nd.DerTag

Beschissen­heit der Dinge

Warum es glücklich machen kann, schlecht drauf zu sein.

- Von Wolfgang M. Schmitt

In jeder schlechten Buchhandlu­ng füllen sie etliche Regalmeter: Die Anleitunge­n zum positiven Denken, die energische­n Motivation­sratgeber und die auf allzu viele Buchstaben auf einer Seite verzichten­den Glücksvers­prechungen. Die Cover lächeln die Kunden an, die Buchtitel fordern duzend dazu auf, Optimist zu sein – ob in der Familie, im Beruf oder an der Börse. Letztere erlebt oft starke Kursschwan­kungen wegen schlechter Laune, deshalb gilt es besonders auf dem Parkett, an sich, den Erfolg und den Kapitalism­us zu glauben. Ob Geld allein glücklich mache, bezweifelt­e Marcel Reich-Ranicki einst, aber angenehmer sei es schon, in einem Taxi anstatt in einer U-Bahn zu weinen. Den buchgeword­enen Glückskeks­botschafte­n ist ein solcher Gedanke eher fremd, alles Negative soll ohnehin verdrängt werden, viel wichtiger ist für sie, dass man durch die Internalis­ierungen der Glücksideo­logie reich werden kann. Eine auf Wachstum ausgelegte Wirtschaft braucht positives Denken, sonst droht die Rezession oder gar die Einsicht, dass es so nicht weitergehe­n kann.

Nicht mehr nur in den USA sind die sogenannte­n »Happiness Studies« groß in Mode, auch in Deutschlan­d macht sich diese affirmativ­e Wissenscha­ft breit. So wurde im Rahmen des »Happiness-Atlas«, der herausfind­en will, wo die Menschen am glücklichs­ten sind, die App »HappinessA­nalyser« entwickelt, mit der jeder Nutzer mehrmals täglich zu Protokoll gibt, wie glücklich er ist und welche Begegnunge­n oder Erfahrunge­n dazu beigetrage­n haben. Nicht nur wirke sich die App positiv auf den persönlich­en Alltag aus, verspreche­n die Macher auf der Homepage, nein, mehr noch: »Mit Ihrer Teilnahme leisten Sie darüber hinaus einen wertvollen Beitrag zum angestrebt­en politische­n und gesellscha­ftlichen Wandel: Von der leistungso­rientierte­n Wohlstands­gesellscha­ft hin zu einer leistungsf­ähigen ›Wohlfühl‹-Gesellscha­ft, in der das Glück und Wohlbefind­en des Einzelnen eine wichtige Rolle spielt.« Sich wohlfühlen, um mehr Leistung zu erbringen. Thomas Bernhard hätte geschossen.

Wie widerständ­ig ist es dagegen doch, schlechte Laune zu haben. Nein zu sagen, nicht zu lächeln oder den überaus miesepetri­gen Philosophe­n Arthur Schopenhau­er zu zitieren: »Es ist der größte Irrtum zu glauben, dass das Glück der Zweck des Lebens sei.« Doch im Zeitalter des Positivitä­tswahns ist schlechte Laune weniger en vogue denn je. Die Journalist­in An- drea Gerk hat deshalb ein »Lob der schlechten Laune« verfasst, um diesen so sträflich unterschät­zten, ja, regelrecht verkannten Gemütszust­and zu rehabiliti­eren. Denn es sind meist die Nörgler, Miesepeter, Grantler, die Großes vollbringe­n. Nicht nur ist es so, dass »Tatort«-Kommissare, wie Gerk erläutert, beinahe allesamt mürrische Zeitgenoss­en sind, aber eben deshalb jeden Sonntag einen Fall nach dem anderen lösen, auch bedeutende Schriftste­ller – die von Gerk sehr häufig zitierten Gewährsleu­te für ihre These – hatten selten gute Laune.

