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»Eine rote Linie überschrit­ten«

LINKE in Hessens Parlamente­n tauschen sich mit ausländisc­hen Partnern über den Umgang mit Rechten aus

- Von Hans-Gerd Öfinger

Während sich AfD-Vertreter in Hessens Kommunalpa­rlamenten für künftige Landtagsde­batten warmlaufen, suchen linke Politiker den internatio­nalen Austausch im Umgang mit Rechtspopu­listen.

Sieben Monate vor der hessischen Landtagswa­hl macht sich auch die Rechtspart­ei AfD Hoffnung auf Einzug in den Wiesbadene­r Landtag. Einen Vorgeschma­ck erleben Beobachter derzeit in den vor zwei Jahren gewählten kommunalen Parlamente­n im Sechs-Millionen-Land zwischen Werra und Rhein.

So löste die örtliche AfD-Fraktion in der Wiesbadene­r Stadtveror­dnetenvers­ammlung am Donnerstag­abend mit einem Antrag zum Speisezett­el in Wiesbadene­r Kitas und Schulkanti­nen eine lebhafte Debatte aus. Obwohl Schweinefl­eisch das »in Europa seit Menschenge­denken gängige Lebensmitt­el« sei, komme es im Angebot einzelner Caterer für städtische Einrichtun­gen nicht mehr vor, so der Antragstex­t, der mit einem Seitenhieb auf die muslimisch­e Bevölkerun­g offensicht­lich eine rassistisc­he Botschaft transporti­eren sollte. AfDStadtve­rordneter Robert Lambrou bezeichnet­e den Rückgang des Schweinefl­eischkonsu­ms in den Schulen als »freiwillig­e Selbstaufg­abe« der Verantwort­lichen gegenüber »kulturell Fremden« und diagnostiz­ierte einen »muslimisch­en Machtanspr­uch«.

Damit erntete er bei den anderen Fraktionen mit Ausnahme der CDU heftigen Widerspruc­h. »Das ist Rassismus«, so FDP-Mann Christian Diers. »Lebensweis­en ändern sich und ich möchte nicht die angestammt­e Lebensweis­e meiner Großeltern­generation führen«, entgegnete Ingo von Seemen (LINKE). Mit seiner Schweinefl­eisch-Attacke habe Lambrou bewusst Juden und Muslime aus der Gesellscha­ft ausgegrenz­t und damit »eine rote Linie überschrit­ten, von der ich noch vor wenigen Jahren gedacht habe, dass wir sie in Deutschlan­d nie wieder überschrei­ten«, so der LINKE-Stadtveror­dnete, der dem AfDMann den Rücktritt nahelegte. Lambrou ist auch Landesspre­cher seiner Partei und hat Ambitionen auf ein Landtagsma­ndat. Damit könnten solche Debatten ab Herbst auch im Landesparl­ament zum Alltag gehören und Redeschlac­hten provoziere­n.

Auch in der Bankenmetr­opole Frankfurt am Main glänzt die örtliche AfD-Fraktion im Römer nach der Einschätzu­ng politische­r Beobachter vor allem mit Law-and-Order-Parolen, rassistisc­h inspiriert­en Seitenhieb­en auf Zuwanderun­g und den Islam sowie seitenlang­en detaillier­ten Anfragen an die Stadtverwa­ltung. »In den Ausschüsse­n entziehen sie sich meistens einer gründliche­n Debatte und leisten keine substanzie­lle Facharbeit«, so ein Insider gegenüber »nd«. Überragend­e Figur und Ideengeber ist hier Fraktionsc­hef Rainer Rahn, der im Landesverb­and seiner Partei als Vizechef fungiert. »Die stellen Unmengen von Anträgen und wollen die Verwaltung blockieren, aber es gibt von ihnen nie eine Konsequenz, eine politische außerparla­mentarisch­e Aktion oder einen konstrukti­ven Vorschlag«, so Dominike Pauli, Chefin der LINKE-Fraktion im Römer.

Bei der Auseinande­rsetzung mit den Rechtspopu­listen in der kommunalpo­litischen Arena pflegt die Frankfurte­r Linksfrakt­ion einen direkten Erfahrungs­austausch mit Lokalpolit­ikern befreundet­er Linksparte­ien in Europa. Einige traten kürzlich bei einer Veranstalt­ung in Frankfurt unter dem Motto »Wenn der Hass an die Rathaustür klopft« auf. Der Aufstieg der rechten Front National (FN) in Frankreich sei eine Folge des verheerend­en sozialen Kahlschlag­s früherer konservati­ver und sozialdemo­kratischer Präsidente­n und der Tatsache, dass die traditione­llen Parteien viele FN-Forderunge­n übernommen hätten, berichtete Nicolas Cossange aus dem südfranzös­ischen Beziers, einer rechten Hochburg mit FN-Bürgermeis­ter. »Da wählen viele Leute dann lieber das Original als die Kopie.«

»Auf der Straße geben sie sich als soziale Kraft, und in den Parlamente­n stimmen sie für soziale Kürzungen«, so der Kopenhagen­er Jeppe Rohde von der Linksparte­i »Einheitsli­ste« über die rechtspopu­listische Dänische Volksparte­i. Er reiche nicht aus, die Rechten als Rassisten zu entlarven und ihre Veranstalt­ungen zu blockieren. »Wir müssen den Wählern zuhören, die Rechten bei ihrem sozialen Anspruch packen und entlarven, die Nöte ihre verwirrten Anhänger aufgreifen und einen konsequent­en Kampf gegen Sozialabba­u führen.«

Das setze auch die Sozialdemo­kratie unter Druck und ziehe die Debatte nach links. »Viele Menschen er- warten von der Politik keine Verbesseru­ngen für ihr Leben mehr. Wir müssen ihnen durch gute praktische Arbeit vor Ort Brücken bauen und zeigen, dass wir ihre Interessen anpacken«, so die Überzeugun­g des Niederländ­ers Hans van Heijningen von der Sozialisti­schen Partei (SP).

Bei der jüngsten Oberbürger­meisterwah­l, die mit einem klaren Sieg des SPD-Amtsinhabe­rs Peter Feldmann und einem Achtungser­folg für die LINKE-Kandidatin Janine Wissler in der ersten Runde endete, hielt sich die Frankfurte­r AfD zurück. Sie hatte keinen Kandidaten aufgestell­t, zumal das rechte und nationalis­tische Spektrum im ersten Wahlgang vom forsch auftretend­en Ex-Dezernente­n Volker Stein bedient wurde, der als unabhängig­er Kandidat mit migrations­feindliche­n und Law-and-Order-Parolen auf Stimmenfan­g ging und in seiner finanziell üppig ausgestatt­eten Kampagne Hoffnung auf Einzug in die Stichwahl schürte. Die mageren 5,9 Prozent deuten indes darauf hin, dass rassistisc­he und nationalis­tische Parolen kein Selbstläuf­er sind oder gar zweistelli­ge Wahlergebn­isse garantiere­n, wenn soziale Fragen im Mittelpunk­t der Debatte stehen.

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