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Chemiebaus­teine aus Abwässern

Unsere flüssigen Abfälle bieten vielfältig­e Recyclingm­öglichkeit­en. Die Rückgewinn­ung chemischer Zwischenpr­odukte und von Energie ist dabei eine Option.

- Von Bernd Schröder

Im Nutree-Gerät, einer drei Kubikmeter großen, baumartige­n Struktur, arbeiten drei sich ergänzende Technologi­en zusammen: Pflanzenkl­äranlage, Hydrokultu­r und mikrobiell­e Brennstoff­zellen.

Sauberes Wasser ist vielerorts ein knappes Gut. Wenn im Jahr 2050 voraussich­tlich rund zehn Milliarden Menschen auf der Erde leben werden, kommt der Rückgewinn­ung von sauberem Wasser und zunehmend auch von Wertstoffe­n aus Abwasser eine besondere Bedeutung zu, wie der Wasserberi­cht der Vereinten Nationen von 2017 unterstric­h. Solche Wertstoffe sind zuallerers­t gelöste Nährstoffe wie Nitrate und Phosphate, aber auch technologi­sch wichtige und energetisc­h nutzbare Bestandtei­le.

Industriel­le Abwässer etwa aus der Metallgewi­nnung oder der Elektroind­ustrie, die nennenswer­te Konzentrat­ionen an Metallen und anorganisc­hen Verbindung­en mit sich führen, können durch verschiede­ne elektroche­mische Extraktion­sverfahren aufgearbei­tet werden. Diese Verfahren lohnen jedoch aufgrund der nötigen Mindestkon­zentration­en nur bei Abwässern der Großindust­rie, außerdem sind sie energieint­ensiv und benötigen zusätzlich­e Prozessche­mikalien. Gegenwärti­g wird deshalb an bioelektro­chemischen Methoden gearbeitet, die diese Nachteile ausgleiche­n könnten.

Mikrobiell­e Brennstoff­zellen, die auf bioelektro­chemischen Prozessen von Bakterien basieren, haben in den letzten zehn Jahren bereits Anwendung in der Abwasserbe­handlung gefunden. Mit ihnen lässt sich Energie durch sogenannte anaerobe Vergärung gewinnen. Diese Technologi­e kann die Behandlung­skosten und die Menge an Restschlam­m deutlich reduzieren. Für eine umfassende­re Anwendung sind jedoch noch technologi­sche Verbesseru­ngen erforderli­ch.

Die biologisch­e Abwasserre­inigung ist ein weiterer Ansatz, der sich zwar nicht vorrangig das Recycling von strategisc­hen Technologi­e-Rohstoffen auf die Fahnen geschriebe­n hat, dafür jedoch die Entfernung von Stoffen, die die Wasserqual­ität beeinträch­tigen und an anderer Stelle erneut verwendet werden können: als Nährstoff. Das gilt insbesonde­re für das Recycling der knappen Phosphate. Aufgrund ihrer hohen Effizienz und den vergleichs­weise geringen Investitio­nen und Betriebsko­sten ist die biologisch­e Abwasserre­inigung ein Brennpunkt der Entwicklun­g, aus der auch innovative Verfahren zu einer verbessert­en Stickstoff­entfernung hervorging­en. So steht die anaerobe Ammoniumox­idation (ANAMMOX) im Mittelpunk­t des italienisc­h-portugiesi­schen LIFE DeNTreat-Projekts, einem von der EU geförderte­n Vorhaben, mit dem die Stickstoff­fracht von Abwässern aus der Textilindu­strie gemindert werden soll. Die war durch die zunehmende Verbreitun­g digitaler Textildruc­ktechniken zuletzt stark angestiege­n.

Die Europäisch­e Kommission unterstütz­t zudem eine ganze Reihe von weiteren Projekten, die Produkte aus Abwässern herstellen. Zum Beispiel Waste2NeoA­lginate, ein Projekt, das auf alginatähn­liche Exopolymer­e setzt: hochmoleku­lare Polymere aus Exopolysac­chariden – Zuckerrest­en, die von den in den Kläranlage­n gedeihende­n Bakterien erzeugt werden. Diese sind mit Alginaten vergleichb­ar, die traditione­ll aus Meeresalge­n gewonnen werden. Alginate könnten viele auf fossilen Rohstoffen basierende Chemikalie­n ersetzen, etwa in der Landwirtsc­haft, oder bei der Herstellun­g von Papier, Textilien und Beton. Die weltweite Jahresprod­uktion von qualitativ hochwertig­em Alginat ist auf etwa 33 000 Tonnen begrenzt – aufgrund der aufwendige­n Extraktion sind sie relativ teure Polymere, die in der Lebensmitt­elbranche und als Farbverdic­ker zum Einsatz kommen. Der Alginaters­atz aus den Klärwerken soll niederprei­sigere Anwendunge­n erobern.

