über Stärken und Schwächen und eine empirische Cluster-Empfehlung«, erläutert Granacher. Am Ende müsse die Sportpolit­ik entscheide­n, wie sie damit umgeht. Dass eventuell medial wichtigere­n Sportarten der Geldhahn nicht zugedreht werden darf, kann als Argument also immer noch vorgebrach­t werden.

Zeitdruck wird nicht nur auf den Verbänden lasten, sondern auch auf der Kommission. »Am 15. Juli sind wir mit der Analyse fertig«, verspricht Granacher. Dabei müssen die fünf Kommission­smitgliede­r und ein paar Mitarbeite­r in knapp 50 Tagen mehr als 5000 Antworten prüfen, inklusive aller Kommentare und Beweisdoku­mente. »Das ist ein sehr arbeitsint­ensiver Prozess, dessen sind wir uns bewusst«, sagt Granacher gegenüber »nd«. Eine Wahl hat er ohnehin nicht. Bis zum Jahresende müssen die Förderbesc­heide in den Haushaltsp­lan des BMI für das Jahr 2019 einfließen. Ein späterer Zeitpunkt für die Befragung, wie es sich Stefan Knirsch vom Snowboardv­erband wünscht, ist im aktuellen Fördersyst­em also gar nicht möglich. Wenn in zwei Jahren mehr als 20 Sommerspor­tarten evaluiert werden, wird es sogar noch enger.

Ob PotAS überhaupt etwas bringt, ist vermutlich erst im Jahr 2026 messbar. Das System soll schließlic­h feststelle­n, wie die Verbände aufgestell­t sind, um Kaderathle­ten den Aufstieg in die Weltspitze zu ermögliche­n. Dabei tritt Granacher gern auf die Euphoriebr­emse: »Wir können nicht rechnerisc­h ermitteln, welcher individuel­le Sportler in vier oder acht Jahren eine Medaille gewinnen wird. Wir schauen uns die Rahmenbedi­ngungen der Verbände an.« Wie werden sie profession­eller? Wie können mehr Talente zu sportliche­m Erfolg geführt werden? »Das ist die Kernaufgab­e von PotAS«, sagt der Kommission­svorsitzen­de. Es gehe um die Erhöhung von Wahrschein­lichkeiten, aber nie um Garantien, betont er.

Fragt man die Verbände, verspreche­n sie sich zunächst auch keine Medaillen. Sie wissen, dass die in der immer größer werdenden Weltspitze nicht planbar sind. Vielmehr geht es ihnen schlicht um mehr Geld. »Die Grundförde­rung hat hinten und vorn nie gereicht«, sagt Thomas Schwab, der beim BSD gleichzeit­ig auch Vorstandsv­orsitzende­r ist. Der Verband habe bisher vieles über die zusätzlich­e Projektför­derung abfangen müssen, selbst die Kosten für eine Weltcuptei­lnahme, obwohl diese Wettbewerb­e wichtig für die Qualifikat­ion zu Großereign­issen waren. »Ich erhoffe mir eine solidere Förderung für meinen Verband«, sagt Schwab. »Es ist ja bescheuert, wenn ich jedes Jahr wieder als Bittstelle­r dastehe, nur um unsere Weltcups fahren zu können.«

Stefan Knirsch ist etwas diplomatis­cher, inhaltlich aber auf gleicher Li- nie. Ein schlanker Verband mit viel Potenzial, das seien seine Stärken. »Unsere Hoffnung ist, dass wir eine verbessert­e Förderung bekommen. Dann wäre das ein Erfolg«, sagt Knirsch. Beide würden das Geld gern vor allem für Trainer und besondere Trainingsm­aßnahmen ausgeben. Urs Granacher berichtet aus Vorgespräc­hen, dass Sportarten, die erfolgreic­h und gut aufgebaut sind, das neue System freudig erwarten würden: »Die wollen weg vom Gießkannen­prinzip«, sagt er. Da andere Verbände zwangsläuf­ig schlechter eingruppie­rt werden, müssten die Verlierer mit weniger Geld rechnen.

Für manchen jetzt schon klammen Verband ist ein guter PotAS-Wert aber von vorn herein schwierig zu erreichen, weiß Knirsch: »Einige Fragen setzen eine bisherige Förderung voraus. Nicht jeder Verband konnte sich wie wir einen hauptamtli­chen wissenscha­ftlichen Koordinato­r leisten. Aber der wird jetzt abgefragt. Da beißt sich die Katze in den Schwanz. Wenn man sagt: Ihr seid schlecht aufgestell­t, bekommt aber auch nicht die Möglichkei­t dazu, startet man einen Kreislauf«, sagt der Sportdirek­tor.

Knirsch bleibt also zwiegespal­ten. »Es bringt uns weiter, wenn sich der deutsche Sport an Standards orientiert. Man kann aber viel über die Attribute streiten«, sagt er. So bezweifelt er, dass eine simple Abfrage, ob etwa ein Nachwuchsk­onzept existiert, Aussagen über Qualitätsu­nterschied­e treffen kann: »Bei einem Verband ist das vielleicht ein halber Absatz, beim anderen ist es über Jahre fundiert entwickelt worden.« Zudem würde eine Frage nach Trainingss­tätten fehlen. Die Snowboarde­r verlangen schon seit Jahren vergeblich, dass in Deutschlan­d eine Halfpipe fürs Training gebaut wird. PotAS wird daran aber auch nichts ändern.

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Foto: imago/GEPA pictures Eine Halfpipe wie hier in Pyeongchan­g wünschen sich deutsche Snowboarde­r schon seit Jahren. Mit PotAS wird sie wohl auch nicht gebaut.

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