Beschissenheit der Dinge
Warum es glücklich machen kann, schlecht drauf zu sein.
In jeder schlechten Buchhandlung füllen sie etliche Regalmeter: Die Anleitungen zum positiven Denken, die energischen Motivationsratgeber und die auf allzu viele Buchstaben auf einer Seite verzichtenden Glücksversprechungen. Die Cover lächeln die Kunden an, die Buchtitel fordern duzend dazu auf, Optimist zu sein – ob in der Familie, im Beruf oder an der Börse. Letztere erlebt oft starke Kursschwankungen wegen schlechter Laune, deshalb gilt es besonders auf dem Parkett, an sich, den Erfolg und den Kapitalismus zu glauben. Ob Geld allein glücklich mache, bezweifelte Marcel Reich-Ranicki einst, aber angenehmer sei es schon, in einem Taxi anstatt in einer U-Bahn zu weinen. Den buchgewordenen Glückskeksbotschaften ist ein solcher Gedanke eher fremd, alles Negative soll ohnehin verdrängt werden, viel wichtiger ist für sie, dass man durch die Internalisierungen der Glücksideologie reich werden kann. Eine auf Wachstum ausgelegte Wirtschaft braucht positives Denken, sonst droht die Rezession oder gar die Einsicht, dass es so nicht weitergehen kann.
Nicht mehr nur in den USA sind die sogenannten »Happiness Studies« groß in Mode, auch in Deutschland macht sich diese affirmative Wissenschaft breit. So wurde im Rahmen des »Happiness-Atlas«, der herausfinden will, wo die Menschen am glücklichsten sind, die App »HappinessAnalyser« entwickelt, mit der jeder Nutzer mehrmals täglich zu Protokoll gibt, wie glücklich er ist und welche Begegnungen oder Erfahrungen dazu beigetragen haben. Nicht nur wirke sich die App positiv auf den persönlichen Alltag aus, versprechen die Macher auf der Homepage, nein, mehr noch: »Mit Ihrer Teilnahme leisten Sie darüber hinaus einen wertvollen Beitrag zum angestrebten politischen und gesellschaftlichen Wandel: Von der leistungsorientierten Wohlstandsgesellschaft hin zu einer leistungsfähigen ›Wohlfühl‹-Gesellschaft, in der das Glück und Wohlbefinden des Einzelnen eine wichtige Rolle spielt.« Sich wohlfühlen, um mehr Leistung zu erbringen. Thomas Bernhard hätte geschossen.
Wie widerständig ist es dagegen doch, schlechte Laune zu haben. Nein zu sagen, nicht zu lächeln oder den überaus miesepetrigen Philosophen Arthur Schopenhauer zu zitieren: »Es ist der größte Irrtum zu glauben, dass das Glück der Zweck des Lebens sei.« Doch im Zeitalter des Positivitätswahns ist schlechte Laune weniger en vogue denn je. Die Journalistin An- drea Gerk hat deshalb ein »Lob der schlechten Laune« verfasst, um diesen so sträflich unterschätzten, ja, regelrecht verkannten Gemütszustand zu rehabilitieren. Denn es sind meist die Nörgler, Miesepeter, Grantler, die Großes vollbringen. Nicht nur ist es so, dass »Tatort«-Kommissare, wie Gerk erläutert, beinahe allesamt mürrische Zeitgenossen sind, aber eben deshalb jeden Sonntag einen Fall nach dem anderen lösen, auch bedeutende Schriftsteller – die von Gerk sehr häufig zitierten Gewährsleute für ihre These – hatten selten gute Laune.