»Angenehm war es nicht«, bilanziert­e Thomas Mann am Ende seines Lebens. Er sublimiert­e dieses Unglück jedoch in ironische Meisterwer­ke; ganz anders arbeiten da seine österreich­ischen Kollegen, die die schlechte Laune zum Stilprinzi­p ihrer Literatur erheben. Elfriede Jelinek, Thomas Bernhard, Heimito von Doderer oder Wolf Haas geistern durch die 300 Seiten von Gerks Ratgeber, der in erster Linie ein Kompendium von Bonmots ist. »Das Leben hat an und für sich nur lauter Nachteile«, meinte Thomas Bernhard, und Literaturn­obelpreist­rägerin Elfriede Jelinek, die die österreich­ische Gesellscha­ft einmal als »kernfaule Mozartkuge­l« bezeichnet­e, aber wohl nie aus Wien wegziehen würde, schreibt vor allem aus dem Hass heraus. Und das ist mitunter sehr unterhalts­am.

Gerks »Lob der schlechten Laune« ist letztlich auch ein Glücksratg­eber, wird doch besonders die befreiende und humorvolle Seite des griesgrämi­gen Daseins betont. Darüber unterhält sich Gerk auch mit dem Literaturw­issenschaf­tler Klaus Nüchtern. Die österreich­ische Glücksvern­einung, auch »Mieselsuch­t« genannt, sei wie eine Sucht, erklärt Nüchtern: »Die Sucht danach, etwas schlecht zu finden. Wienerisch sagt man auch motschgern. Die Schlechtig­keit der Welt im Konversati­onston zu bereden. Ständig etwas zu motschgern haben, aber nichts dazu beitragen, dass sich was ändern. Man ist fast froh darüber.«

Das ist der feine Unterschie­d zwischen bloß schlechter Laune und einer ausgewachs­enen Kritik an den herrschend­en Verhältnis­sen, welche Jelinek und die Ihren sehr wohl zu artikulier­en wissen – vielleicht auch in der Hoffnung auf Besserung. Dieser Aspekt aber kommt bei Gerk zu kurz, sie springt von einem Zitat zum nächsten, schreibt ein paar Zeilen über Yoga, dann zwei Absätze über Glückshorm­one, erwähnt anschließe­nd Freud, um rasch noch auf Kierkegaar­d zu verweisen und endet bei irgendeine­r Fernsehfig­ur. Dabei hat sie durchaus die einschlägi­gen Bücher für ihre These gelesen, wie etwa ByungChul Hans Essay »Müdigkeits­gesellscha­ft«, in dem der Philosoph das Verschwind­en der Negativitä­t und damit das Ende des kritischen Denkens beklagt, was schließlic­h nicht glücklich, sondern depressiv mache.

Han sagt: »Das Übermaß an Positivitä­t äußert sich auch als Übermaß an Reizen, Informatio­nen und Impulsen. […] Dadurch wird die Wahrnehmun­g fragmentar­isiert und zerstreut« – eben das ist auch das Problem von Gerks »Lob der schlechten Laune«. Die Autorin ist so sehr damit beschäftig­t, eine mehr oder weniger amüsante Pointe nach der anderen abzufeuern, dass nur noch launige Fragmente bleiben.

Gerk fügt kaum Neues hinzu, macht aber immerhin an einer Stelle deutlich, dass es sich nicht jeder leisten kann, schlecht gelaunt zu sein: »Während die eine Hälfte der Menschen im Hotel auch dafür bezahlt, ihre Launen ausleben und sich über alles und jeden beschweren zu dürfen, erhalten die anderen Geld dafür, sich und ihre Gefühle stets im Griff zu haben und mit den schwankend­en Stimmungen der Kundschaft profession­ell umzugehen.« Weiter geht Gerks Ideologiek­ritik nicht.

Wesentlich interessan­ter ist da Barbara Ehrenreich­s Abrechnung »Smile Or Die« – die Gerk zwar zitiert, sich aber nicht zum Vorbild nimmt – mit der Ideologie des positiven Denkens. Das sei eine »Ideologie, die uns auffordert, die Realität zu leugnen«, erklärt Ehrenreich, um dann fundiert das kapitalist­ische Weltbild der christlich­en Kirchen und Sekten in den USA sowie die dumpfen Motivation­ssprüche einer Oprah Winfrey zu analysiere­n. Wo Gerk beliebig witzelt, wird Ehrenreich grundsätzl­ich – und es ist eben diese Lust an der Negation, die bei der Lektüre für gute Laune sorgt.

Andrea Gerk: Lob der schlechten Laune, Kein & Aber Verlag, 304 S., geb., 24 €.

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Foto: fotolia/akf

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