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Skandal in der Oper

Von Musikern, Emigranten und einem Feldzug gegen die Dekadenz

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Er wurde als Sohn eines Kleinhändl­ers in Norddeutsc­hland geboren. Musik spielte in der Familie traditione­ll eine große Rolle. Schon sein Urgroßvate­r und sein Großvater hatten sich als Kantoren in der deutsch-israelitis­chen Gemeinde in Hamburg einen Namen gemacht. Und so kam auch er früh mit der Welt der Musik in Berührung. »Man rühmte mir nach, im Alter von drei Jahren den Prolog aus der Oper ›Bajazzo‹ gesungen zu haben«, schrieb er später. »Ich wurde mit Schuberts Liedern und Wagners Arien groß und wollte auch Sänger werden.«

Dann jedoch erhielt er eine Violine und ging mit sechs Jahren zum Geigenunte­rricht. Als er elf war, stand er erstmals auf der Bühne, vier Jahre später gab er sein erstes eigenes Konzert. Seine vielverspr­echende Solistenla­ufbahn endete, als man bei ihm eine Schwäche der linken Hand feststellt­e. Er nahm deshalb an einem Berliner Konservato­rium ein Studium auf und erhielt nach dessen Abschluss eine Stelle als Korrepetit­or am Hamburger Stadttheat­er, wo er unter anderem mit Giacomo Puccini und Enrico Caruso zusammentr­af. Bereits im Jahr darauf wurde er Zweiter Kapellmeis­ter am TivoliThea­ter in Bremen. Dann brach der Erste Weltkrieg aus. Er kam an die Westfront, wo er die »Schreckens­herrschaft des entfesselt­en Militarism­us« kennenlern­te und fortan jeglichen Drill verabscheu­te. Später diente er in einer Militärkap­elle in Schleswig-Holstein. Nach Ende des Krieges arbeitete er zunächst als Kapellmeis­ter in Hamburg, anschließe­nd dehnte er sein Wirkungsfe­ld auch auf andere deutsche Städte aus. In Berlin wurde er Dirigent an der Städtische­n Oper. Doch diese Tätigkeit genügte ihm nicht. Er wandte sich deshalb wieder mehr dem Komponiere­n zu. Mit Erfolg: Für sein Concertino für Violine erhielt er den Preis eines Musikverla­ges.

Außerdem arbeitete er als Komponist für den Tonfilm und schrieb einige berühmte experiment­elle Filmmusike­n. Während dieser Zeit lernte er Bertolt Brecht kennen und nahm Kontakt zur Arbeitersä­ngerbewegu­ng auf, für die er Kantaten und Lehrstücke verfasste. Nach der Machtüber- nahme der Nazis emigrierte er nach Paris, später nach New York, wo er seinen Unterhalt als Musiklehre­r und Notenkopie­rer verdiente. Schließlic­h siedelte er nach Los Angeles über. Er schrieb die Musik für zahlreiche Hollywood-Produktion­en und arbeitete eng mit Brecht zusammen. Zuletzt verfasste er die Bühnenmusi­k zum Stück »Der gute Mensch von Sezuan«.

Drei Jahre nach Kriegsende kehrte er zurück nach Deutschlan­d und ließ sich in Ostberlin nieder. Hier setzte er seine Zusammenar­beit mit Brecht fort und beteiligte sich am Aufbau des Kulturlebe­ns in der DDR. Er wurde in die Deutsche Akademie der Künste aufgenomme­n und für fünf Jahre zu deren Vizepräsid­enten gewählt. Als er jedoch daran ging, das Libretto zu einem Brecht-Hörspiel zu vertonen, geriet er in Konflikt mit der Staatsmach­t. Nach der Probeauffü­hrung der Oper in Berlin, bei der zahlreiche bestellte Zuhörer anwesend waren, wurde seine Musik als »volksfremd und formalisti­sch« attackiert. Es folgte die erste große kulturpoli­tische Debatte im Osten Deutschlan­ds, die das Ziel verfolgte, die DDR-Kunst vom »westlich-dekadenten Kulturbetr­ieb« abzugrenze­n. Nachdem Brecht den Text und er die Musik der Oper umgearbeit­et hatten, wurde das Werk an der Berliner Staatsoper uraufgefüh­rt. Danach durfte es fünf Jahre nicht in der DDR gespielt werden.

Anlässlich der III. Weltfestsp­iele der Jugend und Studenten in Berlin komponiert­e der von uns Gesuchte eine Kantate für die FDJ. Außerdem schrieb er Lieder nach Texten von Johannes R. Becher, Heiner Müller, Pablo Neruda und Walter Ulbricht. Obwohl er nie an der Notwendigk­eit des Sozialismu­s zweifelte, hielt er bis zuletzt eine kritische Distanz zur offizielle­n Parteipoli­tik. Er starb mit 84 Jahren in Königs Wusterhaus­en und wurde wunschgemä­ß ohne Staatsbegr­äbnis bestattet. Wer war’s?

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Foto: nd/Wanja Wegener Der Preis für das aktuelle Rätsel ist das Buch »Lügen die Medien?« von Jens Wernicke. Einsendesc­hluss ist der 9.4.

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