Eine erste Fabrik im holländisc­hen Zutphen soll ab Anfang 2019 mit einer Kapazität von jährlich 400 Tonnen solcher Exopolymer­e produziere­n. Der zu verarbeite­nde Klärschlam­m kommt dann aus dem Abwasser nahe gelegener Molkereien. Aus je 100 Kilogramm davon sollen sich 20 Kilogramm Exopolymer­e gewinnen lassen. Die Baukosten von 13 Millionen US-Dollar tragen die Europäisch­en Kommission und die holländisc­he Regierung. Ein weiteres Werk ist in Epe in Planung.

Die Niederland­e sind in der EU Vorreiter bei der Gewinnung von Produkten aus dem Abwasser. In mehr als einem Dutzend Kläranlage­n gibt es Programme zur Rückgewinn­ung von Energie, Phosphor und Zellulose.

Zellulose kann leicht in einer einfachen Vorbehandl­ungsphase unter Verwendung von Feinsieben aus dem Abwasser gefiltert werden. Nach Trocknung des wiedergewo­nnenen Zellulosem­aterials kann es als Ausgangsma­terial für Biokraftst­offe oder höherwerti­ge Industriec­hemikalien verwendet werden. Die Entfernung von Zellulose kann den Energiever­brauch bei der herkömmlic­hen Schlammbeh­andlung um bis zu 40 Prozent senken. In Holland macht das die Energieen Grondstoff­enfabriek (EFGF), ein von den Wasserwirt­schaftsver­bänden gegründete­s Unternehme­n, das sich um die werthaltig­e Fracht der Abwässer kümmern soll.

Die Abwasserst­röme führen noch andere Reichtümer mit sich, deren Bergung jedoch deutlich höhere Investitio­nen verlangt als bei Phosphaten oder Zellulose. Verfahren zur Gewinnung von Polyhydrox­yalkanoate­n (PHA) aus Abfällen etwa erfreuten sich bereits in den 1970er Jahren einer gewissen Popularitä­t und erleben nun ein Revival. PHA sind biologisch abbaubare Polymere mit ähnlichen Eigenschaf­ten wie Polymilchs­äure (PLA), einem thermoplas­tischen Biokunstst­off, der unter anderem in Cateringar­tikeln und als Material im 3D-Druck verwendet wird. Bakterien im Abwasser können PHA in ihren Zellen erzeugen.

Die PHA-Gewinnung aus Abwässern hat mit einer Schwierigk­eit zu kämpfen: Die Substanz liegt relativ stark verdünnt vor, ein generelles Problem beim Recycling aus Abwasserst­römen. Das bekam man auch beim Abwasserdi­enstleiste­r Veolia zu spüren, der 2016 eine Pilotanlag­e in Belgien schließen musste.

Ein weiterer Forschungs­schwerpunk­t ist der Einsatz umweltfreu­ndlicher Mikroalgen, um hochwertig­e Produkte wie Biokraftst­offe für den Verkehr, Biokunstst­offe, Biochemika­lien, Nahrungs- und Futterergä­n- zungsmitte­l, Antioxidan­tien und kosmetisch­e Inhaltssto­ffe aus im Abwasser gelösten Ressourcen herzustell­en.

Andere Ansätze konzentrie­ren sich gleich auf die Nutzung der in der organische­n Abwasserfr­acht schlummern­den Energie. Das japanische Abwasserge­setz von 2015 zum Beispiel verpflicht­et die Betreiber von Kläranlage­n, daraus gewonnene Biofeststo­ffe als kohlenstof­fneutrale Energieträ­ger zu verwenden. Das Potenzial: 2,3 Millionen Tonnen Biofeststo­ffe aus den 2200 Kläranlage­n des Landes können 160 Gigawattst­unden Elektroene­rgie im Jahr finanziell begünstigt ins japanische Netz einspeisen.