»Angenehm war es nicht«, bilanzierte Thomas Mann am Ende seines Lebens. Er sublimierte dieses Unglück jedoch in ironische Meisterwerke; ganz anders arbeiten da seine österreichischen Kollegen, die die schlechte Laune zum Stilprinzip ihrer Literatur erheben. Elfriede Jelinek, Thomas Bernhard, Heimito von Doderer oder Wolf Haas geistern durch die 300 Seiten von Gerks Ratgeber, der in erster Linie ein Kompendium von Bonmots ist. »Das Leben hat an und für sich nur lauter Nachteile«, meinte Thomas Bernhard, und Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek, die die österreichische Gesellschaft einmal als »kernfaule Mozartkugel« bezeichnete, aber wohl nie aus Wien wegziehen würde, schreibt vor allem aus dem Hass heraus. Und das ist mitunter sehr unterhaltsam.
Gerks »Lob der schlechten Laune« ist letztlich auch ein Glücksratgeber, wird doch besonders die befreiende und humorvolle Seite des griesgrämigen Daseins betont. Darüber unterhält sich Gerk auch mit dem Literaturwissenschaftler Klaus Nüchtern. Die österreichische Glücksverneinung, auch »Mieselsucht« genannt, sei wie eine Sucht, erklärt Nüchtern: »Die Sucht danach, etwas schlecht zu finden. Wienerisch sagt man auch motschgern. Die Schlechtigkeit der Welt im Konversationston zu bereden. Ständig etwas zu motschgern haben, aber nichts dazu beitragen, dass sich was ändern. Man ist fast froh darüber.«
Das ist der feine Unterschied zwischen bloß schlechter Laune und einer ausgewachsenen Kritik an den herrschenden Verhältnissen, welche Jelinek und die Ihren sehr wohl zu artikulieren wissen – vielleicht auch in der Hoffnung auf Besserung. Dieser Aspekt aber kommt bei Gerk zu kurz, sie springt von einem Zitat zum nächsten, schreibt ein paar Zeilen über Yoga, dann zwei Absätze über Glückshormone, erwähnt anschließend Freud, um rasch noch auf Kierkegaard zu verweisen und endet bei irgendeiner Fernsehfigur. Dabei hat sie durchaus die einschlägigen Bücher für ihre These gelesen, wie etwa ByungChul Hans Essay »Müdigkeitsgesellschaft«, in dem der Philosoph das Verschwinden der Negativität und damit das Ende des kritischen Denkens beklagt, was schließlich nicht glücklich, sondern depressiv mache.
Han sagt: »Das Übermaß an Positivität äußert sich auch als Übermaß an Reizen, Informationen und Impulsen. […] Dadurch wird die Wahrnehmung fragmentarisiert und zerstreut« – eben das ist auch das Problem von Gerks »Lob der schlechten Laune«. Die Autorin ist so sehr damit beschäftigt, eine mehr oder weniger amüsante Pointe nach der anderen abzufeuern, dass nur noch launige Fragmente bleiben.
Gerk fügt kaum Neues hinzu, macht aber immerhin an einer Stelle deutlich, dass es sich nicht jeder leisten kann, schlecht gelaunt zu sein: »Während die eine Hälfte der Menschen im Hotel auch dafür bezahlt, ihre Launen ausleben und sich über alles und jeden beschweren zu dürfen, erhalten die anderen Geld dafür, sich und ihre Gefühle stets im Griff zu haben und mit den schwankenden Stimmungen der Kundschaft professionell umzugehen.« Weiter geht Gerks Ideologiekritik nicht.
Wesentlich interessanter ist da Barbara Ehrenreichs Abrechnung »Smile Or Die« – die Gerk zwar zitiert, sich aber nicht zum Vorbild nimmt – mit der Ideologie des positiven Denkens. Das sei eine »Ideologie, die uns auffordert, die Realität zu leugnen«, erklärt Ehrenreich, um dann fundiert das kapitalistische Weltbild der christlichen Kirchen und Sekten in den USA sowie die dumpfen Motivationssprüche einer Oprah Winfrey zu analysieren. Wo Gerk beliebig witzelt, wird Ehrenreich grundsätzlich – und es ist eben diese Lust an der Negation, die bei der Lektüre für gute Laune sorgt.
Andrea Gerk: Lob der schlechten Laune, Kein & Aber Verlag, 304 S., geb., 24 €.