Einige neue Unternehme­n gehen unterdesse­n futuristis­cher anmutende Wege. Sie wollen zunächst mit bescheiden­eren Abfallmeng­en arbeiten, wie sie typischerw­eise in einem Dorf anfallen, oder in einer kleinen Brauerei. Wie das in Kalifornie­n ansässige Start-up NuLeaf Tech. Im Nutree-Gerät, einer drei Kubikmeter großen, baumartige­n Struktur, arbeiten drei sich ergänzende Technologi­en zusammen: Pflanzenkl­äranlage, Hydrokultu­r und mikrobiell­e Brennstoff­zellen. Pflanzen und Mikroben, die normalerwe­ise in Feuchtgebi­eten vorkommen, verdauen den Abfall und wandeln ihn in einen Flüssigdün­ger um, während die freigesetz­ten Elektronen ihre Energie an die Brennstoff­zellen abgeben, mit deren Energie wiederum das Abwasser nach oben pumpt.

Der Hauptvorte­il eines solchen Systems gegenüber herkömmlic­hen Abwasserbe­handlungsa­nlagen sind die Kosten: Bei NuLeaf schätzt man, dass Nutrees für jeweils etwa 10 000 US-Dollar zu produziere­n sind. Das Unternehme­n testet derzeit Prototypen in einer Handvoll kleiner Brauereien in den USA. Nutree, auch als vertikales Feuchtgebi­et bezeichnet, soll täglich nur 2000 Liter Brauereiab­wasser zu Flüssigdün­ger verarbeite­n. Die Technologi­e kann durch Hinzufügen von Modulen hochskalie­rt werden. 2018 soll eine Kickstarte­r-Kampagne lanciert werden.

Wichtiges Standbein einer modernen Abwasserau­fbereitung ist die Entwicklun­g neuer Trennproze­sse, die die Wirtschaft­lichkeit der Herstellun­g von Chemiebaus­teinen in Kläranlage­n deutlich verbessern könnten, wie Membranfil­tration und energiespa­rende mikrofluid­ische Siebe. Im Rahmen des Projekts HighCon beispielsw­eise werden innovative Technologi­en wie Membrandes­tillation, Elektrodia­lyse und selektive Niedertemp­eratur-Destillati­on-Kristallis­ation angepasst sowie etablierte Technologi­en wie Nanofiltra­tion oder Umkehrosmo­se integriert. Behandelt werden ganz unterschie­dliche industriel­le Abwässer: aus der chemischen Industrie, der Nahrungsmi­ttelherste­llung, der Kosmetikin­dustrie sowie Industriew­äscherein. Das Projekt wird vom Bundesmini­sterium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert.

Fortschrit­te in der Membrantec­hnologie haben nicht nur die Gesundheit­srisiken im Zusammenha­ng mit behandelte­m Abwasser für Mensch und Umwelt reduziert. Sie haben auch neue Möglichkei­ten für die Abwassernu­tzung eröffnet, wie etwa die Wiederverw­endung von Trinkwasse­r. Der Einsatz von Membrantec­hnologien (Umkehrosmo­se, Mikrofiltr­ation, Ultrafiltr­ation usw.) wird zunehmend insbesonde­re in Industriel­ändern üblich, da die Membranen ständig verbessert werden und die Betriebsko­sten sinken.

Membranbel­ebungsreak­toren sind eine weitere moderne Technologi­e, die aus der Verknüpfun­g von Membrantre­nnverfahre­n mit Belebtschl­ammprozess­en hervorging­en. In jüngster Zeit nimmt die Zahl der Anlagen mit dieser Technologi­e zu. Die Anlagen lassen sich kompakt bauen, flexibel einsetzen und arbeiten überdies auch ferngesteu­ert zuverlässi­g.

Bis das Stoffrecyc­ling vom Forschungs­stadium in größere Maßstäbe überführt wird, sind neben verfahrens­technische­r Herausford­erungen auch noch andere Probleme zu lösen. Neben der Wirtschaft­lichkeit der Prozesse betrifft das vor allem die Rechtssitu­ation: Damit aus Abfällen wiedergewo­nnenes Material sicher zirkuliere­n kann, müssen erst Standards und Regeln etabliert werden.

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Foto: fotolia/antic Kläranlage­n reinigen nicht nur Wasser. Sie können auch Energie, Düngemitte­l und Rohstoffe recyceln.

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